piwik no script img

Der Fährmann wohnt am anderen Ufer

■ Eine Fahrradtour vom Bahnhof Werder über Ketzin, den Ort mit dem zu Recht schlechten Image, zum Bahnhof Marquardt / Nichts lieber hätten die Ketziner, als daß sie ihren Müll wieder loswerden könnten / An Göttinsee und Trebelsee vorbei

Start: Werder, Ziel Marquardt (Bahnhöfe im S-Bahntarif); Streckenlänge 27 km ab Werder, bzw. 40 km ab Potsdam HBF über Geltow oder 49 km über Ferch.

Zur Anfahrt empfehle ich den ca. stündlich verkehrenden Zug von Wannsee nach Potsdam und von dort den Anschlußzug nach Werder. Die Fahrzeit beträgt ca. eine Stunde. Wer will, kann auch die Tour am Hauptbahnhof beginnen und die Tour von letzter Woche mit abfahren.

Vom Bahnhof aus fahren wir nicht in den Ort Werder, dessen Auswirkungen ich ja schon letztens ausgiebig beschrieb, sondern nach Norden, Richtung Phöben. Wirklich nur die ersten Meter sind durch Kaserne, Kraftwerk und Autobahn geprägt. Schon der Ort Phöben unterhalb eines Berges mit Sandgrube strahlt wieder diese melancholische Ruhe der Provinz aus, Kinder fragten mich „Wo kommst Du her?, Wo willst Du hin“ und beschrieben mir ungefragt den Weg, wobei ihre Augen nicht von meinem Alu-Kettenblatt und der Schaltung wichen. So etwas schienen sie noch nicht gesehen zu haben. Hinter dem Ort weitet sich die Landschaft erstmalig zu einer großen Fläche. Linkerhand ducken sich niedrige Johannisbeersträucher im Wind, rechts biegen sich Pappeln über die Fäkaliensammelstelle von Phöben. Aus der Entfernung treibt beißender Qualm über die Ebene. Brennt eine Deponie?, Ist es gefährlich?, schießt es mir durch den Kopf. Da sehe ich eine Frau hinter einem Zaun stehen. Sie bückt sich immer wieder und schneidet etwas Grünes ab, was sie dann später bündelt: Osterglocken. Viel zu früh, sagt sie, ich frage nach dem Qualm. Ach, die verbrennen die Obstbäume, und damit die anfangen zu brennen, mengen sie was bei. Nein, kompostieren könne man die nicht, wegen der Schädlinge. Na, bis jetzt nicht, vielleicht... Letztes Jahr hätten sie auch noch die Wegeränder abgebrannt, dann wäre im Frühjahr alles um so schöner gewesen, aber das solle man jetzt nicht mehr tun. Dabei sei die Asche immer ein guter Dünger gewesen. Was sie denn sonst noch mit dem Boden machen würden. - Schlick drauftun. - Von wo? - Na Havelschlamm, den schwarzen da hinten. - Ich will nicht anfangen von Schwermetallen zu reden. Der beißende Qualm macht meine Augen tränen und meine Kehle brennen. Der Umgang mit der Natur macht mich traurig. Ich will nicht mehr zur Kippe bei Deetz, sondern frage direkt nach dem Weg nach Ketzin. Na durch die LPG durch: Ich schiebe vorbei an Dutzenden von großen dunklen Rinderaugen, die mich auch nicht aufmuntern. Die Straße nach Ketzin ist auch wieder asphaltiert und fast völlig ohne Autos. Da der Ort auf der anderen Seite der Havel liegt, kommen wir wieder in den Genuß einer Fährfahrt. Diese relativ große Fähre setzt Tag und Nacht über. Der Fährmann wohnt am anderen Ufer, und wenn man hinüber will, läutet man wieder, wie seit Jahrhunderten, mit einer Glocke, denn die neue Klingelanlage aus den vergangenen Jahren ist bei einem Hochwasser verlorengegangen.

Hier ist die schmalste Stelle in diesem Bereich der Havel, dann verbreitert sie sich wieder nach beiden Seiten, östlich zum Göttinsee und westlich zum Trebelsee. Dupp, dupp, dupp zieht die Fähre durch das trübe Wasser. Wütend klingt das Horn eines Schiffes, das direkten Kurs auf die Fähre hält. Der Fährmann springt die Stufen hoch in seine Kanzel und legt den anderen Gang ein. Die Fähre ruckt am Seil und fährt zurück, „ausweichen kann ich nicht“, brummt er, „nur hin und her schalten“, und als er wieder unten an unseren Rädern ist, will er seine 20 Pfennig nicht mehr kassieren und sagt: Unsere Ruhe ist hin. Recht hat er, unsere Motorbootfahrer werden schon alles in Beschlag nehmen.

Auf der anderen Seite endlich mal das angeblich für die DDR typische Pflaster, aber nur im Ort selbst. Der lohnt, ist malerisch, auch wenn das Info-Cafe der Bürgerinitiative vielleicht nicht geöffnet hat. Nur Samstag, Sonntag 14 bis 17 Uhr, aber es gibt noch weitere Gaststätten am Platz der Befreiung.

Die Ketziner wären froh, wenn man sie wieder vom Müll befreien würde. Ansprechpartner ist Joachim Wendel, Ernst -Thälmann-Straße 26. Von hinten sieht er aus wie ein Rauschgoldengel mit seinem schulterlangen weißblonden Haar. Zusammen mit der Chemielehrerin Marlies Oettel hat er den Ketziner Widerstand aufgebaut.

1975 war die Landschaft um den Ort noch eines der schönsten, unberührten Landschaftsschutzgebiete neben Mielkes privatem Müritzostufer. An die Idylle erinnern nur noch die Möwenschwärme über der Kippe. Langsam sickert der unsachgemäß gelagerte Dreck in die Havel und ins Grundwasser. Was hier geschieht, ist ein Verbrechen an der Umwelt von mittlerem Ausmaß. Das Einbringen von Sondermüll auf nicht abgedichtetem Deponiegrund sollte schon ein paar Jahre Gefängnis bedeuten, aber davon wird das Trinkwasser auch nicht wieder trinkbar. Da es offenbar den westlichen Handelspartnern jahrelang ziemlich wurscht war, was mit Müll geschah, Hauptsache, er war weg, ist es moralisch jetzt auch voll gerechtfertigt, den Westen um die Sanierung zu bemühen. Vielleicht muß ja nicht alles über Steuergroschen geregelt werden, hat doch die Firma Hoechst (ich dachte bisher das läge weit unten am Main und nicht an der Havel) ihre Bromschlämme hier deponiert.

Ketzin hat auch ein Heimatmuseum, in welchem man sich über Schiffahrt und Fischerei an der Havel im 19. Jahrhundert ein Bild machen kann. Falls man samstags kommt (nur Sa von 10-12 Uhr). Dann treten wir die Rückfahrt über Paretz an, nachdem zwar ein ganzer Kanal benannt ist, das aber doch nicht auf der Karte vom ADAC verzeichnet ist. Von den Inhalten gibt da die Ost-Karte 1:200.000, No. 5 vom Tourist-Verlag mehr her. Bloß das Papier taugt nichts. Eine auffällige Villa und eine Windmühle liegen auf einer Anhöhe, dann überqueren wir den Havelkanal und fahren über Uetz Richtung Marquardt. Kurz bevor wir für ein kurzes Stück auf die F 273 müssen, kann man auf beiden Seiten einen sumpfigen Auwald genießen. Hinter der Autobahnunterführung müssen wir auf der stärker befahrenen Straße auch noch bergauf treten und sind froh, dann wieder nach Marquardt auf ruhiger Straße zu rollen.

Marquardt, ein Schloß mit Blick auf den See, traumschön gelegen. Radfahren im Park ist erlaubt, man muß nur Rücksicht nehmen, selten vernünftig. Was ist im Schloß? Eine Versuchsanstalt für Obstproduktion der Berliner Humboldt -Universität. Vielleicht könnten die es mal mit weniger Chemie und normalen Bäumen versuchen.

Die kürzere Strecke über Fahrland und den Radlerübergang bei Groß-Glienicke zurück kann ich nicht empfehlen, die ist nur etwas für Leute, die gute Nerven haben und sich gerne Pflasterstraßen mit russischen Panzern teilen. Nein, man kommt ja dran vorbei am Bahnhof Marquardt, und von da fahren die Züge in nicht mal einer Viertelstunde zum Potsdamer Hauptbahnhof, wo wir 10 Minuten Zeit zum Umsteigen nach Wannsee vom unteren Bahnsteig haben (ab Marquardt z.B.: 15.57 oder 17.57)

Axel von Blomberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen