: Bonner Einsicht beim Umtauschkurs?
■ 'Spiegel‘ zitiert internes Kabinettspapier / Danach soll es bei Löhnen, Renten und kleinen Sparguthaben einen Umtauschkurs von 1:1 geben / Einheit soll bis zu 40 Milliarden Mark im Jahr kosten / BRD-Sozialversicherer wollen sich an Anschubfinanzierung nicht beteiligen
Berlin (dpa/afp/taz) - Kurz vor Beginn der Regierungsverhandlungen zwischen Bonn und Ost-Berlin über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion scheint die Bundesregierung nach einem Bericht des 'Spiegels‘ jetzt bereit, vom ursprünglich geplanten Umtauschkurs 2:1 abzurücken. Das betrifft die Löhne, die abhängig von den Einkommen berechneten Renten sowie die Sparguthaben der DDR -BürgerInnen. Auch führende DDR-Politiker sowie die Staatsbank des Landes sprachen sich für einen Kurs 1:1 aus.
Doch der Umtauschkurs ist nicht der einzige Konfliktpunkt bei der Finanzierung des Einheitsprozesses, die sich nach neuesten Schätzungen des Finanzministeriums auf 20 bis 40 Milliarden in diesem und 40 bis 60 Milliarden Mark im nächsten Jahr belaufen wird. Neue Differenzen gab es am Wochenende auch über die sogenannte Anschubfinanzierung für ein Sozialversicherungssystem in der DDR. Vertreter der bundesdeutschen Sozialversicherungsverbände erklärten, die Starthilfe für ein leistungsfähiges Versicherungssystem könne keinesfalls aus den Kassen des bundesdeutschen Sozialsystems bestritten werden.
Das jetzt veröffentlichte geheime Kabinettspapier sieht entgegen dem ursprünglichen Vorschlag des Zentralbankrates einen Kurs 1:1 bei den Löhnen vor. Auf dieser Basis könnten dann die Tarifpartner um die Höhe der Einkommen verhandeln. Die Höhe der Renten sollten 70 Prozent des Nettolohnes betragen. Bei einem Durchschnittseinkommen wären das etwa 700 Mark - 200 Mark über dem bisherigen Niveau.
Für den Umtausch der Sparguthaben geht das Papier von unterschiedlichen Kursen aus. Der ursprünglich auf einen Betrag von 2.000 Mark beschränkte Kurs 1:1 soll jetzt für Guthaben bis 5.000, möglicherweise bis 8.000 Mark gelten.
Für die restlichen Guthaben sind drei Kurse vorgesehen: 2:1 für Guthaben über 5.000 bzw. 8.000 DM, die schon vor dem 1.Dezember 1989 auf dem Konto waren und einen noch schlechteren für später eingezahltes Geld. Spekulationsgeschäfte sollen dadurch verhindert werden, daß Nicht-DDR-BürgerInnen mit einem noch ungünstigeren Kurs für DDR-Mark-Konten rechnen müssen.
Unterdessen haben sich die bundesdeutschen Sozialverbände energisch dagegen ausgesprochen, die Anschubfinanzierung für die künftigen DDR-Sozialversicherungen aus bundesdeutschen Sozialkassen zu bezahlen. Sie regten eine Finanzierung aus Steuermitteln an. Nur so könne eine gerechte Lastenverteilung unabhängig von der Einkommenshöhe gewährleistet werden. Die Sozialverbände wandten sich damit gegen Überlegungen von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), für die bundesdeutschen Sozialversicherungen bestimmte Gelder teilweise für eine vorübergehende Deckung der Kosten der deutschen Vereinigung zu verwenden.
Der stellvertretende Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Franz Ruland, erklärte, wer heute die Rücklagen der Rentenversicherung „für andere Zwecke einsetzt, muß wissen, daß er damit Lücken aufreißt, die später durch erhöhte Sozialversicherungsbeiträge wieder geschlossen werden müssen“.
Neben der Finanzierung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist auch die Terminierung nach wie vor offen. Ministerpräsident de Maiziere erklärte am Wochenende, er gehe davon aus, daß der Zeitplan für die Währungsunion durch die Wünsche der Menschen in der DDR bestimmt werde. Die aber wollten „mit der D-Mark in Urlaub fahren.“ De Maiziere nannte erneut den 2.Juli als voraussichtlichen Termin. Zum Bonner Entwurf des Staatsvertrags sagte er, es handele sich bislang lediglich um inoffizielle Dokumente. Bisher sei darüber noch nicht verhandelt worden.
Die Bonner SPD bezeichnete den Entwurf zum Staatsvertrag, der in Teilen bereits von der Presse veröffentlicht wurde, als „nicht abschlußreif“. Sie forderte eine Verschiebung des Termins für die Währungsunion. SPD-Fraktionsvize Wilfried Penner nannte den Entwurf eine „Kapitulation der DDR“ per Staatsvertrag.
eis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen