piwik no script img

„Klatscht nicht, wixt!“

■ „Scumbox“, lautstarke Lesung aus dem New Yorker Underground in der Schauburg

Auch sogenannte Kultstars brauchen Bedingungen, wie sie dem Glas Rotwein auf der Bühne eine knappe Stunde gewährt wurde. Eine Angleichung an die Zimmertemperatur und die Entwicklung des Buketts waren für die drei Autoren in der Schauburg offensichtlich von erheblicher Bedeutung, fingen sie doch erst kurz vor Mitternacht an.

„I was dreaming a battle of raging, and I was unarmed“, begann Don Bajema in klassischer Poetenmanier an einem kleinem Tischchen mit besagtem Wein sitzend, seinen Vortrag. Gleich darauf las er von einem Typen, „all fucked up“, und er, Don, haut diesem Menschen den ersten Nagel durch den Fuß ins Holz. Das paßte so ganz zum Karfreitag, dem 13. und dem Titel der Veranstaltung, Scumbox. Sich durch die

Haare fahrend blätterte er versunken in seinem DIN-A-4 -Stapel. Voller Lampenfieber, wie der eigentliche Langstreckentrainer der US-Leichtathleten später zugab, hätte er sich ganz auf seine Rolle als Vorleser seiner existenzialistischen Texte verlassen. Ein bißchen wenig, um den Kontakt zum Publikum lebendig zu gestalten.

Mit der Anbindung an die ZuhörerInnen hatte die Performerin, Pornodarstellerin, Musikerin und nun vornehmliche Autorin Lydia Lunch keine Probleme. Ohne das gewohnte Düster-Outfit, ungeschminkt und mit roten Haaren, parlierte sie über ihre frauliche Sichtweise der Dinge. Rüde und frech marschierte sie mit verbalen Kampfschritten direkt ins Eingemachte. Zunächst forderte sie die männlichen Zuhö

rer auf, die Hände nicht zum Klatschen zu benutzen, sondern sie selbstbefriedigend einzusetzen. Daß dieser Aufforderung niemand erkennbar nachkommen mochte, mag allerdings an Lydias typisch amerikanischer Konsequenz gelegen haben. Nach einigen leidlich aufregenden Zoten beharkte sie den Saal mit einer nicht enden wollenden Tirade aller Schlechtigkeiten dieser Welt und ihrem verschrobenen Feminismus. Sexuelle Provokation gefolgt von der Moral: Die eigene Mutter als Opfer ehe-männlicher Alltagsgewalt, weibliche Genitalkrankheiten als Resultat männlicher Unterdrückung. Frau Lunchs Getobe in Billy-Graham-Manier zwischen Frauen und Auschwitz, Dioxin und Khmer Rouge war zu lang und wirkte zu simpel-radikal.

Ganz anders der Höhepunkt des Abends. Henry Rollins, von Haus aus ausschweifender Punkvirtuose, berichtete in freier Rede von allerlei Persönlichem. Der Amerikaner mit den stechenden Augen erzählte von seinen skurrilen Bekannten und aufdringlichen Unbekannten. Pete The Flowerman, der kein Pardon kannte, Paul, der Stadtstreicher-Freak und Henrys eigene ersten fünf sexuellen Erlebnisse, die allesamt völlig unerwartet mit Männern passierten, gehörten zum autobiographischen Kaleidoskop. Da war nichts aufgesetzt oder moralisch triefend, das war „american life“ von der Straße weg.

Schade, daß einer der talentiertesten Gitarristen hierzulande in seiner Wirkung verblaßte. Caspar Brötzmann machte ohne seine Gruppe den saitenzerfetzenden Pausenfüller, als wollte er den Namen Jimi Hendrix für alle Zeiten auslöschen. Das gelang ihm nicht, trotz Lautstärke und Brachialbehandlung seiner Gitarre. Das Publikum ging erst, als wirklich nichts mehr lief. Da war es drei Uhr. Lobsang Samte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen