piwik no script img

Verehrte Schwäne

■ Gerald Clarkes Biographie von Truman Capote/betr.: Gerald Clarke: "Truman Capote", Biographie, übersetzt von Brigitte Stein, Kindler Verlag München, 736 Seiten, 48 DM

Alles ist soweit vorbereitet, nur die letzte Szene fehlt noch. „Ich hoffe, es klingt nicht verrückt..., aber so, wie ich die Geschichte aufgezogen habe, werde ich das Ms. innerhalb von Stunden nach Erhalt des Telegramms abschließen können. Halte mir alle verfügbaren Daumen...“ Doch die spielentscheidende Realität in Gestalt eines Obersten Gerichtshofes platzt - wieder einmal wird die sehnlichst erwartete Hinrichtung verschoben.

Seit zwei Jahren wartet Truman Capote bereits auf den Vollzug der Todesstrafe an seinen Hauptdarstellern in einem Buch, das bis auf die Beschreibung der Exekutionen fertig vorliegt. Nur ein täuschend stabiler Holzboden, der sich nach einfacher Handhabung eines Mechanismus abrupt öffnen wird, liegt noch zwischen dem nur bekannten und dem bald weltberühmten Autor. „Der Erfolg von Kaltblütig war so vorhersehbar wie die Bewegungen der Planeten.“ Capote leidet unter jeder weiteren von den Verteidigern erkämpften Berufungschance, jedem erneut verordneten Aufschub für Perry Smith und Dick Hickock, den bald berühmten Mördern der Clutter-Familie, denen er als privilegierter Beobachter jede Woche zwei Briefe schreiben und die er im Gefängnis besuchen darf.

Die Delinquenten halten T.C. für ihren Freund und Wohltäter - und so versucht Perry verzweifelt, als schließlich der 14.April 1965 als endgültiger Hinrichtungstermin feststeht, Kontakt mit Capote aufzunehmen, um vielleicht doch noch eine weitere Galgenfrist zu erreichen. „Aber ein neuerlicher Aufschub war das letzte, was Truman wollte.“ Er wartet vor Ort, zugelassen als Augenzeuge der bevorstehenden Strangulation, läßt sich mehrfach telefonisch verleugnen und antwortet auf das letzte Telegramm des Todeskandiaten Smith: „lieber perry. nicht möglich, dich heute zu besuchen. nicht gestattet. immer dein freund. truman.“

Natürlich hätte er ihn besuchen dürfen - das weiß auch Perry, und er bedauert Trumans Kneifen in seinem Abschiedsbrief an den kommenden Bestseller-Autor. Dann, endlich, es ist ein Uhr in der Frühe, kann die „Krawatten -Party“ (Perry) gefeiert werden - und kurze Zeit später ein grandioser literarischer Welterfolg.

Wie jede ausgezeichnete Biographie ermöglicht auch diese, die schon zu ihrer Zeit umstrittenen Ereignisse penibler zu betrachten. Wie jede ausführliche Biographie häuft auch diese so viele Belege für die widersprüchlichsten Haltungen einer einzelnen Person auf, daß ein ungreifbarer, aber schneidender Eindruck ratlosen Lavierens des Hauptdarstellers vermittelt wird, der nur als phantasietreibendes Lesefutter zwischen zwei stabilen Buchdeckeln genießbar ist. Doch die groben Strukturen, die Truman Streckfus Persons prägten und in den meisten Konfliktsituationen seines Lebens bestimmend hervortraten, werden vorzüglich dokumentiert im Zuge der langen Erzählung einer exemplarischen amerikanischen Karriere.

Unerwünscht in ungeordnete Verhältnisse geboren, von einer geliebten Mutter vernachlässigt, die den Sohn nie völlig akzeptiert - erst recht nicht, als sie zu erkennen gezwungen wird, daß ihr Sproß dem eigenen Geschlecht die größeren Reize abgewinnt. An Haltlosigkeiten herrscht kein Mangel: Promiskuität, Alkoholismus und Depressionen, schließlich, knapp 49jährig, ihr Selbstmord. Ihr (erster) Ehemann, der Vater Trumans (der Sohn wird sich später nach seinem Stiefvater „Capote“ nennen), ein Möchtegern-Manager mit vielen hochfliegenden Plänen und spektakulären Abstürzen, die ihn wegen Betruges auch wiederholt in den Knast bringen, handelt nach der dem Sohn gepredigten Maxime: „Geld ist der sechste Sinn, ohne den die anderen fünf zu nichts nütze sind.“ Seine Aufschneidereien auf unsicherstem Grund werden sich bei Truman wiederfinden, wobei sie, bei diversen Zusammenkünften in späteren Jahren, als sich gegenseitig übertrumpfen wollendes Gespann die schönsten Grotesken aufführen. Die bald geschiedenen Eltern sind zu sehr mit sich beschäftigt, um Truman noch mit in ihren Überlebenskampf einbeziehen zu wollen. Die Mutter läßt den Fünfjährigen bei ihren Cousinen zurück, wo er in einem seltsamen, von altjüngferlichen Frauen geführten Haushalt aufwächst.

Trotzdem gehört diese Zeit zu den eher angenehmen Fährnissen seiner Kindheit, und in vielen Erzählungen hat Capote den ihn herzlich und streng betreuenden Frauen Denkmäler gesetzt. Auch wird einer der bekanntesten Schwulen dieser Welt lebenslang außergewöhnich innige Beziehungen zu meist älteren Frauen aufrecht erhalten, die ihm jederzeitigen Zugang zur von ihm so geliebten Welt des Klatsches ermöglichten. Das Kind in Monroeville, Alabama, hat viel Zeit für sich und beginnt, sich Geschichten auszudenken, bald diese auch aufzuschreiben. Früh entwickelt es die fixe Idee, ein berühmter Schriftsteller werden zu wollen - und sein Aufstieg auf dem Weg zu diesem Ziel ist atemberaubend.

Geholfen haben ihm dabei leicht kenntliche Äußerlichkeiten: kleinwüchsig, lebenslang eine hohe, quäkende Stimme behaltend, eher feminines Verhalten mit entsprechenden Eigenheiten in Gang und Gestik, Eleganz und Grazie vor allem in jungen Jahren - ein Freak, ein Gnom, eine Art Kunstwerk, das seine Umgebung zu bezaubern wußte: „An seinem Tisch ertönte immer Gelächter...“ Es entwickelt sich das enorme gesellschaftliche Talent eines anpassungsbereiten, zielbewußten Aufsteigers, vom Copyboy beim 'New Yorker‘ zum Schriftsteller, der mit einer unnachahmlichen Treffsicherheit stets jene Leute aufpickt, die ihn der Verwirklichung seiner Wünsche näherbringen. Begabt, aber ohne Bildung, ja selbst ohne Lektüre-Hintergrund, gewinnt er einen der beschlagensten Literaturkritiker der USA als Liebhaber und Lehrer. Später werden ihm Ehefrauen aus der reichen Oberschicht jene Kenntnisse beibringen, die unerläßlich sind für geschmeidige Konversation auf Yachten und in Palästen. Sein ungewöhnliches Aussehen verführt auch die Medien - mit schmalstem Oeuvre wird er zum meistfotografierten Newcomer. Das Umschlagfoto für seinen ersten Roman Andere Stimmen, andere Räume („Doch das Foto ist völlig harmlos. Da liege ich einfach auf dem Sofa und blicke in die Kamera. Aber ich schätze, es läßt vermuten, ich läge auf diesem Sofa und gäbe mehr oder minder jemandem einen Wink, auf mich draufzusteigen.“), der provokant kindliche Unschuld und erwachsene Homosexualität verknüpft, gerät zu einem der meistkommentierten Autoren -Lichtbilder und sorgt so für enorme Publizität. Das Wort von der „männlichen Lolita“ macht die Runde - kindliche Erscheinung, sein Status als glänzender Unterhalter und Wunderkind, verbunden mit mannigfaltigen Signalen sexueller Ansprechbarkeit: eine unwiderstehliche Mischung nicht nur für dekadente Literaturzirkel.

Capote wird zu einer Zelebrität, seine Auftritte geraten zu gesellschaftlichen Ereignissen, seine Einzelbände und die Novelle Frühstück bei Tiffany, deren Heldin Holly Golightly mit ihrer Verschränkung von Leichtigkeit und Leichtlebigkeit, Naivität und Berechnung Leser und Kritik begeistert, werden zu Verkaufserfolgen. In den fünfziger und sechziger Jahren, mit dem absoluten Höhepunkt der Veröffentlichung des so genannten Tatsachenromans In Cold Blood, führt Capote ein weitgehend geordnetes Leben: regelmäßige Einkünfte, öffentliche Anerkennung, ein über 20 Jahre relativ stabiles, eheähnliches Verhältnis zu Jack Dunphy, einem unbekannt gebliebenen Schriftsteller, der, obwohl das ungesellige Gegenteil zu Truman, lange Zeit mit ihm harmonierte.

„Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicherhörte“, sollte das Motto seines Opus Magnum lauten, das er in seiner Bedeutung nur mit Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit verglichen wissen wollte. Selbsteinschätzung war stets ein Problem gewesen, verstärkt durch den lebenslangen Druck, daß „the right people“, das literarische Establishment, ihm die Anerkennung verweigerte, die er so sehr begehrte. Mit Flaubert und immer wieder mit Proust war Truman sehr schnell bei der Hand, wenn es galt, seine eigenen Hervorbringungen qualitativ zu orten. Die „Erhörten Gebete“ sollten den endgültigen Beweis für seine Zugehörigkeit zum literarischen Olymp liefern - und er wollte ihn an einem Objekt exekutieren, dessen Wertschätzung bislang höchste Priorität gefordert hatte: die Reichen und die Superreichen, die Schönen und Mächtigen dieser Erde, deren angeblich superiores Stilbewußtsein bei der Wahl ihrer Vergnügungen aus einem Fundus unerschöpflicher, weil bezahlbarer Möglichkeiten ihn ein Leben lang fasziniert hatte. Nun gehörte er selbst zum Jet-set, hofiert und aufgenommen in den Kreis derer, zu denen er bislang aufgeblickt hatte: heute mit den Agnellis zum Skifahren in St.Moritz, morgen ein Plausch mit dem Schah, übermorgen zum Lunch bei den Kennedys. Doch die Begeisterung für die verehrten „Schwäne“ und ihr Ambiente hatte durch seine Erfahrungen gelitten; auch gab es genug offene Rechnungen aus gelegentlicher Zurücksetzung oder Mißachtung, deren Begleichung per literarischem Sammelbeleg einige Befriedigung versprach. Daß alle Literatur letztlich Klatsch sei, gehörte seit langem zu seinen Grundüberzeugungen, und so hatte ihn schon früh erregt, seine intimen Kenntnisse zu Literatur zu machen.

Aber es klappte nicht. Die Nicht -Veröffentlichungsgeschichte des zu groß angelegten Buches ist so interessant und niederschmetternd wie die Reaktion der Porträtierten auf die wenigen abgeschlossenen Kapitel, die 1986 in der Zeitschrift 'Esquire‘ erschienen. Nach Kaltblütig, einem Buch, das ihn fünfeinhalb Jahre erschöpfender Arbeit kostete, hat seine literarische Produktion keine Ergebnisse mehr hervorgebracht, die außerhalb einer unentwegten Fangemeinde zu Entzückungsschreien führten. Der Glanz war dahin, die Schreibhemmungen nahmen zu, umgekehrt proportional zum mageren Output wuchsen seine persönlichen Probleme: Das Verhältnis zu seinem langjährigen Partner veränderte sich einschneidend, Truman suchte sich neue Männer, bei deren Wahl ihn sein so berühmtes Händchen im Stich ließ. Die ausgeprägte Vorliebe für Alkoholika endete in Abhängigkeit, der Pillen- und Kokainkonsum stieg stetig und unaufhaltsam. Seine öffentlichen Auftritte, ob vor Lesepublikum oder im Fernsehstudio, wurden zu Demonstrationen eines fortschreitenden physischen wie psychischen Abbaus. Berüchtigt und gut dokumentiert sind seine unzusammenhängenden Stammeleien vor laufenden TV-Kameras, bis zur Desorientierung über seinen augenblicklichen Aufenthaltsort.

Die 'Esquire'-Artikel blieben die einzigen, die vom angekündigten Masterwork je gefunden wurden. Bis zum Schluß trieb er ein verzweifeltes Spiel mit der angeblichen Existenz weiterer, gefährlich enthüllender Kapitel, einer Unmenge von Briefen und Tagebüchern, die alle verruchten Einzelheiten fein säuberlich festhielten und zweifellos größtes Öffentlichkeitsinteresse gefunden hätten.

Truman Capote starb am 25.August 1984, kurz vor seinem 60.Geburtstag, an einer Arzneimittelvergiftung - ob die tödliche Überdosis ein Versehen oder beabsichtigt war, konnte nicht sicher geklärt werden: angekündigt hatte er sein wahrscheinliches Ende auf eben diese Weise, einer fortschreitenden Vergiftung zum Tode, so laut und häufig wie die baldige Erscheinung seiner gesammelten „Erhörten Gebete“.

Rolf Michael Richter

Gerald Clarke: „Truman Capote“, Biographie, übersetzt von Brigitte Stein, Kindler Verlag München, 736 Seiten, 48 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen