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Liebevoller mit der Stimme

■ Mit Joan Baez unterhielt sich Georg Stein

Georg Stein: Im Vorwort zu Ihren Memoiren sprachen Sie von einer musikalischen Krise, in der Sie sich einige Jahre befanden. Wie sah denn diese Krise genauer aus und wie haben Sie sie überwunden?

Joan Baez: Zunächst einmal: Diese Krise ist offensichtlich zu Ende. Eigentlich habe ich mich nie richtig um meine Musik gekümmdert, ich habe ihr nie Vorrang gegeben. Erst vor sechs Monaten habe ich einen Manager engagiert, und das war Teil meiner Entscheidung, damit aufzuhören, die Schuld für meine Probleme immer anderen zu geben und die Musik wirklich ernst zu nehmen. Als Ergebnis davon erkannte ich, daß es Zeit ist, mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Denn ich habe die Möglichkeiten von Klavier und Gitarre ausgeschöpft und möchte andere Arten von Musik machen.

Waren Ihnen die Ideen ausgegangen?

Wenn ich sage ich brauche eine Band, dann meine ich, daß man musikalisch sehr eingeschränkt ist, wenn man nur mit der Gitarre arbeitet. Mit Gitarre und Klavier gibt es schon etwas mehr Möglichkeiten, aber alles steht einem offen, wenn man vier Musiker um sich herum hat - sofern sie gut sind, und meine neuen Musiker sind gut. Das war für mich also der naheliegende Schritt, um mich musikalisch zu befreien. Ich war richtig gefangen in alten Liedern, einem bestimmten Stil, und damit sehr eingeschränkt.

Sie haben aber schon früher mit anderen Bands zusammengearbeitet.

Ich habe in den Vereinigten Staaten zweimal mit einer Band gearbeitet, einmal vor ungefähr zwölf Jahren und einmal noch etwas früher; es war gut, aber in mancherlei Hinsicht war ich damals noch nicht bereit dafür, so wie ich es jetzt bin. Es ist also nicht ganz neu für mich, und im Studio arbeite ich auch mit anderen Musikern zusammen. Aber jetzt hat sich sehr viel geändert. Mir ist plötzlich bewußt geworden, daß ich nicht ewig singen kann. Wahrscheinlich habe ich noch zehn wirklich gute Jahre vor mir, und mir ist klar, daß ich diese Zeit nutzen will. Ich möchte viel liebevoller mit meiner wichtigsten Gabe, meiner Stimme, umgehen, als ich es früher getan habe.

Sie haben oft gesagt, daß Ihnen das politische Engagement wichtiger ist als die Musik. Hat sich an dieser Einstellung in den letzten Jahren irgend etwas geändert?

Ich glaube, ich war früher einfach zu streng. Das hat nicht nur meiner Musik geschadet, sondern auch mir persönlich. Ich habe mir nie erlaubt, es mir einfach gut gehen zu lassen. Wenn ich gefragt werde, ob ich die 60er Jahre nicht vermisse, kann ich nur sagen: nein, ich vermisse sie nicht. Ich war zu ernst, arbeitete zu hart, habe mir nie eine Pause gegönnt und nie gelernt, das Leben zu genießen. Erst jetzt macht es mir langsam richtig Spaß, auf Tournee zu gehen und Konzerte zu geben. Ich habe das früher auch gerne gemacht, aber jetzt fühle ich mich viel freier.

War denn die Musik für Sie immer nur ein Mittel, Ihre politischen Ansichten zu vermitteln, oder hat Ihnen die Musik einfach auch Spaß gemacht?

Genau das meine ich. Diese Umstellung war eine richtige Offenbarung für mich. Das liegt an den sehr starren moralischen Vorstellungn, die noch aus meiner Kindheit stammen. Ich weiß nicht, wie sie je so stark werden konnten, aber so war es. Als ich meine erste Platte aufnahm, war ich wirklich davon überzeugt, in die Hölle zu kommen, wenn ich mit einer Band spielen würde. Denn das wäre für mich Kommerz gewesen. Ich hätte in meinen Augen keine Musik mehr gemacht, sondern mich verkauft, und das war eine furchtbare Sünde. Es hat sehr lange gedauert, diese Vorstellungen abzuschütteln.

Was hat Sie denn bewegt, deutsche Lieder zu singen, wie zum Beispiel „Kinder (Sind so kleine Hände)“ von Bettina Wegener oder „Wozu sind Kriege da?“ von Udo Lindenberg?

Ich habe immer versucht, mindestens ein Lied in der Sprache des Landes zu singen, in dem ich gerade bin. Interessant ist, daß fast alle Lider, die ich gelernt habe, Lieder über Kriege sind; im Moment möchte ich diese Lieder nicht singen, das ist wunderbar.

Auf der diesjährigen Tournee singen Sie unter anderem auch „Die Ballade von Meckie Messer“.

Ich habe das Lied schon 1966 gesungen, als ich das erste Mal in der Bundesrepublik war. Als ich so um die 18 Jahre alt war, habe ich sehr oft die Dreigroschenoper gehört und war völlig begeistert; deswegen habe ich es ausgewählt. Das war auch wieder ein Risiko. Ich wußte nicht, ob das Publikum genug davon hat. Ich hoffe, es ist nicht zu abgenutzt. Ich denke, die Entscheidung das Lied zu singen, war richtig.

In „Wetten, daß...“ sagten Sie, die Musik sei eine große Kraft, sie sollte jedoch durch politisches Engagement unterstützt werden. In welchen politischen Projekten sind Sie denn heute hauptsächlich engagiert?

Ich möchte nicht sagen, daß Musik grundsätzlich mit politischem Engagement verbunden werden muß. Ich sagte das im Hinblick auf politische Protestsongs und dem Willen, etwas zu ändern. Meine Theorie ist, daß Musik alleine nicht ausreicht, um etwas zu verändern. Man muß beweisen, daß es einem ernst ist mit dem Engagement. Meine Menschenrechtsorganisation Humanitas besteht jetzt schon zehn Jahre und wir sind recht erfolgreich. Ich bin an einigen der Aktionen beteiligt. Momentan konzentriere ich mich aber sehr auf meine Musik, das ist mir jetzt sehr wichtig. Humanitas unterhält vor allem osteuropäische Projekte und eines zu Tibet. Darüberhinaus organisieren wir gewaltlosen Widerstand und setzen uns mit aller Kraft für die Aufhebung der Todesstrafe ein.

Gegenwärtig erleben wir ja eine gewisse Entspannung zwischen Ost und West und die friedliche Veränderung in den Staaten Osteuropas. Haben wir diese Entwicklung Gorbatschow zu verdanken, oder ist sie zum Teil auch ein Erfolg der Friedensbewegungen?

Ich glaube zu einem ganz großen Teil haben wir das Gorbatschow zu verdanken. Dann aber auch den wirklichen Kämpfern in all diesen Ländern. Ich denke da unter anderem an Vaclav Havel in der Tschechoslowakei. Dieser Mann hat nie aufgehört, hat nie aufgegeben. Ich glaube, Gorbatschow hat eine Kettenreaktion ausgelöst. Nachdem er in der UNO gesprochen hatte, habe ich ihm einen persönlichen Brief geschrieben. Ich schrieb ihm, daß meiner Meinung nach diese Rede das Ende der Kalten-Kriegs-Mentalität bedeutete. Ich fand das unglaublich beeindruckend.

Nach einem Konzert von Ihnen in Bratislava 1988 sagte der jetzige Staatspräsident der Tschechoslowakei, Vaclav Havel, dieses Konzert sei einer der vorbereitenden Schritte für die Veränderungen in der Tschechoslowakei gewesen. Sehen Sie das auch so?

Wenn jemand so etwas sagt, habe ich das Gefühl, mein Leben hat einen Sinn gehabt.

Sie meinten früher einmal, Sie würden nie das Ende von Kriegen und Nationalstaaten erleben. Auch heute gibt es noch Menschenrechtsverletzungen, überall auf der Welt. Sind Sie manchmal frustriert, daß sich die Zeiten so langsam ändern?

Dies ist nicht die Zeit, mich zu fragen, ob ich frustriert bin. Die Schwierigkeiten gehen erst wieder los, wenn in sechs Monaten all die Nationen, in denen gerade die Demokratie ausgerufen wurde, anfangen, sich gegenseitig umzubringen. Denn das Grundübel ist der Nationalismus. Ich persönlich glaube an so etwas wie Flitterwochen. Während diese wunderbaren Entwicklungen in Osteuropa stattfanden, sah ich Maggie Thatcher im Fernsehen. Sie sagte: Euphorie sei ein schlechter Ratgeber. Ich dachte mir: Fahr zur Hölle, Maggie! Laß uns einen Monat lang diese Freude genießen, laß die Leute auf der Mauer tanzen, das muß sein, denn die Probleme fangen früh genug wieder an.

Haben Sie persönlich Angst vor einem nationalistischen, vereinten Deutschland?

Alle haben wohl eine gewisse Angst davor. Aber als Amerikanerin kann ich da natürlich nicht viel sagen. Ich habe wohl kaum das Recht, mich über ein vereinigtes Deutschland zu beschweren, denn ich komme ja aus der nationalistischsten und mächtigsten, und damit auch der gefährlichsten aller Nationen. Vielleicht ist das ja aber nicht mehr lange so.

Sie sagten einmal, Sie würden sich in den Vereinigten Staaten manchmal wie eine Fremde im eigenen Land vorkommen. Ist das heute auch noch so?

Nicht mehr so sehr. Wohl deswegen, weil ich mit den derzeitigen Veränderungen mehr Kraft habe, Risiken einzugehen, das zu tun, was ich für wichtig halte. Es sind für mich vor allem musikalische Risiken, vor politischen Risiken habe ich nie Angst gehabt. Ich bin sie eingegangen und habe zum Teil unter den Konsequenzen gelitten, unter den Reaktionen anderer Leute. Aber vor den musikalischen Risiken hatte ich viel mehr Angst. Und jetzt gehe ich sie ein.

Ist es eine Last, über dreißig Jahre hinweg das Idol von Millionen zu sein? Leiden Sie manchmal unter den Erwartungen so vieler Menschen?

Solange ich gewissenhaft bin gegenüber mir selbst und den Dingen, die ich mir jetzt vorgenommen habe, eigentlich nicht. Die Leute haben alle enorme Erwartungen und es ist klar, daß ich die sowieso nie alle erfüllen kann. Ich muß mein Leben weiter leben, und zwar so sinnvoll und ehrlich wie es nur geht. Kürzlich meinte eine Journalistin, meine neue Platte klinge genau wie alle anderen. Sie fragte mich, ob ich je irgend etwas in meiner Musik verändern werde. Viele Journalisten sagten hingegen, diese Platte sei etwas völlig Neues. Sie wollten wissen, ob ich damit mein Image verändern wolle. Jeder sieht, was er sehen will, und hört, was er hören will. Ich muß mir einfach selbst treu bleiben.

Hat denn die Woodstock-Generation politisch irgend etwas verändert?

Zunächst einmal denke ich, laß die Leute sehr wenig aus unseren Fehlern gelernt haben. Aus der Vietnam-Lektion hat man einiges gelernt, aber nicht viel. Dennoch denke ich, daß eine Invasion in Nicaragua bis zu einem gewissen Grad deswegen vermieden wurde, weil die amerikanische Öffentlichkeit nicht akzeptiert hätte, wenn amerikanische Truppen dorthin geschickt worden wären. Ich glaube, das Problem besteht momentan darin, daß die Ideale, die jüngere Leute in den USA heute haben mögen auf eine Atmosphäre der „nothingness“ prallen, so daß es wirklich schwer ist, irgendeine Art von inspiriertem Engagement zu entwickeln.

Was für ein Gefühl ist es denn, heute noch die alten Lieder aus den 60er Jahren zu singen?

Ich singe gar nicht mehr so viele davon, und die, die ich singe, spiele ich zum Teil auch, weil ich jetzt eine Band habe. The Night They Drove Old Dixie Down zum Beispiel lebt wieder so richtig auf. Es gibt auch bestimmte Lieder, die ich in manchen Orten singe und in anderen nicht. In Prag biespielsweise werde ich We Shall Overcome singen, denn dort ist das sinnvoll. Vor einem amerikanischen Publikum würde ich das nicht machen, denn die sind nur auf dem Nostalgie-Trip und das Lied bedeutet in ihrem Leben überhaupt nichts.

Einige der Lieder interpretieren Sie heute ja noch genau wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Ist das nicht manchmal langweilig?

Sie denken da bestimmt an Diamonds And Rust oder Swing Low. Nein. Das hat mich nie gelangweilt. Ich finde Diamonds And Rust ist ein sehr gutes Lied. Wenn ich das mit der Band spiele - dann ist das einfach toll. Bei den Liedern der jetzigen Tournee ist keines dabei, das ich nicht mag.

Sie haben gesagt, das deutsche Publikum sei das intelligenteste, das Sie kennen. Ist es das, weil es so schön applaudiert?

Ich wußte bis zum Beginn der Tournee nicht, wie sehr es applaudieren würde. Nein, das deutsche Publikum hat immer sehr gut zugehört und toll reagiert.

Bob Dylan war immer auf der Suche nach Neuem. Er hat sich immer verändert und sich nie gescheut, Risiken einzugehen oder nicht mehr gemocht zu werden. Wie denken Sie darüber?

Ich habe das immer an ihm bewundert. Ich konnte das nicht. Ich war viel zu vorsichtig. Ich habe das immer an ihm bewundert.

Von Georg Stein erschien im Palmyra Verlag 1989 der Bildband „Bob Dylan.Temples In Flames“.

Joan Baez‘ Tourneetermine:

6.Mai Ludwigshafen, 8.Mai Köln, 10.Mai Hannover, 11.Mai Bremerhaven, 14.Mai München.

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