: Die Schlammschlacht hat begonnen
■ In den Parteien läuft bereits das Gerangel um die Bundestagskandidaten
Berlin. Die offizielle Entscheidung über das Ob in Bonn ist immer noch nicht gefallen, da hat in Berlin längst das parteiinterne Gerangel begonnen: Wenn die Berliner sich zum ersten Mal direkt an Bundestagswahlen beteiligen dürfen, müssen die Parteien Kandidaten küren, und die jeweilige Prominenz sitzt schon in den Startlöchern. Obwohl in Bonn in enger Absprache mit der Berliner CDU - alles getan wird, um die Entscheidung so lange wie möglich hinauszuzögern, kann man davon ausgehen, daß auch die Westberliner am 2. Dezember mitwählen dürfen. Am Dienstag, nachdem die Entscheidung in Bonn wieder einmal verschoben worden war (die taz berichtete) - unter dem Vorwand, daß sich zunächst die Berliner Parteien auf eine Wahlkreiseinteilung einigen müssen - räumte selbst Innenminister Schäuble ein, daß man wohl von einer Direktwahl ausgehen könne. Offiziell wurde auch bestätigt, daß die drei West-Alliierten keine Bedenken mehr hätten.
Bisher war Berlin mit 22 Abgeordneten in Bonn vertreten, die je nach Stärke der Fraktionen im Abgeordnetenhaus delegiert wurden und kein volles Stimmrecht in Bonn besaßen. Bei einer Direktwahl reduziert sich die Anzahl, je nach Wahlbeteiligung, auf 15 bis 16 Abgeordnete, da der bisherige Alleinvertretungsanspruch West-Berlins für Gesamtberlin mit den ersten freien Volkskammerwahlen nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Acht davon werden über ein direktes Mandat nach Bonn ziehen, die übrigen über Listenplätze. West -Berlin wird aller Voraussicht nach in acht Wahlkreise aufgeteilt werden, über deren Zuschnitt SPD und CDU in Streit geraten sind. Der Senat favorisiert ein Modell, bei dem zwar kleinere Bezirke zusammengelegt werden, insgesamt aber die Bezirksgrenzen nicht angetastet werden. Die CDU will dagegen in zwei Fällen Bezirke anschneiden, um bestimmte Kandidaten dadurch abzusichern. Zur Zeit haben die CDU 11, die SPD 7, AL und FDP je 2 Abgeordnete in Bonn. Sollte im Dezember sich das Ergebnis der letzten Abgeordnetenhauswahlen wiederholen, werden SPD und CDU je 6 Mandate haben, die AL 2, die FDP 1 und eventuell die Reps 1. Für die CDU bedeutet das, daß die Zahl ihrer Kandidaten fast auf die Hälfte schrumpft, dementsprechend heftig tobt auch schon der innerparteiliche Kampf. Nicht nur die bisherigen Abgeordneten wollen ihren Job behalten, sondern auch die Prominenz möchte jetzt gerne nach Bonn, werden im nächsten Bundestag doch die Entscheidungen zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten gefällt. So gehen Gerüchte, daß Rupert Scholz, Exverteidigungsminister, in Tempelhof antreten wird; Gabriele Wiechatzek, SFB-Rundfunkratsvorsitzende, ist für Reinickendorf im Gespräch, und auch Ulf Fink, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, möchte gern in Bonn dabei sein. Um den rechten Wählerrand zu binden, soll im Süden, bei einer teilweisen Zusammenlegung von Steglitz und Zehlendorf, Rechtsaußen Heinrich Lummer ins Rennen geschickt werden. Für Tiergarten will die CDU einen Wahlkreis von Charlottenburg dazubekommen, vermutlich um den Parteirechten Peter Kittelmann sicher in Bonn zu haben. Weniger Probleme bei der Kandidatenkür hat da die SPD, die bei gleichen Ergebnissen nur ein Mandat einbüßen würde. Als absolut sicherer Kandidat gilt Hans-Jochen Vogel in Neukölln, sehr gute Chancen haben auch Gerhard Heimann in Spandau und Gerd Wartenberg in Schöneberg/Kreuzberg. Für Exbürgermeister Dietrich Stobbe könnte es dagegen in Reinickendorf eng werden, wenn dort tatsächlich Frau Wiechatzek für die CDU antritt. Anders sieht es bei den kleinen Parteien aus: Die FDP wird voraussichtlich als einzigen den jetzigen Abgeordneten Wolfgang Lüder nach Bonn schicken. Die AL hat sich noch keine Gedanken über mögliche Kandidaten gemacht, die Entscheidung darüber soll auch erst im Juni fallen. Und die Reps halten es für zweifelhaft, daß überhaupt gewählt wird. Die CDU wolle das Ganze ohnehin verhindern, und auch die SPD sei intern eher ablehnend, weil es für ein Übergangsparlament zuviel Arbeit bedeute, Wahlkampf zu machen.
kd
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