: Numerus-clausus-Mauer um die FU?
■ Der Politikwissenschaftler Peter Grottian plädiert für eine bewußte Öffnung der Hochschulen für DDR-StudentInnen / Statt schnellem Abkupfern von westlichen Studiengängen durch DDR-Universitäten fordert er eine Gesamtberliner Hochschulkonferenz
West-Berlin. Die Hochschulsenatorin Barbara Riedmüller macht eine entscheidungsfreudige Politik, ob überlegt und hinreichend sensibel, ist zweifelhaft. Jüngstes Beispiel ist ihre Sorge um die Berliner Hochschulen angesichts des zu erwartenden Ansturms von DDR-AbiturientInnen. In einem Brief an die Präsidenten und Rektoren der Berliner Hochschulen fordert sie - anders als die konservativ regierten Bundesländer, die eine DDR-Hochschulreife nicht anerkennen wollen - eine Berliner Quotenregelung und begründet eine solche Maßnahme mit der Annahme, daß sich aus der DDR mindestens 5.000 StudentInnen an den Berliner Hochschulen einschreiben wollen und so nur eine Quotierung ordnungsgemäße Bedingungen in Lehre und Forschung gewährleisten könnte.
Da die DDR-Zeugnisse etwa eine ganze Note besser ausfallen als die bundesdeutschen Abiturnoten und eine faktische Bevorzugung von BewerberInnen aus der DDR „bildungspolitisch und verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar sei“, sollen die Bewerbergruppen aus der DDR und der Bundesrepublik in getrennten Quoten ausgewählt werden. Die Zulassungszahlen sollen durch den jeweiligen Akademischen Senat beschlossen werden. Nach allem, was man aus dem Präsidialamt der FU und einzelnen Fachbereichen erfahren kann, steht damit entweder ein flächendeckender oder ein erweiterter fächerselektiver NC unmittelbar bevor.
Die Aufgeregtheit und die Argumentation stimmen zumindest für die FU - an der TU mögen die Probleme gravierender sein
-nachdenklich. Die Prämissen der Argumentation der Senatorin sind alle wenig überzeugend: Die Annahme eines Ansturms läßt sich aufgrund der vorliegenden Zulassungszahlen für das Sommersemester nicht halten. Die Zulassungszahlen für Erstsemester sind insgesamt etwa gleich geblieben - trotz der zusätzlichen 558 DDR-StudentInnen. Auch eine Nachfrage bei KollegInnen verschiedener Fachrichtungen ergibt kein anderes Bild: ab und an ein DDR -Student in einem Anfängerkurs gesichtet, von Überschwemmung keine Rede.
Auch die Annahme, im Wintersemester käme es zu einem Sturm auf die FU, steht auf tönernden Füßen. Sicherlich wird ein Ansteigen durch die Erhöhung der Studienberechtigten, die bisher nicht studieren durften, und schließlich durch die erhöhten „NVA-Freisetzungen“ zu verzeichnen sein, aber wie sich das wirklich auswirken wird, ist völlig unabsehbar. Die Zahlen jedenfalls, die genannt werden, entsprechen mehr einem Daumenpeilverfahren als einer seriösen Argumentation, weil völlig offen ist, wie die DDR-StudentInnen ihre zukünftige Studiensituation selbst einschätzen. Natürlich wird es viele geben, die sofort anders lernen wollen, aber vieles spricht nach meinen Diskussionen mit StudentInnen aus Ost-Berlin dafür, daß ein ganz vorsichtiger Pragmatismus des Abwartens mindestens genauso wahrscheinlich ist.
Wenn das alles einigermaßen plausibel ist, dann fragt sich, ob die Senatorin Riedmüller gut beraten war, zum falschesten Zeitpunkt ein falsches politisches Signal der Abschreckung auszulösen. Es mutet geradezu kleinkariert an: als ob die Senatorin die Mauer vor dem Brandenburger Tor wieder um die Berliner Hochschulen aufbauen wollte. Anstatt für die politische Situation sensibel zu sein, fällt ihr nicht mehr ein als das Verwaltungsselbstinteresse der Hochschulen schützen zu wollen. Ich kann den Verdacht nicht unterdrücken, daß die DDR-StudentInnen hier ein willkommener Vorwand für eine Politik sind, den NC endlich flächendeckend einführen zu können - nachdem der studentische Streik noch politische Behutsamkeit anmahnte. Zu fordern sind von der Senatorin und dem FU-Präsidenten nicht bürokratisch -verkrüppelnde NC-Regelungen, sondern das, was angesichts der historischen deutsch-deutschen Situation angemessen ist: 1. Die Berliner Hochschulen müssen sich ihrer besonderen politisch-geographischen Verantwortung und Attraktivität bewußt stellen und sich darauf einlassen, zumindest im Wintersemester eine unübersichtliche, möglicherweise etwas überfülltere Situation auszuhalten. Nichts ist zur Zeit wichtiger als alle Möglichkeiten wissenschaftlicher und persönlicher Kommunikation zu fördern. Das Signal an die DDR -StudentInnen darf nicht der NC sein, sondern wir tun alles, um studentische Optionen auf Zeit möglich zu machen. 2. Die Fachbereiche sind aufzufordern, mindestens ein Zehntel ihres Lehrangebots als Überlastprogramm für das Wintersemester an den Ostberliner Hochschulen zusätzlich anzubieten. Die Senatorin hat hierfür Mittel zur Verfügung gestellt, die aufzustocken sind. Bisher läuft das alles noch sehr schleppend, und ein Lehrangebot mit über 30 Lehrveranstaltungen des FB Politische Wissenschaft ist die Ausnahme. Die jetzt anlaufenden FU-Lehrplanungen sollen die DDR-Verpflichtung zwingend enthalten, um mit einem guten Lehrangebot in Ost-Berlin den möglichen Zustrom aufzuhalten. Erst nach dieser Erfahrung ist eine NC-Diskussion sinnvoll. 3. Dringend wäre, spätestens für den Herbst eine „Gesamtberliner Hochschulkonferenz“ einzuberufen, in der alle universitären Gruppierungen über eine zukünftige Struktur der Berliner Hochschulen streiten. Dabei ginge es nicht nur um vernünftige Größenverhältnisse - FU und TU dürften nicht mehr wachsen - sondern um eine produktive Vielfalt von Forschungs- und Lehrinstituten. Das zur Zeit zu beobachtende Abkupfern von westlichen Studiengängen durch DDR-Universitäten, um mit westlichem Aufputz den Kopf zu retten, kann keine Lösung sein, die für die Gesamtberliner Situation tragfähig ist. Damit verbunden ist auch die Vorstellung, daß die Kulturminister der Länder in Bonn darauf drängen, im nächsten Bonner Programm für die DDR die Hochschulen nicht nur mit ein paar lächerlichen Brosamen abzuspeisen.
Peter Grottian, Politik-Professor an der FU
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