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Obdach - Frau S. und der Vermieterwille

■ Marianne S. droht im Juni der Einzug in die Obdachlosen-Pension / Sie wohnte bei ihrem Freund ohne Mietvertrag / Der soziale Abstieg ist vorprogrammiert / Einmal obdachlos, „finden Sie keine Wohnung mehr“

Moabit. Marianne S. (35) hätte „nie für möglich gehalten“, daß sie einmal obdachlos werden würde. Jetzt ist es wohl soweit: Am 30. Juni muß sie ihre Wohnung verlassen. Eine neue Wohnung hat sie trotz eineinhalb Jahren intensiver Suche nicht gefunden. Da sie Sozialhilfe bezieht, müßte sie dann in ein Zimmer einer Obdachlosen-Pension ziehen.

Dabei hat Marianne S. ihre Miete immer gezahlt. Nur: Ihr Name stand nicht an der Tür - sie war nicht mit im Mietvertrag. 1984 zog sie in die Wohnung zu ihrem Freund. Doch der Vermieter erlaubte die Untervermietung an Marianne S. nicht. Wenige Monate nach ihrem Einzug trennte sich der Freund von ihr und zog aus der Wohnung aus. Die Eigentümer Jander klagten darauf gegen die Untermieterin. Vor Gericht einigte man sich im September in einem Vergleich auf eine Räumungsfrist von neun Monaten. Mit dem Vergleich sparte Marianne S. außerdem die Hälfte der Verfahrenskosten, denn wenn ein Urteil ergangen wäre hätte sie die Räumungsklage wahrscheinlich verloren.

Doch was Marianne S. im letzten September nicht ahnen konnte: Inzwischen ist der Wohnungsmarkt dicht. Und beim Kampf um Quadratmeter ist sie dreifach benachteiligt: Sie ist eine alleinstehende Frau, Sozialhilfeempfängerin und leidet unter Angstzuständen, weshalb sie seit fünf Jahren in psychotherapeutischer Behandlung ist. Auf Grund ihrer Neurose kann sie auch nicht mehr als Anwalts- und Notariatsangestellte arbeiten und ist vom staatlichen Geldsegen abhängig. Selbstständig auf Wohnungssuche kann sie nur in den benachbarten Stadtteilen gehen, weil sie in überfüllten U-Bahnen und Bussen Panik bekommt.

Der Hausverwaltung war egal, ob Marianne S. eine Wohnung finden wird. Der taz sagte Frau Lorenz, Mitarbeiterin der Hausverwaltung, daß die Mieterin sich „gegen meinen Willen im Haus aufhält“. Ein vermittelnder Brief eines Sozialarbeiters, der zusammen mit zwei weiteren KollegInnen für soziale Wohnhilfe bei der Arbeiterwohlfahrt zuständig ist, konnte bei der Verwaltung auch nichts mehr bewegen. Daß ein Auszug für „Frau S. neben einer Verschlechterung ihrer Krankheit auch mit Sicherheit einen sozialen Abstieg zur Folge hat“, war kein überzeugendes Argument. Der Sozialarbeiter betreut im Jahr 200 Fälle und kann nur selten helfen, „weil wir nur wenige Wohnungen vermitteln können. Und wenn man mal guckt wie Obdachlose untergebracht werden, dann kann man nur sagen: In Berlin haben wir Zustände wie in Südamerika.“

Und selbst wenn Marianne S. etwa eine zwar teurere, aber immerhin wieder eigene Wohnung fände, würde das Sozialamt im Bezirksamt Tiergarten es ablehnen, für sie eine Miete von z.B. 800 D-Mark zu bezahlen. Dabei kostet ein Zimmer in einer Obdach-Pension die Staatskasse sogar 400 Mark mehr: 1.200 Mark. „Aber so ist die Bundessozialhilfegesetzlage nun einmal“, begründet Thomas-Peter Gallon, Presse-Sprecher der Sozialverwaltung, die teure Absurdität. Den engen gesetzlichen Spielraum, den die Bezirksämter haben, sollen sie allerdings auch nutzen, forderte Sozialsenatorin Stahmer bereits im März letzten Jahres.

Marianne S. hat jedenfalls einen Satz ihrer Sozialarbeiterin nicht vergessen: „Wenn Sie erst einmal im Obdach sind, dann kriegen sie wirklich keine Wohnung mehr.“

Dirk Wildt

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