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Die Angst der Ausländer vorm weißen Mann

Ein hilfloser Kriminalbeamter unterrichtet ausländische Studenten in Leipzig über „Maßnahmen zum Schutz des persönlichen Lebens“ / Ausländerfeindlichkeit hat sich seit dem Herbst erschreckend verschärft / Projektgruppe „Ausländerintegration“ an der Uni gebildet  ■  Von B.Nietsch und M.Fiedler

Im Auditorium drängten sich mehr als dreihundert Studenten, darunter etwa zwanzig Deutsche. „Es geht um die Sicherheit der Ausländer“, stand auf Plakaten, die den Abend ankündigten. Und: „Der Chef der Leipziger Kriminalpolizei belehrt über Maßnahmen zum Schutz des persönlichen Lebens“ frohe Botschaft vom Endsieg der Zivilisation; im Hörsaal Vorlesungen zum täglichen Überleben anstatt zur Philosophie. Viele Ausländer kamen, weil ihre Angst in den letzten Wochen zugenommen hat. Und es passierte, was man hätte wissen müssen: der Auftritt des Leipziger Kripo-Chefs, Wolfgang Issleib, Dienstgrad Oberstleutnant, konnte gegen diese Angst überhaupt nichts ausrichten.

Die Geschichte der Angst

Herr Issleib trägt nicht allein die Schuld daran. Denn die Angst hat ihre Geschichte. Der achtundzwanzigjährige Idrissa Embal'o aus Guinea-Bissau, der in Leipzig Tropische Landwirtschaft studiert, kennt sie gut: „Ich bin seit 1986 hier und habe häufig Ablehnung gespürt, aber das war selten offen.“ Äußerungen von Ausländerfeindlichkeit seien damals „unterdrückt“ worden und daher nur unterschwellig spürbar gewesen. Aber: „In der letzten Zeit ist es schlimmer geworden.“

Das sagen alle, ob Ausländer oder Sozialwissenschaftler. Die Verschärfung der Situation seit Herbst sei erschreckend. Ab November war plötzlich die öffentliche Artikulation all dessen möglich, was vorher keine Öffentlichkeit hatte. Artikulation gegen Schwarz, Gelb, Braun, gegen Slawen und Juden fand sehr schnell im Chor und im Gleichschritt statt. Die Anonymität der Leipziger Montagsdemo machte es möglich. Anfang des Jahres dann die ersten Ausschreitungen vor den Cafes, in denen man Schwarz, Gelb und Braun häufiger sieht. Die Unberechenbarkeit der Gefahr haben bei den Betroffenen zu Verunsicherungen geführt, die nicht mehr einfach wegzureden sind.

Genau das aber schien Anliegen des Hörsaaltreffens zu sein. Natürlich war es zu kurz gegriffen, die Nöte der Ausländer nur mit der Polizei besprechen zu wollen, weil diese die Probleme nicht lösen kann. Oberstleutnant Issleib tat nun allerdings einiges, um seine Zuhörer weiter zu verunsichern. Kein Wort von dem, was denen in den Bänken zumindestens die Hoffnung auf ihre tägliche Sicherheit gegeben hätte, kein Wort von dem, was Hauptmann Heinz Werner, Vize der Leipziger Schutzpolizei, später draußen erzählte: es gebe verstärkte Streifen im Stadtgebiet, besonders in der Nähe der Ausländerwohnheime. Statt dessen ein dreißigminütiger Landeskundevortrag im Wußten-Sie-schon-Stil, bei dem man unter anderem erfuhr, daß Leipzig an einem Stichtag im Dezember vorigen Jahres genau 530.010 Einwohner hatte.

Oberstleutnant Issleib schloß freilich nicht aus, daß ausländerfeindliche Äußerungen Folge der gegenwärtig unklaren gesellschaftlichen Situation sind. Allerdings sei eine verstärkte Aggressivität nicht nur gegenüber Ausländern spürbar, sondern auch unter den Deutschen, die ihre Meinungsverschiedenheiten jetzt radikaler austrügen. Das habe man ermittelt, indem man „Zeugenaussagen realisierte“. Als ob das seit November/Dezember nicht täglich auf der Staße zu beobachten wäre. Schließlich widmete er sich dem Sturm auf die Uni-Mensa nach der Wahlkundgebung von Bundeskanzler Kohl im März, bei dem nach Auseinandersetzungen zwischen Leipziger Linken und Rechten auch unbeteiligte Ausländer Opfer der Randale wurden.

Und dann das Thema, das Leipzig seit dem Wahlsonntag beschäftigt. Damals war es in einer Straßenbahn zu einer Drängelei gekommen, nach dem Aussteigen zu einer Prügelei. Beteiligte sagten später aus, es sei ein Ausländer gewesen, der in Bedrängnis ein Messer zog, einen Leipziger erstach und floh. Der Fall ist noch nicht aufgeklärt. Aber inzwischen wird der 25jährige Amar Salame von der Polizei gesucht. Dieser Fall und seine Folgen nährten das finstere Gerücht, Skinheads und Ausländer hätten sich irgendwo eine blutige Schlacht geliefert. Und er sorgte für erhebliche Verunsicherung und Verärgerung unter ausländischen Studenten, nachdem das Internationale Studentenkomitee und der Studentenrat der Leipziger Uni ein zweifelhaftes Rundschreiben unter die Leute gebracht hatten. Darin hieß es, Ausländer müßten sich jetzt stets so verhalten, daß sie niemanden provozierten, denn als Reaktion auf das Gerücht von der Schlacht könne es möglicherweise zu Pogromstimmungen unter deutschen Jugendlichen kommen.

Doch genausowenig wie das Studentenkomitee konnte auch Herr Issleib in seinem Vortrag mit den neuen Ängsten umgehen. Er verkündete nämlich, die Polizei würde auch weiterhin die Sicherheit eines jeden Bürgers, auch jedes ausländischen, garantieren. Die Reaktionen im Publikum reichten von offenem Hohn über Verständnislosigkeit bis zur Resignation. Zu stark war da die Reibung mit den persönlichen Erlebnissen der letzten Wochen. Von seinem Standpunkt aus mochte der Kripomann recht haben: er konnte nur mit dem arbeiten, was in der Statistik steht - ihm lagen für den Zeitraum von Oktober '89 bis März '90 113 Anzeigen ausländischer Bürger vor, davon 98 Prozent wegen Diebstahls und nur 2 Prozent wegen Körperverletzung. Nach Prüfung der Fälle sei nicht ein strafrechtlich zu Verfolgender übriggeblieben. Wie aber soll man das anzeigen, was wirklich Angst macht? Drohrufe oder Sprechchöre vor den Türen der Wohnheime. Schmierereien an den Häuserwänden oder Pöbeleien auf der Straße.

Nach dem Vortrag des Herrn Issleib waren die Mienen draußen vor dem Hörsaal bedrückt und verärgert. Wer von den Anwesenden vorher keine Angstgefühle kannte, hat sie wahrscheinlich an jenem Abend bekommen.

Integration als Lösung

Aber wie bewältigt man diese? Das riesige Defizit in Sachen Ausländerpolitik aufzuarbeiten, ist Ziel der Projektgruppe „Ausländerintegration“ an der Karl-Marx-Universität. Die zwölf Mitarbeiter der Sektion „Gesellschaftstheorien“ um die Leiterin Dr. Ursula Ueberschär sehen drei Aufgaben: Forschung und Politikberatung; Aufbau eines akademischen Beratungsdienstes, verbunden mit empirischer Forschung; und speziell auf Ausländer zugeschnittene Studienangebote im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.

Da es offiziell keine Probleme mit und durch Ausländer gab, existierte hierzu praktisch keine Forschung. Selbst vorsichtige soziologische Untersuchungen wie die des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung wurden auf Eis gelegt. Statt dessen triumphierten staatlich verordneter Internationalismus und Spendenmarken über Solidaritätsbewußtsein.

Dr. Michael Werner aus der Projektgruppe konstatiert: „Das soziale Umfeld für den Einsatz von Ausländern als Arbeitskräfte in der DDR war denkbar ungünstig.“ Per Regierungsbeschluß kamen seit Mitte der 70er Jahre Zehntausende Unbekannte in ein ihnen unbekanntes Land. Völlig unzureichende Informationen über Gast- und Heimatländer verstärkten die bewußt herbeigeführte Isolation der Ausländer. Eine Isolation, die dem DDR-Bürger selbst ja quasi wesenseigen war. Integration war offensichtlich überhaupt nicht vorgesehen. Inzwischen hat man mit den Beratungsdiensten eine längst notwendige Einrichtung geschaffen, die wohl weit nützlicher ist als eine „Polizeisprechstunde“ im Hörsaal. Im Prinzip kann jeder kommen - so makaber es klingt, Leipzig lernt mit der Angst zu leben.

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