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MARCIA PALLY

 ■ Short Stories from America: Das Recht auf Entschuldigungen

Es gibt einen ganz einfachen Grund, warum Ollie North im Zusammenhang mit dem Iran-Contra-Prozeß immer noch Probleme hat: Er hat nicht gesagt, daß es ihm leid tut. Meine Mutter hat mir beigebracht, mich immer zu entschuldigen, wenn ich irgendwie in Schwierigkeiten kam, auch wenn ich selbst eigentlich nicht schuld war, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß das in den Augen der anderen tatsächlich einen enormen Unterschied machen kann. Erst im letzten Monat hat die DDR gesagt, wie sehr sie die Sache mit den Konzentrationslagern der Nazis bedauert, und die Sowjets haben öffentlich für das Massaker im Wald von Katyn um Verzeihung gebeten. Diese beiden Entschuldigungen haben sehr geholfen bei dem Bemühen, eine Menge von aufgebrachten Gemütern wieder zu beruhigen. Wenn Ollie sein Land gebeten hätte, ihm zu vergeben, dann hätte ihm das zweifellos viele Sympathien eingetragen bei den Amerikanern, für die er jetzt als einer der größten Ganoven seit Nero oder G. Gordon Libby dasteht. Und wenn er schon nicht bereit war, sich dafür zu entschuldigen, daß er Waffen geschmuggelt, gegen die Vorschriften des Kongresses verstoßen oder dazu beigetragen hat, einen schmutzigen Krieg noch weiter zu verschärfen, so hätte er doch zumindest sagen können, daß es ihm leid tut, daß er die ganze Sache versaubeutelt hat. Bei uns mögen es die Leute eben, wenn die Helden ein wenig Demut zeigen. Wie Rocky zum Beispiel.

Auch Pinochet hat sich geweigert, sich öffentlich bei seinem Volk zu entschuldigen, und jetzt hat er prompt seinen Posten verloren. Das gleiche gilt für Pater Bruce Ritter: Niemand hat ihm zum Vorwurf gemacht, daß er einen Teil der für die Betreuung von jugendlichen Trebegängern bestimmten Spendengelder abgezweigt und für einen ganz privaten guten Zweck verwendet hat, aber die Tatsache, daß er sich an minderjährigen Knaben vergangen hat, die seiner Obhut anvertraut waren, hat ihm in den Augen der Öffentlichkeit schwer geschadet. Heute verschimmelt er langsam irgendwo in einem Franziskanerkloster, aber die Sache hätte auch einen ganz anderen Ausgang nehmen können, wenn er vor den Augen der Fernsehkameras Darryl J. Bassile und all die anderem Jungen um Vergebung gebeten hätte. Vielleicht wären sie ihm um den Hals gefallen und alle hätte geweint. Warum nicht, schließlich hat ja auch Jimmy Swaggart in der Öffentlichkeit Tränen vergossen, nachdem man ihn mit einer Nutte auf dem Rücksitz seinen Wagen erwischt hatte - und genau das ist es, was zumindest in den Augen der Kirchgänger in unserem Land wirklich zählt.

Vielleicht hätten Moskau und Vilnius heute weniger Probleme mit der Benzinversorgung, wenn sie rechtzeitig ein wenig mehr heiße Luft darauf verwendet hätten, sich gegenseitig zu entschuldigen. Und wo wir gerade von natürlichen Ressourcen sprechen: Exxon hätte sein angeschlagenes Image in der Öffentlichkeit beträchtlich aufpolieren können mit einer kleinen Show anläßlich des in den letzten Wochen begangenen Earth Day. Die Kunststoffindustrie, die immerhin fünf der sechs gefährlichsten Chemikalien auf der ganzen Welt verwendet, braucht niemanden um Entschuldigung zu bitten, weil höchstens noch die ganz radikalen Grünen wissen, worum es sich dabei tatsächlich handelt. Und die Ölgesellschaften, die dafür verantwortlich waren, daß im letzten Dezember vor der Küste von Marokko fast zweihundertmal soviel Öl ins Meer gelaufen ist wie bei der Katastrophe mit der Exxon Valdez, brauchen sich ebenfalls nicht zu entschuldigen, weil Marokko diejenigen, die sich mit Public Relations beschäftigen, überhaupt nicht interessiert. (Ich habe auch nichts davon gesehen, daß die Zeitungen mit riesigen Schlagzeilen auf die Ölpest von Marokko eingegangen wären.) Wenn ich so richtig darüber nachdenke, dann braucht allerdings nicht einmal Exxon sich zu entschuldigen, zumindest seit sie sich neulich in der Affaire mit den Kondomen so stark gemacht haben. Es scheint, als hätten die zartbesaiteten Exxonbosse an den Gummi-Automaten in ihren Tankstellen Anstoß genommen und sie entfernen lassen. Ich habe gehört, sie hätten sich Sorgen gemacht, daß unsere Highways mit den Kondomen verschmutzt werden könnten.

Man stelle sich vor, wie einige wenige geschickt plazierte öffentliche Entschuldigungen sich für das Verhältnis zwischen den Rassen in unserem Land auswirken könnten. So könnte doch die Regierung beispielsweise den Führern der Schwarzen eine kurze Mitteilung darüber zukommen lassen, wie sehr es ihr leid tut, daß schwarze Männer eine Chance von eins zu dreiundzwanzig haben, umgebracht zu werden, ehe sie das Alter von 25 Jahren erreichen, während weiße Männer nur eine verschwindend geringe Chance haben, überhaupt ermordet zu werden. Oder wie betroffen sie darüber ist, daß die Zahl der schwarzen College-Studenten seit Mitte der siebziger Jahre von 35 auf 28 Prozent gefallen ist, während gleichzeitig die Vollbeschäftigung bei dieser Gruppe von 44 auf 35 Prozent und das Realeinkommen um fünfzig Prozent gesunken sind. Nach der Statistik erreichen 55 Prozent der männlichen Einwohner von Bangla Desh ein Lebensalter von 65 Jahren, während in Harlem nur 40 Prozent der Männer so alt werden. Das Weiße Haus könnte in diesem Zusammenhang wirklich ein wenig mehr Betroffenheit und Reue zeigen.

Und wenn die Regierung schon mal dabei ist, könnte sie auch viele der Staatsbürger ein wenig beruhigen, die gerade jetzt wieder ihre jährlichen Steuerzahlungen leisten, wenn sie nämlich zeigen würde, wie groß ihre Betroffenheit darüber ist, daß ausgerechnet der Bezirk von Washington D.C. die höchste Rate von Steuervergehen im ganzen Land aufweist. Wenn Bush es über sich brächte zu sagen, daß es ihm leid tut, dann hätten viele Leute nicht mehr das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Natürlich kann man dagegen einwenden, daß es kaum eine Rolle spielt, ob unsere Kongreßabgeordneten (und die residieren vor allem im District of Columbio) ihre Steuern bezahlen oder nicht, weil ihr Steuersatz ohnehin so niedrig ist. Tatsache ist zum Beispiel, daß die ein Prozent der reichsten Familien Amerikas auf ihre Einkommen heute 15 Prozent weniger Steuern entrichten müssen als noch vor zehn Jahren, während gleichzeitig die ärmsten 20 Prozent aller Familien 19 Prozent mehr Steuern zahlen. Ich habe mir die Mühe gemacht, eine Art „offenen Brief vom Weißen Haus an das amerikanische Volk“ zu entwerfen, in dem sich der Präsident unter anderem dafür entschuldigt, daß die Top-Manager in der amerikanischen Automobilindustrie etwa das 192fache dessen verdienen, was ein Durchschnittsarbeiter am Fließband bekommt. Das wäre meiner Meinung nach doch ein ausgezeichneter und erfolgversprechender Ansatz - immerhin verdienen die Top-Manager in der japanischen Autoindustrie noch zwanzigmal mehr.

Und schließlich würde auch in der Kontroverse um Robert Mapplethorpe ein wenig Reue und Zerknirschung ein ganzes tück weiterhelfen. Zuerst wurde seine Photoausstellung in der Galerie Corcoran in Washington D.C. abgesetzt, und jetzt geht die Stadt Cincinnati wegen angeblicher Obszönität gerichtlich gegen die Ausstellung vor. Was mich betrifft, so finde ich, die zuständigen Veranstalter haben völlig falsch darauf reagiert. Sie sollten dafür soren, daß Mapplethorpe aus seinem Grabe aufsteht und öffentlich verkündet: Tot sein bedeutet, nie mehr sagen zu müssen...

Die New Yorker Jounralistin Marcia Pally ist in den USA als Feministin bekannt und zugleich Chef-Filmkritikerin von 'Penthouse‘. Sie schreibt u.a. für die 'Village Voice‘, 'The Nation‘ und die 'New York Times‘. Und einmal im Monat in der taz, was wir Europäer über den Großen Bruder wissen sollten.

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