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Unter den Linden schlägt den Ku'damm

■ Eine Karfreitagstour durch die Stadtmitten Westberlins und der Hauptstadt / Wenig Menschen auf dem Kurfürstendamm, doch Unter den Linden drängeln sich die Massen / Zwischen beiden Teilen der Stadt verkehren jetzt DDR-Busse auf drei grenzüberschreitenden Buslinien

„Zahla dua i bloß, wenns obedengt sei muaß.“ Wäre er schon einmal in Berlin Bus gefahren, wüßte der in breitestem Schwäbisch Rechnende - dem Ruf seines Volksstammes gerecht werdend -, daß man in Bussen nicht schwarz fahren kann. So zahlt er dann auch widerwillig, die schöne Aussicht vom Oberdeck entschädigt ihn aber halbwegs für die immense Ausgabe. Die Was-ist-los-am-Karfreitag-Tour beginnt am Checkpoint mit dem 29er Bus Richtung westliche City. Vorbei am feiertäglich ruhigen Anhalterbahnhof, am Polenmarkt wegen Gläubigkeit der Polen ist hier fast nichts los vorbei am Luna Park, wo die Karussels heute stehen und alles leer ist. Auf dem Landwehrkanal Flotten von Motorbooten Richtung Kreuzberg, bei mildem Wetter peilen sie die Seengebiete südostlich von Berlin an. Richtung Innenstadt wird der Verkehr nur unwesentlich stärker, auch der Wittenbergplatz wirkt fast ausgestorben.

Endlich, am Europa-Center, belebt sich die Straße, aber verglichen mit früheren sonnigen Feiertagen in der eingemauerten Halbstadt... Am Ku'damm drücken sich im vertrauten Bild DDR-Bürger und Polen die Nasen an den Schaufenstern platt, in den Cafes sitzen dem Währungsgefälle entsprechend nur West-Bürger. West-Berliner sind kaum darunter, die sind entweder verreist oder Heuschreckenschwärmen gleich ins Umland eingefallen. Mit der Maueröffnung und fortschreitender Jahreszeit wird West -Berlin immer mehr eine Stadt wie jede andere: Die Innenstadt gehört am Wochenende den Touristen, sonderlich viele sind es an diesem Karfreitag nicht. Unter den zahlreichen fliegenden Händlern sind Billigsonnenbrillen -Verkäufer in der Überzahl, das Stück durchschnittlich für zehn Mark. Eine Würstchenverkäuferin mault über das schlechte Geschäft. „Von mir aus könnten se die Mauer ruich wieder zumachen, die koofen ja doch alle nüscht“.

Weiter geht die Tour am U-Bahnhof Kurfürstenstraße, von dem seit vorgestern eine der neuen Sonderbuslinien nach Ost -Berlin startet. Im Viertelstundentakt fahren von hier Busse der Ost-Berliner Verkehrsbetriebe - in Kooperation mit der BVG - über Potsdamer Straße und Potsdamer Platz nach Unter den Linden. Eine Tücke haben die orangefarbenen Busse der Marke Ikarus allerdings: Man muß den Fahrschein vor dem Fahrantritt lösen - und natürlich einen gültigen Ausweis dabei haben. Am Grenzübergang Potsdamer Platz kommt kurz ein Volkspolizist in den Bus und kontrolliert eher oberflächlich die Fahrgäste. Der Oma auf einem der hinteren Plätze entfährt ein Stoßseufzer: „Is det schön“, und sie wolle schon einmal testen, wie das gehe, für den großen Familienausflug am Ostersonntag. Der Bus biegt in die Otto -Grotewohl-Straße, wo man in die Verlängerung der U-Bahn -Linie 2 einsteigen kann. Mit dieser Buslinie ist die alte Verbindung zwischen Krumme Lanke und Pankow durch das ehemalige Zentrum von Berlin zumindest provisorisch wiederhergestellt. Zum ersten Mal seit 1946 verkehren wieder Busse zwischen beiden Teilen der Stadt, die zweite Linie fährt vom S-Bahnhof Treptower Park zum U-Bahnhof Schlesischen Tor, die dritte führt vom U-Bahnhof Vinetastraße zur U-Bahn Osloer Straße.

Am Brandenburger Tor herrscht Volksfeststimmung, trotz Gerüst und fehlender Quadriga. Originalmauerstücke mit Echtheitszertifikaten unter Pexiglas werden hier für teures Geld verkauft, überall Imbißbuden und Getränkeverkäufer. Die schönste heißt Qaudriga-Grill. In der Prachtstraße Unter den Linden promenieren Trauben von Menschen, dem äußeren Anschein nach hauptsächlich Westtouristen, alle westdeutschen Dialekte sind hier vertreten. Der Anteil von westlichen Autonummern ist deutlich höher als im Westteil der Stadt, obwohl die Polizei meldet, daß die erwarteten Besucherstürme ausgeblieben seien. Eine der Attraktionen ist das Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus, davor üben skandinavische pubertierende Mädchen den preußischen Stechschritt und finden das sehr lustig. Der Menschenstrom auf beiden Bürgersteigen und dem Mittelstreifen reißt nicht ab, bis hin zum Marx-Engels-Forum und der Betonwüste um den Alexanderplatz. An diesem Karfreitag scheint ein Trend für das vereinigte Berlin vorweggenommen worden zu sein: Der neue alte Westen wird wieder zum alten Westen und zur Vorstadt.

Kordula Doerfler

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