: Bedingungslose Kapitulation
Tschernobyl muß Warnung bleiben ■ G A S T K O M M E N T A R
Für alle, die sich nichts vormachen wollen, ist Tschernobyl eine unübersehbare Warnung. Anders für die internationale Gang der Atomindustriellen. Sie wissen längst, daß sie auch gehen müssen, aber sie machen dennoch weiter. Bis zum bitteren Ende wollen sie durchhalten, weil sie nicht zugeben können, daß sie auf dem falschen Weg waren. So haben Hitler und seine Fanatiker auch dann noch weiter ihren längst zum Untergang verurteilten Traum vom Tausendjährigen Reich festgehalten, als der Untergang in wenigen Wochen schon unvermeidbar war. So hat Honecker mit seinem Politbüro das aussichtslose Projekt DDR aufrechtzuerhalten versucht, als der Ruin für jeden sichtbar war. Die Hartnäckigkeit, mit der die Verführer sich an ihren irrigen Vorstellungen und sinnlosen Handlungen festklammern, ist eine nicht zu unterschätzende Kraft. Und doch kommt unweigerlich der Tag, an dem die Macht der Tatsachen sie zwingt loszulassen.
Muß es wirklich erst ein Super-GAU in Europa, USA oder Japan sein, der den Atomfanatikern deutlich macht, daß sie die notwendige hundertprozentige Garantie für technische und menschliche Fehlerfreiheit niemals schaffen können? Werden sie endlich einsehen, daß sie der Menschheit und ihrer Zukunft Risiken aufbürden, sie untragbar sind? Denn anders als bei allen anderen Katastrophen gehen Atomunglücke weit über die Gegenwart hinaus und schädigen nicht nur die gegenwärtig lebenden, sondern vergiften auch das Leben der künftigen Generationen.
Als die besiegten Deutschen vor fast genau 45 Jahren, Ende April 1945, erste vorsichtige Friedensfühler ausstreckten, antworteten ihnen die Alliierten, daß sie sich nur auf eine bedingungslose Kapitulation einlassen könnten. Genauso müssen sich jetzt die bedrohten Bürger dieser Erde verhalten und verlangen: Keine Kompromisse in Sachen Atomkraft, keine falschen Versprechungen, keine Illusionen mehr. Schluß endgültig, und so bald wie möglich. Auch wenn das vorrübergend einige Schwierigkeiten bereitet. Erst dann wird man mit der notwendigen Energie und den genügend großen Mitteln daran gehen, umweltfreundliche, unerschöpfliche Energiequellen zu erschließen. Die Schrecken von Tschernobyl und seinen Folgen können und sollten Anfang für einen radikalen Neuanfang sein.
Robert Jungk
P.S. Übrigens: Der führende Atombefürworter Englands, Marshall, hat vor einigen Tagen gesagt, daß der Versuch einer Durchsetzung der Atomindustrie in Großbritannien aussichtslos sei. Aber das ist ja auch ein Engländer.
Der Autor ist Publizist und Zukunftsforscher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen