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Kanzler Kohl in DDR-Fahne eingewickelt

■ Über 5.000 Studenten demonstrierten in Berlin gegen Sozialabbau / Neues Hochschulkonzept sieht Erhöhung der Stipendien vor

Ihren Witz hatten die Berliner Studenten nicht vergessen, als sie sich am Montag am DDR-weiten Protest der Studierenden gegen Sozialabbau beteiligten. Unter Sprüchen wie „2:1 für alle CDU-Wähler“, „Gartenbau ohne Kohl“ und einer wehenden Hundert-D-Mark-Flagge vom Hof der Humboldt -Uni zum Roten Rathaus zogen. Auch schwarze Särge trugen sie mit sich, versehen mit „Wohnen, Wohnheim“.

Mindestens 5.000 hörten den knappen Ansprachen von VertreterInnen der AG Junge GenossInnen, der Musik- und Kunsthochschule, der ausländischen StudentInnen, des Institutes für Lehrerbildung, der Gewerkschaft Wissenschaft und des Studentenrates der Humboldt-Uni zu, bevor sie zum Ministerium für Hochschulbildung gingen, begleitet von lateinamerikanischer Musik, die zumindest in die vorderen Reihen etwas Rhythmus hineinbrachte. Dort angekommen, spazierte plötzlich der maskierte Herr Kohl unter ihnen. Doch er hatte sich einer der zahlreichen DDR-Fahnen zu sehr genähert und wurde in sie eingerollt. Von der Hand der Studenten geführt, brachte die DDR-Fahne Kohl unter dem Beifall der Demonstrierenden zu Fall und wurde zu guter Letzt mit ihr zugedeckt.

Ausgesprochen friedlich löste sich die Demo bröckelnd auf, während es die einen nach Hause zog, gingen viele schon zur Uni zurück um ein Gespräch mit der Bildungsverantwortlichen des CDU-Landesverbandes Berlin nicht zu verpassen. Andere marschierten direkt zum CDU-Hauptvorstand um am liebsten mit de Maiziere selbst zu sprechen.

Währenddessen führte eine studentische Abordnung eine Unterhaltung im Ministerium. Letzte Gruppe hatten wohl den befriedigsten Part gewählt. Hier wurde ihnen erklärt, daß das Ministerium unter Berücksichtigung der Vorschläge des Nationalen Studentenrates eine Konzeption über die Zukunft der Hochschulbildung erarbeitet habe, die in den nächsten Tagen dem Bildungsminister Emons übergeben werden würde.

Die Konzeption sehe unter anderem vor, daß ab 1. September Studenten 150 und Forschungsstudenten 200 Mark mehr Stip erhalten sollen, die Wohnheime bestehen bleiben, das Grundstipendium beibehalten werde, der Numerus clausus im Rahmen der technischen Möglichkeiten nur bedingt abgebaut werden soll. Weiterhin solle noch in diesem Sommer in einer Verordnung eine gesetzliche Regelung zu den Studentenräten beschlossen werden. Was dort verkündet wurde, hörte sich nicht schlecht an, hat aber für die kommende Regierung nur empfehlenden Charakter. Der Studentenrat beschloß am späten Abend noch, diese Konezptionsinhalte unter den KommilitonInnen zu verbreiten und auch der neuen Regierung unter die Nase zu reiben.

Eine kleine Abordnung derer, die direkt zum CDU -Hauptvorstand geschritten waren, hat an der Pförtnerloge ein kurzes Verständigungsgespräch mit dem persönlichen Referenten des CDU-Generalserektärs (ach, wie vertraut dies Wort noch klingt) und dem CDU-Schatzmeister, der taz seinen Namen nicht verraten wollte - wir wissen trotzdem, daß sie Herr Skowron heißen!

Nach dem Austausch kurzer politischer Grundsätze wurden Adressen gewechselt und Verantwortliche der CDU höflich in die Humboldt-Uni eingeladen, um sich mit den StudentInnen über deren Vorstellung zur künftigen Hochschulpolitik zu unterhalten. Aber erst, wenn die Priorität Regierungsbildung abgeschlossen sei, wie die CDU-Vertreter betonten. Diejenigen StudentInnen, die in der Humboldt-Uni den Worten der CDU-Vertreterin gelauscht hatten, erlebten nach den Worten von zwei Studentinnen, die taz im Uni-Hof befragte, leider einen Flop. Ihnen sei lediglich das CDU-Programm vorgestellt worden.

M.K.

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