: Im Knast wird weiter protestiert
■ Nach dem Suizid eines 27jährigen Strafgefangenen spitzt sich die Situation im Moabiter Knast nach Angaben von Gefangenen zu Die Justizverwaltung behauptet dagegen: Niemand hungert, alles ist ruhig
Am Ostermontag hat sich in der Moabiter Haftanstalt ein 27jähriger Strafgefangener das Leben genommen, indem er sich vermutlich die Halsschlagader durchtrennte. Nach Angaben eines Mitgefangene hatte der Insasse Helmut T. zuvor schon einen Suizidversuch unternommen und war erst vor 14 Tagen aus dem Haftkrankenhaus zurück ins Haus II verlegt worden. Helmut T. habe vergebens versucht, einen Sozialarbeiter oder einen Psychologen zu erreichen, aber niemand habe sich um ihn gekümmert. Obwohl die Zellentür des Inassen mit einem roten Punkt (Suzidgefährdet; d. Red.) markiert gewesen sei, hätten die Beamten nur selten nach ihm gesehen. Seit dem Suzid herrsche im Knast eine ganz schlimme Stimmung: Die Leute seien noch aggressiver und unruhiger, als sie ohnhin schon gewesen seien, betonte der Mitgefangene. Demgegenüber teilte Justizspressesprecher Achhammer, er habe die Information bekommen, daß im Knast „alles ruhig sei“. Auch daß Helmut T. bereits einen Suzidversuch hinter sich hatte, war dem Justizsprecher nicht bekannt. Achhammer wußte jedoch, daß der Gefangene „ständig unter Beobachtung stand“ und seine Zelle „regelmäßig“ kontrolliert worden sei. Helmut T. war Ende 1989 wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden. Er wäre in zehn Monaten entlassen worden. Nicht nur Hinblick auf die „Stimmung“ im Knast unterschieden sich die Informationen aus dem Knast und die der Justizpresstelle wie Tag und Nacht: So teilten einige Gefangenen gestern über Rechtsanwalt Ströbele mit, daß die Protestaktionen in den Häuser I und II für die Abschaffung des 23stündigen Einschlusses unvermindert fortgesetzt würden. Ströbele hatte von Mandanten im Knast in Erfahrung gebracht, daß im Haus II über 20 Gefangene im Hungerstreik befänden, im Haus I seien es vier Insassen. Ähnliches wurde der taz auch aus erster Quelle von dem Gefangenen Wolfgang Adler bestätigt, der im Moabiter Haus II einsitzt.
Justizpressesprecher Achhammer war demgegenüber lediglich bekannt, daß ganze zwei Insassen gestern die Annahme der Anstaltskost verweigert hätten. Von einem Hungerstreik war Achhammer nichts bekannt. Die Senatsverwaltung für Justiz sehe deshalb auch keinerlei Anlaß auf irgendwelche Forderungen der Gefangenen einzugehen, geschweige denn mit ihnen das Gespräch zu suchen. Der Justizsprecher wies daraufhin, daß er seine Informationen von Mitarbeitern der Moabiter Haftastalt beziehe und keinen Anlaß habe, an dem Wahrheitsgeahlt der Angaben zu zweifeln.
Seitdem die Gefangenen Mitte Februar mit den Protestaktionen in Moabit begonnen haben, klaffen die Zahlenangaben und Informationen der Justizverwaltung und die der Gefangenen auseinander wie kaum zuvor. Auf einer Kundgebung am Montag abend war davon die Rede, daß 40 Gefangene einen unbefristeten Hungerstreik aufnehmen würden.
plu
(Interview auf Seite 22)
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