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Böhme will Unschuld beweisen

Schreiben an die taz / SPD-Fraktionschef Schröder rechtfertigt das Verhalten der Partei / Dennoch: Rücktrittserklärung des Ex-Vorsitzenden kam Koalitionsstrategen gelegen  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Selten haben sich Aufstieg und Demontage eines Spitzenpolitikers schneller vollzogen als am Beispiel des ehemaligen Parteichefs der DDR-Sozialdemokratie, Ibrahim Böhme. Streng formal ließe sich argumentieren, eine Demontage habe gar nicht stattgefunden, da Böhme umgehend und aus eigenem Entschluß die Konsequenz aus den Vorwürfen einer Stasi-Mitarbeit gezogen habe. Es kann kaum verwundern, daß die SPD, die ihren fulminanten Start in der neuen Parteienkonkurrenz der DDR wesentlich dem Einsatz Böhmes verdankt, dieser Argumentation zuneigt. Einem Rechtfertigungsschreiben des Böhme-Nachfolgers im Fraktionsvorsitz, Richard Schröder, jedenfalls ist zu entnehmen, daß sich die Parteiführung im Zusammenhang mit dem Abgang Böhmes keiner Schuld bewußt ist.

Der Kern der Argumentation: „Sein Aufenthaltsort war uns unbekannt.“ Deshalb habe es nach dem Rücktrittsschreiben Böhmes auch keine Möglichkeit einer persönlichen Rücksprache gegeben. Letztlich konnte die Partei nicht anders reagieren

-so die offizielle Lesart -, als einen Tag nach Erhalt des Schreibens öffentlich den Rücktritt des Parteichefs zu akzeptieren. „Ich bitte euch herzlich“ - so der Appell Schröders an die Genossen - „den Gerüchten, Ibrahim sei von Parteifreunden im Stich gelassen oder gar demontiert worden, keinen Glauben zu schenken.“

Der Loyalität Böhmes hat es die Partei zu verdanken, daß der öffentliche Widerspruch zu den Entlastungsversuchen der Parteiführung ausbleibt: Hätte es im Vorstand den naheliegenden Wunsch gegeben, den Rücktritt gemeinsam mit Böhme zu besprechen, wäre das auch möglich gewesen. Der Überbringer des Rücktrittsschreibens, der nicht im Vorstand der Partei sitzt, war ständig über den Aufenthaltsort Böhmes informiert. Dem dringenden Wunsch des amtierenden Nachfolgers Meckel, Böhme zu sprechen oder gar umzustimmen, hätte er sich kaum widersetzt. Der Wunsch bestand nicht.

Meckel selbst bestätigte gegenüber der taz, man habe sich nicht mehr um eine persönliche Rücksprache bemüht. „Es ist eben nicht normal gelaufen“ kommentierte Meckel die Passivität des Vorstandes. Zumindest die Parteipressestelle weiß, daß das Rücktrittsschreiben erhebliche Interpretationsspielräume zuließ, die eine mehrstündige Diskussion im Vorstand nach sich zogen. Konsequent ist es deshalb auch, daß das Schreiben Böhmes nur in den Teilen veröffentlicht wurde, aus denen die politischen Implikationen des Rücktritts nicht hervorgehen.

Warum Meckel keinen Wert auf ein klärendes Gespräch legte, erhellt die nichtveröffentlichte Passage, in der Böhme Karl -August Kamilli und nicht Meckel als seinen Nachfolger empfiehlt. Kamilli wollte nicht. Meckel erhielt nicht die Vorstandsmehrheit, amtiert aber seither trotzdem. Daß die 'Spiegel'-Veröffentlichung über die Stasi-Vorwürfe gegen Böhme Teil eines innerparteilichen Demontagekalküls waren, läßt sich auch dann nicht nachweisen, wenn man weiß, daß der 'Spiegel‘ von Anfang an Meckel als Spitzenmann der DDR-SPD favorisierte. Offensichtlich ist aber, daß die Story im Hinblick auf das Konzept „große Koalition“ zumindest funktional war. Böhmes Entschluß, seine Parteiämter ruhenzulassen, gab den Startschuß für die von Mal zu Mal erfolgversprechender verlaufenden Koalitionsverhandlungen. Böhme selbst hingegen hatte am Tag nach der Wahl intern erklärt, eine große Koalition sei mit ihm nicht zu machen. Auch in dieser Frage ist allerdings denkbar, daß Böhme sich

-wie schon so oft - am Ende doch der Parteiraison gebeugt hätte. Dennoch: Ein Innenminister Diestel im Austausch mit Meckels Traumressort Äußeres wäre mit Böhme als Verhandlungsführer nicht durchgegangen.

Böhme war ein Parteichef, den man nicht demontieren mußte. Die Passivität seiner Parteifreunde reichte aus, um ihn aus seinen Ämtern zu drängen. Er scheiterte letztlich an seiner eigenen Widersprüchlichkeit, dem Versuch, die Identität der demokratischen Opposition in eine Partei hinüberzuretten, die sich längst an westlichem Postengerangel und Machtkalkül orientierte. Es ist bezeichnend für seine kurze Parteikarriere, daß er just in dem Moment fallengelassen wurde, als die SPD sich anschickte, die von Böhme verkörperte Balance zwischen oppositioneller Tradition und den pragmatischen Erfordernissen der Parteipolitik endgültig aufzugeben.

Böhme meint auch die große Koalition, wenn er in einem Schreiben an die taz vom 9. April das Verhalten derjenigen kritisiert, die „das wichtigste Kernstück ihrer Identität, entstanden in der Friedens-, Menschenrechts- und Ökologiebewegung“, jetzt „in grotesker Scham verstecken“. Während Böhme nach der Wahl noch über den Bruch des oppositionellen Wahlbündnisses als entscheidendem Fehler der Partei raisonierte, war das Zusammengehen mit der Allianz im Grunde schon besiegelt. Böhme ist der einzige relevante Parteipolitiker, der seine Verwurzelung in der oppositionellen Szene als Kern seiner politischen Identität pointiert hat. Deshalb waren für ihn die Vorwürfe einer Stasi-Informantentätigkeit gegen eben diese Szene gleichbedeutend mit der Aufgabe seiner Ämter. Den Interessen seiner Parteifreunde hat er so - eher nebenbei entsprochen.

Unter dem Verdacht, so Böhme in seinem jüngsten Schreiben, werde sein Leben „wertlos“. „Ich bin selbstbewußt genug, darum zu kämpfen, nach Bereinigung der gegen mich erhobenen und von den Medien aufgegriffenen Vorwürfe meinen Platz im Parlament einzunehmen und für das einzustehen, was lange Jahre unsere Vorstellungen für eine demokratische Gesellschaft waren.“ Die Hürde, die Böhme sich da für die Rückkehr in die Politik setzt, ist zu hoch. Der Unschuldsnachweis ist nicht zu erbringen, selbst dann, wenn Böhme niemals für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Das zumindest müssen seine Freunde ihm klarmachen.

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