: „Ich bin ein Ausländerfreund“
■ Porträt eines Heimleiters: Karl Maschke steht einem Pankower Arbeiterwohnheim vor, in dem 250 Vietnamesen „leben“ - sechs Personen müssen sich zwei Zimmer teilen / Es herrschen deutsche Gründlichkeit, ein rauher Ton, Sauberkeit und die Heimordnung
Pankow. Karl Maschke ist ein Ausländerfreund. Das möchte er betont und verstanden wissen. Sonst, befürchtet er, könnte man ihn falsch interpretieren, wenn er über die Probleme mit Ausländern redet. Karl Maschke ist Leiter des Arbeiterwohnheims in Pankow. Realsozialistischer Neubau, außen blau gekachelt, sechs Stockwerke hoch, mehrere Aufgänge, Platz für 700 Mann, darunter 250 Vietnamesen. „Frauen haben wir nur wenige, sechs Stück.“ Die sind auf zwei Wohnungen verteilt - jeweils drei in einem Zimmer mit Küche und Bad. Sogenannte Zwei-Raum-Wohnungen müssen sich sechs Personen teilen, in Drei-Zimmer-Wohnungen leben die Leute zu acht. Dafür, sagt Maschke, kann man ihn nun wirklich nicht verantwortlich machen. Das hätten sich die beiden Außenminister, „der aus Vietnam und der von uns“, überlegen sollen, bevor die Vietnamesen bei Bergmann/Borsig oder beim Transformatorenwerk in Schöneweide ans Band gingen.
Wenn Maschke mit „seinen“ Heimbewohnern redet, geschieht das meist nicht in Zimmerlautstärke. Maschkes Stimme dröhnt, als sei die Schwerhörigkeit der Vietnamesen schuld an den Verständigungsproblemen und nicht deren mangelndes Deutsch oder sein mangelndes Vietnamesisch. Auf der Haustafel werden alle Heimbewohner zum „Wettbewerb für das sauberste Zimmer“ aufgerufen. „Im Interesse der Sauberkeit Betreten in schmutziger Arbeitskleidung verboten“, steht an der Eingangstür.
Auf dem Schreibtisch liegen zerfranste Kabel, Steckdosen und Kerzenstümpfe - konfisziert bei Kontrollgängen durch die Wohneinheiten. Der Zusammenprall von 250 Vietnamesen und 500 DDR-Bürgern in einem Wohnblock wird für Maschke vor allem in zwei Dingen manifest: dem Brandschutz und der Sauberkeit. Maschke hat den Desinfektionstrupp bestellt, weil wieder einmal Schaben aufgetaucht sind. „Dabei hatten wir so gut vorgebeugt“, sagt er, „als nur Deutsche hier gewohnt haben.“
„Wir sind ein Volk“, klebt auf schwarz-rot-goldenem Grund an der Fahrstuhltür. In Nummer 487, Aufgang vier, teilen sich Nguyen Van Binh und vier Kollegen zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad. Wenn die Schichten beim noch volkseigenen Kraftfahrzeuginstandsetzungsbetrieb (KEB) gut verteilt sind, kann man sich einigermaßen aus dem Weg gehen. Manchmal sitzen alle fünf gleichzeitig in der Wohnung, hören Musik oder sehen fern. Nguyen und die anderen sind im April 1988 in die DDR gekommen. Damals war die DDR noch sozialistisches Bruderland, die „Kooperation mit ausländischen Werktätigen“ fiel unter die Rubrik „Völkerverständigung“. Weil auch „Völkerverständigung“ juristisch geregelt sein muß, hat Nguyen während seines vierjährigen Arbeitsaufenthalts Anspruch auf fünf Quadratmeter Wohnraum. Selbstgebastelte Vorhänge vor den Betten simulieren Privatsphäre. Maschke inspiziert die Konstruktion bei seinem Prüfgang mit Mißfallen. „Wie soll man da zum Putzen an die Fenster kommen?“
Die vietnamesische Regierung ist mit dem Verleih ihrer Bürger an die DDR bislang nicht schlecht gefahren. Die Arbeitslosigkeit im eigenen Land wird abgemildert, außerdem kassiert Hanoi zwölf Prozent des Einkommens seiner StaatsbürgerInnen ein. Wie sehr die DDR bei diesem Deal ökonomisch profitierte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nguyen wird vorzeitig bei KEB rausfliegen - das steht fest. Ebenso die einhundert Vietnamesen aus dem Wohnheim, die im Transformatorenwerk in Schöneweide arbeiten. Achtzehn seiner Landsleute sind diesem Schritt schon zuvorgekommen, haben sich nach West-Berlin abgesetzt. Vielleicht bemüht man sich von seiten der Betriebsleitung, die Vietnamesen anderswo unterzubringen. Immerhin - man springt mit ihnen nicht so um wie im Glaswerk Stralau mit den Mosambikanern. Weil man dort nun an der Schwelle zum Kapitalismus rationalisieren will, beantragte die Betriebsleitung kurzerhand beim zuständigen Ministerium für Arbeit und Soziales die Rückführung von Mosambikanern wegen „Verstoßes gegen die sozialistische Arbeitsdisziplin“. Anderswo haben deutsche Arbeitnehmer Streiks angedroht, falls die AusländerInnen nicht gekündigt werden. Die Wohnheime werden zunehmend zum Haßobjekt in den Städten und Dörfern. Die Anwesenheit der VietnamesInnen und MosambikanerInnen ist zudem Relikt des SED-Regimes; das legitimiert den Ausländerhaß und steigert ihn zusätzlich.
Maschke wundert sich darüber nicht. Ausländerwohnheime „mitten in die Bevölkerung“ zu setzen, findet er ohnehin unverantwortlich. Etwas außerhalb der Wohngebiete müßten die Heime liegen „und abgezäunt“, damit es keine Reibereien mit den Deutschen gibt. Im übrigen, möchte er noch mal betonen, sei die Zusammenarbeit mit den ausländischen Kollegen wirklich gut.
Andrea Böhm
(Alle Namen von der Red. geändert)
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