: Farbbeutel für Senat statt Kutschenfahrt
■ Vorgesehene Sperrung des Filetstücks der Havelchaussee scheiterte am Widerstand des Zehlendorfer Bezirks und einer Demo aufgebrachter Autofreaks
Eigentlich hätte das Zeitalter der „neuen“, weil autofreien, Havelchaussee gestern so romantisch beginnen sollen. „Zur Demonstration, daß man hier schön mit dem Pferdefuhrwerk langfahren kann“, so Rudolf Steinke, steht ein ebensolches auf dem Parkplatz an der Lieper Bucht. Doch kaum jemand kümmert sich um das vom Landesforstamt per Strohballen zum Kremser hergerichtete Gefährt mit den vorgespannten Gäulen. Eine andere Demonstration, einmal vor Ort und das andere mal im Zehlendorfer Bezirksamt verhinderte die für gestern mittag, punkt 12 Uhr 30 angekündigte Sperrung des rund 1,7 Kilometer langen Chaussee-Abschnittes zwischen Lieper Bucht und Großer Steinlake. Bereits lange vorher ist den zahlreich erschienenen Journalisten klar, daß es wohl kaum zur vorgesehenen Enthüllung von dreißig Verbotsschildern an der Havelchaussee kommen wird.
Zur Demonstration vor Ort hatten Verkehrssenator Wagner und seine Kollegin vom Umweltressort, Schreyer, ihr Erscheinen angekündigt. Die rund 150 Damen und Herren, verstärkt durch schon bei der Avus-Tempolimit-Kampagne kampferprobte Mitstreiter eines obskuren „Vereins engagierter Verkehrsteilnehmer“ sind auf Rot-Grün denkbar schlecht zu sprechen. Ein Transparent des Bundes für Umwelt- und Naturschutz wird in den Staub gezerrt. „Berliner Wald autofrei?“ Nichts da, „runter mit dem roten Scheiß“. Haß schlägt auch den zwei einsamen Aktivisten der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald entgegen. Es kommt zu Handgreiflichkeiten und Flaschenwürfen der Schultheiss -Berliner.
Als Verkehrssenator Wagner schließlich in Begleitung von BVG-Chef Lorenzen verspätet einem Doppeldecker entsteigt, wird er gezielt mit Eiern und Farbbeuteln attackiert. Der Bus ist von wütenden Autofahrern und Motorradfreaks hoffnungslos eingekeilt. Aus der geplanten Pressebesichtigung des zu sperrenden Havelchaussemittelstücks wird deshalb nichts.
Dafür sorgte indirekt auch das Zehlendorfer Bezirksamt. Bis zum Mittag weigerte sich das Amt, die entsprechenden Sperrschilder aufzustellen. Der gestern von Baustadtrat Menzel (CDU) nochmals wiederholte Grund für die hartnäckige Weigerung: Entgegen früherer Versprechungen Senator Wagners sei nicht gewährleistet, daß kinderreiche Familien mit allem Zubehör, ältere Mitbürger und Behinderte sowie die Surfer an die Havel gelangen könnten. Unterstützt von Abgeordneten der CDU, der SPD und der WUB verlangte der Bezirk bereits vergangene Woche ein hinreichendes BVG-Busangebot. Wie es gestern auf Anfrage hieß, werde man über die Aufstellung der Schilder nunmehr erst im Laufe des heutigen Tages entscheiden. Dann allerdings werden die weißen Stangen für die Schilder fehlen. Die sind noch im Laufe des gestrigen Tages von Unbekannten weggeräumt worden.
„Wo sind Ihre Zusagen über den Zehn-Minuten-Bustakt“, muß sich der nur knapp einem Eierwurf entgangene Verkehrssenator auch an der Lieper Bucht vorhalten lassen. Der kann auf erst in den letzten Tagen der BVG abgerungene Verbesserungen verweisen. Ab S-Bahnhof Wannsee respektive U-Bahnhof Theodor -Heuss-Platz wird danach in der Woche alle halbe Stunde von 8 Uhr bis 20 Uhr ein Großer Gelber die Havelchaussee abfahren. Am Sonnabend und Sonntagen sollen die Busse sogar alle Viertelstunde fahren, und zwar von 9 Uhr bis 22 Uhr bzw. von 8 Uhr bis 22 Uhr. Verkehrssenator Wagner hält das Beförderungsangebot für rundweg „ausreichend“. Es sei dafür gesorgt, „daß jeder Berufstätige, der abends in den Havelchaussee-Restaurants essen will, dort auch hinfahren kann“. Die Ausnahme: das Insel-Restaurant Lindwerder, dessen Wirt Horst Biskup über die „grünen Penner“ schimpft.
Thomas Knauf
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