: Eine Geschichte über die Wendigkeit
■ Im Verlag 'Zeit im Bild‘ in Dresden starten einst linientreue Leitungskader in die marktwirtschaftliche Karriere durch / Redakteure schlüpften in die schicken weißen 'Morgenpost'-Overalls / Das Sterbehauskonzept
Sagenhaft, wie viele neue schöne Geschichten das Leben heute schreibt. Über einstmals stramm SED-linientreue Leitungskader zum Beispiel, die gegenwärtig verblüffend problemlos in ihre neue, diesmal marktwirtschaftliche Karriere durchstarten. Mit dem herrenlosen Volkseigentum im Rücken und einer verängstigten Belegschaft zu Füßen. Die Geschichte von der wendigen Nomenklatura im Verlag 'Zeit im Bild‘ Dresden geht so:
Es war einmal ein Parteiverlag. Natürlich waren in ihm alle leitenden Positionen - und es gab deren nicht wenige - mit GenossInnen besetzt, die immer so funktionierten, wie es die „Partei- und Staatsführung“ wünschte, und solch Denken auch ihren Mitarbeitern anerzogen. ZK-Abteilungsleiter und Honecker-Schwager Manfred „Manne“ Feist direkt unterstellt, hatten die Druckerzeugnisse des Hauses, die mehrsprachigen Monatszeitschriften und Broschüren, all die Jahre ein heiles Bild von der kleinen, aber feinen sozialistischen deutschen Republik in die weite Welt zu tragen und dabei stets die welthistorische Leistung und Mission eines bestimmten Mannes gebührend hervorzuheben. Auslandsinformation nannte sich das. Kosten spielten wie bei manch anderer Unternehmung im Lande auch hier keine Rolle.
Für solche Produktion bestand nach der überraschenden Wende im Lande natürlich kein Bedarf mehr. Ratlosigkeit und auch böse Vorahnung beschlich die Leitenden des Hauses, die im allerhöchsten Auftrag die ganzen Jahre treu darüber gewacht hatten, daß nur die schönsten der schönen Ablichtungen von Land und Leuten Verwendung fanden und kein unbedachtes Wort der Redakteure zum Druck gelangte. Höchste Parteischulen waren dazu besucht worden.
Manche(r) wurde nun ernstlich krank davon, daß es bald nichts mehr zu leiten geben sollte. So oft man sich auch nach Berlin begab und nach einer vorgesetzten Dienststelle Ausschau hielt, keiner zeigte mehr das richtige Interesse an dem vormals so wichtigen kleinen Verlag.
Dazu sprach die neue Partei immer wieder davon, daß es nie mehr so wie früher werden würde, als man den Zugriff zu allen Kassen des Landes hatte. Nein, von dieser Partei konnte man nichts mehr erwarten. Folglich mußte man ihr auch nicht mehr angehören. Trotzdem blieb da noch ein Problemchen. Jeder im Hause wußte natürlich, auf wessen Entscheidung man einst nur in führende Positionen gelangen konnte.
Um diese schwierige Situation zu meistern, mußte die Trennung in oben und unten fallen. Und sie fiel mit dem schönen Wort von der „Solidargemeinschaft“, zu der man sich in dieser schweren Zeit zusammenfinden müsse, um allen Lohn und Brot zu sichern. Das gefiel der Belegschaft sehr, und Wellen des Vertrauens umspülten die alten Leiter, die sicher ihr Möglichstes täten, wenn man sie nur ließe...
Wieder also war Verantwortung gefragt, und keiner entzog sich ihr. Weder der Verlagsdirektor noch der Junior -Chefredakteur, der nachgerückt war, als die alte Chefin durch plötzliche Invalidität ausfiel. Ebenso wollten die meisten der in der Hierarchie folgenden Redaktionsleiter weiter an der schweren Last tragen. Auch der BGL-Vorsitzende sprach wieder und wieder tröstende Worte zu den Kollegen, er würde sie nie allein lassen. (Zu diesem Zeitpunkt war allerdings noch nicht bekannt, daß er - nach einer Reise nach Hamburg - das schwere Amt alsbald in jüngere Hände geben würde.)
Die Posten und Pöstchen waren zunächst jedoch alles, worüber man noch verfügte. Das schön gelegene Verlagshäuschen im Herzen der Elbestadt, für das sich bestimmt manch auswärtiger Verleger hätte erwärmen können, gehörte noch immer jener Nachfolgepartei, von der man sich so schmählich im Stich gelassen vorkam. Weil viele so dachten, nahm es dem Direktor auch niemand übel, als er eines Tages begann, Orden aus alter Zeit aus den Vitrinen im Foyer zu entfernen, Ehrenbanner einzurollen, Bilder von revolutionären Russen und Sprüche eines gewissen Karl Marx von den Wänden zu nehmen.
Mancher im Haus sah diese Vergangenheitsbewältigung allerdings in einem anderen Zusammenhang, mit dem sich häufenden Erscheinen seriöser Herren in der Direktion. Böse Zungen behaupteten sogar, mittlerweile parteilose Leiter händelten mit fremdem Eigentum. Es wurde jedoch bald herausgestellt, daß auch diese Herrschaften nur die edelsten Absichten hegten und auf das Wohl der Belegschaft bedacht waren.
Denn sie brachten aus ihrer Heimat Hamburg, aus dem Hause Gruner + Jahr, eine schöne neue Zeitung mit, die sie in der Partnerstadt verbreiten (und später gar einmal herstellen) wollten, damit deren Bürger nicht immer nur 'Bild‘ oder die alten langweiligen Dresdner Tageszeitungen zu konsumieren hätten.
Welch Wohlgefallen löste diese Offerte im Verlagshaus aus. Viele RedakteurInnen (vormals auch häufig einer bestimmten Partei zugehörig) konnten es nicht fassen, daß sie künftig diesem renommierten Boulevardblatt 'Hamburger Morgenpost‘ als Mitarbeiter dienen sollten. Die blanke Freude machte sich breit, und alles schlüpfte in die schicken weißen 'Morgenpost'-Overalls, als es hieß, zunächst einen kleinen Testverkauf zu starten, der den Hamburgern vom Medienkontrollrat über den Postzeitungsvertrieb bekanntlich verwehrt worden war. Noch vorhandene Skrupel bei diesem oder jenem konterte der junge, nun schon marktwirtschaftlich gestylte Chefredakteur mit dem kraftvollen Argument, Springers 'Bild‘ sei schon zu ganz anderen Zeiten ein nahezu klassischer Gegner gewesen, den es nun erst recht aus dem Feld zu räumen gelte. Von wegen Solidargemeinschaft begab sich selbst der Verlagsdirektor im Overall auf die Straße. Das wiederum war nun für alle der letzte Beweis, daß er einer der Ihren war.
Die wenigen im Haus, die von sich meinten, so wendig wären sie nicht und auch ungeübt im schnellen Gesinnungs- und Overallwechsel, erhielten vom BGL-Vorsitzenden den freundlichen Hinweis, jedem stände es natürlich frei, „in Schönheit zu sterben“.
Die grenzenlose Freude steigerte sich noch, als der kleine flinke Rechtsanwalt aus Berlin endlich auf des Volkes Stimme hörte und das Haus in dessen Eigentum entließ. Nur höchstes Lob kam über den kleinen Mann ob dieser „weisen Entscheidung“, wie es der Verlagsdirektor geschmeidig formulierte.
Doch noch immer waren Morgenpostler hier und da nicht am Ziel ihrer Wünsche, denn wie überall im volkseigenen Land besaß auch das Verlagshaus an der Oberelbe einen großzügigen Stellenplan. Mit einer solchen Last, locker marktwirtschaftlich „Sozialpaket“ genannt, mit Vorruhestandsregelungen, mit Ausgleichszahlungen, mit Stellenvermittlungen oder Entlassungen gar, wollte man die Hamburger, die doch nun wirklich schon so viel Gutes getan hatten, nicht belasten.
Wieder sannen die alten und die neuen Leiter nach einer Lösung, und sie wurde denn auch gefunden: Von einem Sterbehauskonzept würde die Belegschaft garantiert noch nichts gehört haben.
Und tatsächlich, auf der nächsten Versammlung regte sich auch kein Widerspruch, als es hieß, der Verlag wolle künftig eine Holding sein und als solche über drei liebreizende Töchter wachen, die sich mit jeweils eigener Mitgift aus dem gemeinsamen Kapital des Hauses gedeihlich entwickeln können. Vorausgestzt, sie wären fleißig und fänden bald einen netten Partner.
Tochter 'Morgenpost‘, die einen solchen Partner ja nun schon hatte, bediente sich gleich als erste aus dem gemeinsamen Hausrat. Sie wünschte sich Archiv und Fotolabor, und die Mutter sagte ja. Auf den Rest verzichtete sie großzügig zugunsten der kleineren Schwestern, bei denen eine Heirat noch lange nicht in Sicht war. Diese beiden und ihre Gefolgschaft werden sich nun kümmern müssen.
Gekümmert haben sich schon: der ehemalige Chefredakteur, die ehemaligen Redaktionsleiter (sofern sie nicht den Vorruhestand anstreben) und der BGL-Vorsitzende, der nun keiner mehr ist. Sie alle fühlen sich der ersten Tochter verbunden, und können dort genau wieder das machen, was sie schon im alten Parteiverlag für ihr Leben gern getan hatten: einen gutbezahlten Posten bekleiden und leiten. (Reporter und Redakteure werden übrigens noch gesucht, Leiterstellen sind rar, weil schon besetzt.)
Der Verlagsdirektor, von dem hier so viel die Rede war, zog seinen Übertritt zur Tochter 'Morgenpost‘ noch einmal zurück. Er entschied sich dafür, vorerst die Holding zu leiten. Nun, sollten die beiden kleineren Töchter irgendwann einmal zu kränkeln beginnen, das Interesse von Gruner + Jahr am gesamten Anwesen dürfte noch nicht erloschen sein. Dann braucht's natürlich eine Adresse, mit der man handelseinig werden kann.
Die schöne Geschichte ist für heute zu Ende. Und wenn sie nicht...
Eddi Grimm
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