: Deutsche dominieren die Pariser
■ Obwohl hiesige Condomerien inzwischen Präservative jeden Geschmacks für jeden Geschmack anpreisen, mosert die Branche über ein dürftiges Umsatzplus/Demnächst prangt die DIN-Norm als absatzsteigerndes ...
Giacomo Casanova besaß eine bemerkenswerte Angewohnheit: Bevor er sich zu seiner gerade Liebsten legte, zog er aus der Tasche ein schlauchförmiges Gebilde, führte es an die Lippen und ließ das anfangs schlaffe Säckchen zu einer prallen Wurst anschwellen. Schien die eingefüllte Luft auf mysteriöse Weise zu entweichen, half kein Flicken und Zähneknirschen. Ein neues Kondom mußte her, und das umständliche Zeremoniell begann von vorn. Wie Casanova diesen ursprünglichsten aller Kondomtests in sein Liebesspiel miteinbezog, bleibt unserer Phantasie überlassen. Mehr als zwei Jahrhunderte mußten vergehen, bis sich die Menschheit dieser ureigensten Lust am Kondom wieder erinnerte.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland hat der Fachhandel diesen Markt für sich entdeckt: Kondomfachgeschäfte, sogenannte Condomerien, schießen ins Kraut. In der Nähe vom Kölner Dom, gleich beim Friesenplatz um die Ecke, handeln drei aufgeschlossene junge Männer mit Parisern. Auf dem Ladenschild über der Eingangstür hat ein Spaßvogel fünf Präsertypen karikiert. Weiter unten auf einer Tafel steht geschrieben: „Die Phosphoriszierenden sind wieder da.“ Dann geht es hinein in das Vergnügen.
Weiter hinten im Laden schmökert gerade jemand in Anja Meulenbelts Die Scham ist vorbei und auf den Tischen locken, sorgfältig dekoriert, Präser in allen erdenklichen Formen und Farben. Ob beschichtet oder trocken, bunt oder schlicht, geriffelt oder glatt, für jeden Geldbeutel und Geschmack gibt es hier das passende „Hemd“. Zwischen 80 Pfennigen für die gängige Stangenware und sechs Mark für individuelle Edelversionen erstreckt sich eine breite Farbpalette von giftgrün über lila bis feuerwehrrot. Geschmacksvarianten wie Himbeer, Banane, Pfirsich, Passionsfrucht und Pfefferminze machen dem ekligen Latexgeschmack endlich den Garaus. Sogar an Lakritzliebhaber ist gedacht. Die Stadt Berlin kann sich sogar zweier Condomerien glücklich schätzen. Condompoli, das „Fachgeschäft für Erektionsbildung“, ist die zweite Alternative. Die jüngsten politischen Entwicklungen favoriesieren geradezu den Standort Berlin. Es wird gemunkelt, daß Präservative, die ja in London „Pariser“ (french letter) und in Paris „Londoner“ (capote anglaise) heißen, im Zuge der deutsch-deutschen Annäherung bald als „Berliner“ die Präserliteratur bereichern werden. Das deutsche DIN-Institut jedenfalls plant eine DIN-Norm für Kondome. Sein Sitz ist in Berlin. Noch haben Politiker den genormten Berliner nicht verabschiedet (oder besser: begrüßt). Die entsprechende Prüfvorschrift soll erst im August rechtskräftig werden. Deshalb bleibt es für den friesischen „Owertrekker“ mit Rollkragen erst einmal bei „Lümmeltüte“, „Nahkampfsocke“ oder, in liebevoller Erinnerung an Rita, „Süssmuthtüte“. Ein langer Weg bis dorthin.
Während im finsteren Mittelalter getränkte Leinensäckchen für den Geschlechtsverkehr empfohlen wurden - später waren es Kondome aus Schafsblinddarm - hüllten sich die kaisertreuen Soldaten im Ersten Weltkrieg in Fischblase. Als die Entdeckung der Vulkanisation von Latex, der Gummimilch aus den Stämmen der brasilianischen Kautschukpflanze, bereits ein ganzes Jahrhundert zurücklag, kam die Kondomindustrie erst in den dreißiger Jahren mit der Einführung der Latexmethode richtig in Fahrt. Wie noch heute besaß schon damals die Automobilindustrie die größere Lobby, und so wurde erst einmal der Reifen entwickelt, bevor die Sache mit den Latexkondomen anrollen konnte.
In der Bundesrepublik Deutschland jedoch greifen mehr Verbraucher zum Autoreifen als zum Präservativ. Die Benutzerrate übersteigt bei uns noch heute nicht die Zehn -Prozent-Hürde.
Den Japanern hingegen gelang es, beide Industriezweige erfolgreich auszubauen. Mit etwa 75 Prozent halten sie den Weltrekord der Kondombenutzer, in sicherem Abstand gefolgt von Schweden und England. Wir dürfen nicht vergessen, daß in Frankreich und der Bundesrepublik neben dem Auto auch die Antibabypille dem Kondom den Markt enorm vermieste. Außerdem galt das Kondom stets als unsicher, lästig und liebestötend.
Während schon Ende der siebziger Jahre im benachbarten Ausland nationale Standards die Qualität von Kondomen sicherten, galt der deutsche Markt noch als Schuttabladeplatz. Im Klartext: Hier konnten Kondombenutzer und -benutzerinnen sich ihres „Johnnies“ (amerikanische Bezeichnung) niemals sicher sein. Seit Beginn der achtziger Jahre bemühen sich die führenden Kondomhersteller der Bundesrepublik um ein besseres Image für ihre Produkte. 1980 schlossen sie sich zur „Deutschen Latex-Forschung“ (DLF) zusammen und unterstellen sich seither freiwillig einer laufenden Kontrolle durch die Staatliche Materialprüfungsanstalt in Darmstadt. Trotz des DLF -Gütesiegels blieb der bundesdeutsche Kondommarkt nicht sauber, kann doch ein jeder Kondome zweifelhafter Herkunft bei uns vertreiben.
In der Tat reicht zur Zeit noch eine einmalige Prüfung beim Bundesgesundheitsamt aus, ein Test auf Keimfreiheit. Die DIN -Nummer für Kondome, die das Bundesgesundheitsamt demnächst erteilen wird, soll jedem Bundesbürger die Liebe dann endlich „sichern“. Denn ohne Nümmerchen soll kein Kondom mehr in den Handel dürfen, so wollen es zumindest die Erfinder.
Die plötzliche Aufmerksamkeit, die dem deutschen Präservativ zur Zeit widerfährt, ist löblich, aber nicht verwunderlich. Kondome erfuhren immer dann einen Entwicklungsschub, wenn es darum ging, infektiösen Krankheiten vorzubeugen. Auch der berühmte Casanova dachte zeitgemäß wohl kaum an Alimente, wenn er in die Tüte blies. Früher warnte man vor Syphilis und Tripper, heute fürchtet man sich vor Aids.
Steht uns der Normpariser jetzt ins Haus, der graue Alltagsrolli für Jedermann und -frau, entnoppt, entfärbt, entpeppt? Claus Richter, DLF-Vorsitzender und Marketingleiter der Mapa-Zeven, einer der größten Kondomhersteller in der BRD, glaubt das nicht. Scherzkondome müßten als solche klar ausgewiesen sein. „Alle anderen werden die DIN-Nummer bekommen, wenn sie die Tests bestehen“, so Richter. Diese werden bezüglich Lochfreiheit und mikrobiologischer Reinheit laut DIN-Entwurf verschärft.
Nur auf die Frage nach den Kondomen aus Schafsblinddarm für Latexallergiker entgegnet Peter Stacke von der Materialprüfungsanstalt etwas unbedacht: „Das betrifft doch nur eine kleine Minderheit.“ Ja sicher, aber soll diese a la Pollenallergie Fenster und Türen verschlossen halten und sich bei plötzlichem „Anflug“ nur wenig bewegen? Lieblose Aussicht! Einen Latexallergiker hat die Normkommission wohl kaum, denn der hätte protestiert. Dafür tragen die führenden Köpfe von drei großen deutschen Kondomherstellern den Namen „Richter“, ganz zufällig und ohne verwandtschaftliche Bande.
Es bleibt dabei: Die heutigen Pariser sind - DIN-Nummer hin oder her - inzwischen besser als ihr Ruf! Und was die Sicherheit angeht, überzeugt mich die Schriftstellerin Jeannette Parisot, wenn sie schreibt: „Die Chance sich eines Tages Aug in Aug mit einem schadhaften Pariser zu befinden, ist größer als die, sechs Richtige im Lotto zu haben. Einerseits. Die Chance, einem defekten Pariser zu begegnen, ist geringer als die, daß ein Atomkraftwerk hochgeht. Andererseits.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen