: Lance-Rakete: Scheiden tut den USA weh
Die Bush-Administration fügt sich ins Unvermeidliche und gibt eine Modernisierung der in der BRD stationierten Kurzstreckenrakete Lance auf / US-Vorneverteidigung: Luftgestützte Kurzstreckenwaffen sollen durch Aufgabe der Lance gerettet werden ■ Aus Washington Rolf Paasch
Genau fünf Monate nach dem Fall der Berliner Mauer hat die Bush-Administration nun auch offiziell eingesehen, daß die Westdeutschen nicht mehr bereit sind, ihre adoptierten Brüder und Schwestern mit einer Nachfolgeversion der Lance -Kurzstreckenrakete (FOTL) in den Atomtod zu schicken. Nachdem der Kongreß die 112 Milionen Dollar für FOTL im Haushaltsjahr 1991 nicht mehr berappen wollte, und ausgerechnet Margaret Thatcher den US-Präsidenten am letzten Wochenende von der politischen Unmöglichkeit einer Stationierung in einig Deutschland überzeugte hatte, haben die Experten der US-Administration nun auch eingesehen, was jedem 12jährigen nach einem kurzen Blick auf die europäische Landkarte klar wird: Die Nachfolgerin der Lance-Rakete ist ein „non-starter“.
Wie fast alle Abrüstungsschritte der Bush-Administration entstammt auch diese Entscheidung der Angst: der Angst nämlich, von den Sowjets mit einem neuen weitreichenden Vorschlag zur Abrüstung aller atomaren Kurzstreckenwaffen in Europa erneut vorgeführt und bloßgestellt zu werden. George Bushs Entscheidung, trotz des Widerstands aus dem Pentagon nun auf die FOTL zu verzichten, ist klassische Vorwärtsverteidigung: Die landgestützten Kurzstreckenraketen sollen nun auf dem Abrüstungsaltar geopfert werden, um die luftgestützten TASM-Missiles zu retten. Diese nuklear bestückten „tactical air-to-surface missiles“ ersetzen die im Mittelstrecken-Abkommen abgerüsteten Marschflugkörper und haben, in Flugzeugen über Osteuropa transportiert, eine Reichweite bis nach Moskau.
Diese beruhigende Tatsache, sowie die gestreute Stationierung der luftgestützen Raketen in verschiedenen europäischen Ländern, so hofft die Bush-Administration, werde diese neuen nuklearen Ersatzwaffen auch der Bonner Regierung akzeptabel erscheinen lassen. Die Bush -Administration, die ihre Visionen immer nur aus einer akuten Publicity-Notwehr heraus entwickelt, sieht die TASM -Raketen (neben den seegestützten Mittelstreckenraketen) als letzten atomaren Stützpfeiler der NATO, falls in zukünftigen Verhandlungsrunden die Abrüstung aller atomaren Artillerie vom Kriegsschauplatz Europa unvermeidlich werden sollte. Am Donnerstag zitierte die 'New York Times‘ ein Mitglied der Bush-Administration mit einer besonders originellen Legitimation für die Stationierung der TASM-Raketen. Mit der Präsenz dieser US-Atomwaffen in Europa, so könnten die USA gegenüber der Sowjetunion argumentieren, werde verhindert, daß die Deutschen ihre eigenen Atomwaffen entwickelten. So als ließen sich deutsche Großmachtsträume nur noch mit einer atomaren Eindämmungspolitik bekämpfen.
Doch nicht nur das Pentagon, auch die Demokratische Partei hat Abrüstungshemmungen. Nach wochenlangen Diskussionen einigte man sich am Mittwoch auf einen „alternativen“ Abrüstungsvorschlag für das Haushaltsjahr 1991 von lächerlichen 7,9 Milliarden Dollar (13 Mrd. DM) der insgesamt von Bush anvisierten rund 300 Milliarden Rüstungsdollars. Was der Sprecher der Demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus, Tom Foley, da als „neuen Beginn einer neuen Richtung für unser Land“ feierte, ist allerdings nur noch mit einem Blick durchs Zielfernrohr zu erkennen.
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