piwik no script img

Simpel, aber effektiv: DDR-Wahlfälschung

„Eine Order zur Fälschung war nicht nötig“ / Am Tag der letzten DDR-Kommunalwahl änderten Honecker und Krenz das Fernsehprogramm / Bürgermeister und SED-Chefs sahen am Bildschirm, was erwünscht war / „Dann wurde radiert und retuschiert“ / Ein Insider erzählt  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Bereits in der Wahlnacht des 7. Mai 1989 stand fest, daß die Ergebnisse der DDR-Kommunalwahlen gefälscht waren. Ein Jahr später ermitteln Staatsanwälte gegen etliche Bürgermeister und SED-Funktionäre. Die lange Liste reicht von „B“ wie Berghofer (Dresdens OB) bis „W“ wie Wendel (SED-Sekretär in Berlin-Weißensee). Wie deren Arbeitsmoral am Wahlabend stimuliert wurde, galt bisher als Geheimnis. Dabei hätte es jeder beobachten können - am Bildschirm. „Es gab keine zentrale, direkte Order zum Fälschen“, berichtet ein Insider, „Honecker und Krenz änderten einfach das Fernsehprogramm“.

Kein Funktionärsbüro zwischen Kap Arkona und Sonneberg, in dem nicht seit den späten Nachmittagsstunden die Flimmerkiste lief. Doch die wichtigste Meldung, daß die Wahlbeteiligung niedriger sei als gewöhnlich, erhielten nur der Vorsitzende der Wahlkommission, Egon Krenz und SED -Medienchef Joachim Herrmann. Bei den beiden, in der Kanzlei des Staatsrates, gingen alle zwei Stunden die Rapports der örtlichen Wahlvorstände ein. „Bis 14 Uhr lief alles wie gewohnt, lag die Wahlbeteiligung etwa bei 90 Prozent“, so ein damaliger Zeuge, „dann stockte es. Aber man verzichtete diesmal auf die Anweisung, die Leute doch noch zur Wahl zu schleppen.“

Das lag vor allem daran, daß hinter einigen Türen im ZK -Walhalla schon Tage vorher befürchtet wurde, „die üblichen 99,9 Prozent nimmt uns im In- und Ausland keiner mehr ab“. Von Stasi und unteren Funktionären über die schlechte Stimmung im Volk informiert, drangen besorgte Politbüro -Mitglieder leise auf ein „reales Wahlergebnis“. Ihren Häuptling Honecker verschonten sie jedoch mit einer entsprechenden Diskussion. Aus purem Kadavergehorsam und weil viele meinten, „wenn wir weniger als 98 Prozent haben, wackelt die DDR“.

Honecker saß am 7. Mai, wie an jedem Wahlsonntag, auf seiner Wandlitzer Couch und starrte in die Glotze. Ganz in seinem Sinne die ersten Dorf- und Kreisergebnisse. Haarscharf an der 100 Prozent-Marke. Doch gegen 18.30 klingelte das Telefon. Am anderen Ende der Leitung des abhörsicheren „WTsch„-Apparates saß Krenz. Er gab die in der Kanzlei gesammelten Trendmeldungen über die niedrige Wahlbeteiligung durch. Besonders schlecht die ersten Zahlen aus Berlin, Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Was tun?

Wer die Idee zur vereinbarten Anweisung hatte, ist nicht ganz klar. Aber „die Order nach dem Gespräch lautete“, erinnert sich ein Zeuge, „ab 19 Uhr wird das normale Fernsehprogramm weggenommen, es gehen zwei Stunden lang nur noch die besten Zahlen über den Bildschirm“.

„Als die Bürgermeister, Kreis- und Bezirkssekretäre die hohen Zahlen im Fernsehen sahen und auf ihre Listen mit den 93 Prozent guckten“, erläutert ein langjähriger Apparatschik „wußten sie, daß sie gemaßregelt würden oder den Besuch einer Arbeitsgruppe aus Berlin zu erwarten hätten, wenn sie ihre eigenen Zahlen melden würden“. Im jahrzehntelang eingeübten, vorauseilenden Gehorsam schritten die Kader zur Tat.

Daß die Ergebnisse aus den genannten Städten erst spät am Abend bekannt gegeben wurden, „lag nicht nur an der Zahl der Wahlberechtigten, dort mußte auch am meisten retuschiert werden“.

Egon Krenz sülzt in seinen kürzlich erschienenen Memoiren, der Vorwurf des Wahlbetruges habe ihn „hart getroffen“. Keine Zeile über die Stunden in der Staatskanzlei vor Bekanntgabe der 98,85 Prozent. Keine Zeile in dem Wälzer auch über Stasi-General Mielkes Anweisung vom 19.5.1989 an die Justiz, „mit der man Zeit gewinnen und den Druck wegnehmen wollte“, wie sich jemand erinnert. Darin heißt es: „Anzeigen, die nach §211 Strafgesetzbuch erstattet werden, sind ohne Kommentar entgegenzunehmen. Nach Ablauf der vorgesehenen Fristen für die Anzeigenbearbeitung ist von den jeweils zuständigen Organen zu antworten, daß keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat vorliegen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen