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Stunde der Exekutive

„Tempo“ heißt weiterhin die Devise im deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß  ■ K O M M E N T A R E

Daß der neue DDR-Innenminister Diestel als erster seiner Ministerriege mit Bonn verhandelt, noch bevor de Maiziere seine Regierungserklärung vorgetragen hat, ist ein Symptom. Die Kooperation in Polizeifragen soll das Thema sein. Aber man darf annehmen, daß die Innenminister beider Deutschländer doch wohl ihre Interpretation und Marschroute nach Artikel 23 koordinieren werden. Da Schäuble das Grundgesetz nur auszugsweise unter dem Arm trägt und Diestel die geltende DDR-Verfassung vor der Volkskammer auf den Müll geworfen hat, dürfte es keine großen Verständigungsschwierigkeiten geben. Das rasche Treffen zeigt, wie die deutsche Einigung gehandhabt werden soll: als Stunde der Exekutive.

Stunde der Exekutive? Genaugenommen ist es die Stunde der Ministerialbürokratie: die Bonner Ministerialen haben offenbar carte blanche für den Entwurf eines Staatsvertrages erhalten, der - folgt man dem, was bisher bekannt wurde nichts anderes ist als ein gesellschaftspolitischer „Unterwerfungsvertrag“. Die Ostberliner Seite hat nicht einmal formell die Zeit, einen eigenen Entwurf aus der Koalitionsvereinbarung herauszuarbeiten. Ganz zu schweigen davon, daß der Regierungsapparat noch auf- bzw. umgebaut werden muß. Es wird ein Tempo vorgegeben, als ob es sich darum handele, die DDR en block über den Tisch zu ziehen. Hat Bonn die erfolgreiche Wahlkampfdemagogie vom Zeitdruck zur Maxime erhoben, obwohl die Übersiedler als innenpolitisches Instrument abgedankt haben?

Das Verhandlungstempo jedenfalls, das durch den Staatsvertrag vorgegeben wird, ist die Fortsetzung der Politik des Zeitdrucks. Der Legislative beider Deutschländer wird die undankbare Rolle des Bremsers zugeschoben. Hier herrscht offenbar Einigkeit zwischen beiden Regierungen: Im Koalitionsvertrag der großen Ostberliner Koalition wird nur die „Beteiligung“, nicht einmal die „Mitwirkung“ des Parlaments gewünscht.

Der Staatsvertragsentwurf berührt verfassungsrechtliche Tatbestände, trifft Vorentscheidungen über die Existenz beider Bevölkerungen - aber die parlamentarische Kontrolle geht gegen Null. Genschers Vorschlag eines Staatsvertrages „über die Schritte zur deutschen Einigung“, also eines Prozesses, der demokratisch kontrollierbar wäre, ist schon Makulatur. Stattdessen veranstaltet sein Parteichef Lambsdorff öffentliche Belastungsproben fürs Grundgesetz. Es gibt nicht einmal den Ansatz einer gesamtdeutschen Opposition, die sich gegen die Aushöhlung der Demokratie durch eine Exekutive unter Dampf wehren könnte. Die Regierungen sind an einem demokratischen Konsens nicht interessiert, sondern taxieren „ihre“ Parlamente nach deren Mehrheitsverhältnissen. Opposition müßte mehr denn je Verfassungsopposition sein - ganz wie im Deutschland der Kleinstaaten vor 1848. Sie müßte den Kontakt mit der „Straße“ suchen, da die Exekutive den grünen Tisch zur Geheimsache macht.

Klaus Hartung

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