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Die schwierige Kunst, das Schwert zu führen

10. Kendo-Europameisterschaft: Martialische Kämpfe und japanische Zeremonien / Eine uralte geistige Disziplin  ■  Aus Berlin Olga O'Groschen

Ein höchst merkwürdiges Bild bot sich den rund einhundert Zuschauern am Osterwochenende in der Schöneberger Sporthalle. Martialisch vermummte Männer standen sich auf der Kampffläche gegenüber und droschen unter wildem Gebrüll mit ihren Bambusschwertern aufeinander ein. Für ungewohnte Ohren klangen diese Kampfschreie zunächst wie die Unterhaltung eines kranken Ochsen mit einem angeheiterten Huhn. Und die Schläge, die die fast statisch sich gegenüberstehenden Kämpfer austeilten, erinnerten weniger an die Eleganz des europäischen Fechtens als an eine Auseinandersetzung branntweintoller Holzfäller. Doch wie auch die anderen asiatischen Kampfkünste eröffnet sich Kendo erst dem geduldigen und genauen Hinsehen.

Das Kendo gründet in den Kriegskünsten der Samurai. Im Laufe der Jahrhunderte, als die Feuerwaffen das Schwert in den kriegerischen Auseinandersetzungen verdrängten, wurde der Schwertkampf als geistige Disziplin fortgeführt. Diese Entwicklung entspricht der Akademisierung des europäischen Fechtens. Die Kendo-Ausrüstung (Gesichtsmaske, Brustpanzer, dunkle rockähnliche Hosen) ist eine vereinfachte Ausführung der Samurai-Rüstung, wie ja statt der Schwerter nur mit Attrappen aus Bambus gefochten wird. Auch die Nähe der Samurai zum Zen-Buddhismus findet sich im Kendo wieder: Es gilt zunächst, die eigene Ungeduld und Unbeherrschtheit zu besiegen, ehe man gegen einen Gegner antritt.

In Japan genießt das Kendo heute mit die höchste Wertschätzung unter den Budo-Künsten. Wie das Iaido, die Kunst des Schwertziehens, hat das Kendo ein aristokratisches Image, während Judo und Karate als etwas dumpfe Sportarten für Raufbolde und Schläger gelten. Zu den Europameisterschaften kamen denn auch viele japanische Lehrer mit missionarischem Eifer angereist und vollzogen unter vielmaligen Verbeugungen die heiligen Zeremonien des Austausches der Kampfrichterfähnchen und des korrekten Kampfbeginnes.

Auch entwanden sie sich nicht ihrer Pflicht, nach Beendigung der Kampfhandlungen eine kurze Beurteilung abzugeben, in fließendem Japanisch natürlich. Der herbeigerufene Übersetzer enträtselte den japanischen Redefluß zur schnöden Weisheit des „Ihr habt gut gekämpft, müßt aber noch viel lernen“. Doch machten die Kendo -Kampfrichter uns auch mit Regeln bekannt, die hiesigen Sportarten gut zu Gesicht stünden. So kann sich ein Kämpfer Minuspunkte wegen Passivität einhandeln oder einen erzielten Treffer wegen „mangelnder Kampfhaltung“ (Zanshin) aberkannt bekommen.

Die beiden Kämpfer betreten also die Kampffläche (9*11 Meter), verbeugen sich ein erstes Mal, treten näher und verbeugen sich ein zweites Mal, gehen dann in die Hocke und legen die Spitzen ihrer Schwerter (Shinai) aneinander. Auf den Ruf des Kampfrichters stürzen sie aufeinander los und verkeilen die Shinais ineinander. Unter Stoßen und Drücken und mit den erwähnten Kampfschreien wird versucht, eine Lücke in der Deckung des Gegners zu finden und auszunutzen. Die Schläge werden seitlich gegen den Brustpanzer geführt (Do), gegen das Handgelenk (Kote) oder gegen die Gesichtsmaske (Men). Selten ist der Stoß gegen den Hals (Zuki).

Nur wenn ein Schlag mit voller Wucht und Kampfruf ins Ziel geführt wird, die Haltung während des Schlages und danach korrekt ist, wird der Treffer gegeben. Zwei Treffer beenden den Kampf, ansonsten wird über fünf Minuten gefochten. Das verbissene Kampfhahnverhalten löst sich oft zu blitzschnellen Aktionen auf, wenn ein Kämpfer ausweicht, mit ein, zwei Schritten vorsteppt, den Angriff pariert und dann selbst seinem Gegenüber das Shinai über den Scheitel zieht. Erstklassige Kämpfer waren auch in der furchterregenden Jodan-Haltung zu sehen: das Schwert wird über dem Kopf gehalten, der Kämpfer steht reglos und wartet auf einen winzigen Fehler seines Gegners.

Obwohl die Kämpfe nur dann für die Zuschauer attraktiv sind, wenn sie sich in die ungeheure Konzentration und Spannung der Kämpfer einfühlen können, war die Stimmung in der Sporthalle kolossal gut. Was sicher auch daran lag, daß die Kämpfer von Zuschauern und Kollegen mit stetigem rhythmischen Klatschen angefeuert wurden. Die bundesdeutsche Mannschaft, die seit einem Jahrzehnt in der europäischen Spitze mitmischt, scheiterte im Halbfinale unglücklich im Stichkampf gegen die Niederlande, die zuvor schon den letztjährigen Meister Schweden ausgeschaltet hatten. Das Finale zwischen den Niederlanden und Frankreich wurde klar von den Franzosen gewonnen, die trotz verbissener Gegenwehr vier der fünf Kämpfe für sich entschieden. Daß überhaupt schon 18 Nationen an diesen Europameisterschaften teilnahmen, zwanzig Jahre, nachdem Kendo hier bekannt wurde, mag die seltsame Faszination dieser Kampfkunst verdeutlichen.

Der Rahmen blieb natürlich recht europäisch, trotz einer atemberaubenden Kata-Demonstration zweier uralter japanischer Kendoka, die den 8. Dan innehaben. In langsamen, fast meditativen Schritten zeigten sie Angriff, Abwehr und Konter mit echten Schwertern. Die Kämpfer pausierten derweil mit einer Tafel Schokolade, „gute Nervennahrung“, oder ärgerten sich gut europäisch über ihre Niederlagen: „Es gibt im Sport nur den ersten Platz, alles andere ist Papier und Scheiße.“ Der junge Mann hat sicher noch einen langen Weg vor sich, die abgeklärte asiatische Geisteshaltung zu lernen, die ein anderer Kämpfer in die Worte faßt: „Tja, so schlägt man sich durchs Leben“.

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