piwik no script img

Südkoreas Arbeiter kämpfen für ihre Gewerkschaften

■ Seit Mitte April flammen in Südkorea immer wieder neue Streiks auf, die durch anhaltende Repression gegen unabhängige Gewerkschafter ausgelöst wurden. Für den 9. Mai haben die Mitglieder des illegalen Gewerkschaftsbundes zum Generalstreik aufgerufen. Ostasien-Korrespondent Georg Blume berichtet aktuell aus Seoul, Gabriela Simon analysiert die Wirtschaft des „Musterentwicklungs- landes“ und Larry Jagan die fragile Demokratie.

Ein rhythmisches Klatschen schallt durch den Fahrstuhlschacht im Hauptgebäude der südkoreanischen Handelskammer in Seoul. Der Lift hält im achten Stock. Zwei Dutzend junge Frauen und Männer haben Decken im Etagengang ausgebreitet, auf denen sie im Takt den gymnastischen Bewegungen des Gruppenleiters folgen und dazu singen und klatschen. Das ungewöhnliche Hochhausballett ähnelt einer Fitneßveranstaltung für Büroangestellte, wie sie in japanischen Großunternehmen regelmäßig stattfinden. Doch der Schein trügt: Die Sportler in der Handelskammer von Seoul sind Angestellte des japanisch-koreanischen Joint-ventures Hankook-Yakult, das hier sein Hauptquartier hat. Und sie stehen im Streik für mehr Lohn. „Wer nicht streikt, ist Egoist“, skandiert Arbeiterführer Pyung Tae Min von Hankook -Yakult. Die Streikenden jubeln, und ihre Chefs können es hören. Lange wird der Zauber aber wohl nicht mehr währen. Pyung Tae Min gehört zu denen, deren Zukunft höchst ungewiß ist.

Südkoreas Präsident Roh Tae Woo hat offenbar die Nerven verloren. Auf seinen ausdrücklichen Befehl hin wird Wirtschaftsminister Lee Seung Yun am Dienstag ein neues Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Spekulation und Inflation vorstellen, das der „allgemeinen Krise“ des Landes gerecht werden soll, von der die Regierung seit einigen Tagen spricht - seit Jahresbeginn hat der koreanische Aktienindex 30 Prozent seines Wertes verloren. Darüber hinaus hat der Präsident seinem Generalstaatsanwalt Kim Ki Choon einen Freibrief für die Jagd auf populäre Arbeiterführer ausgestellt. Letzterer zögerte nicht lange und stellte noch am gleichen Tage die Anklage gegen 32 führende Mitglieder des verbotenen gewerkschaftlichen Dachverbandes Chonnohyop in Aussicht. Der Generalstaatsanwalt kündigte zudem die Aufstellung von 25 Sondereinheiten der Polizei an, die sich auf die Zerschlagung von Streikbewegungen spezialisieren sollen. Ziel dieser Operation ist laut Kim, „linke Elemente in der Industriearbeit, die versuchen, unser freiheitlich -demokratisches System zu stürzen, auszuradieren“. Die gesamte Staatsanwaltschaft des Landes sei aufgefordert, den „illegalen politischen Arbeitskämpfen“ ein schnelles Ende zu bereiten. Ob Drohgebärde oder tatsächlicher Plan - die alten Gräben sind wieder aufgerissen.

Unbeliebte Regierung

Der Präsident hat es nötig. Der Zusammenschluß von Rohs Regierungspartei mit zwei Oppositionsparteien hat trotz des Abflauens der Streikbewegung im Vergleich zum Vorjahr keine spürbare Stabilisierung erbracht. Bei Nachwahlen im Frühjahr erlitt die im Februar gegründete Regierungspartei DLP (Demokratisch-Liberale Partei) eine schwere Niederlage. Das Ansehen der Regierung hat laut Umfragen ein Rekordtief erreicht. Angeblich sprechen derzeit nur 15 Prozent der Wähler dem Roh-Kabinett das Vertrauen aus, obwohl nun auch der ehemalige Oppositionsführer Kim Yung Sam zu den Verbündeten des Präsidenten zählt. Zu sehr haftet der neuen Regierung der Verdacht an, sie strebe nach einem Herrschaftsmonopol im japanischen Stile. Dummerweise wählte man für den Parteinamen ausgerechnet die gleichen chinesischen Schriftzeichen wie die japanischen Kollegen.

47.000 Arbeiter aus 45 Gewerkschaften befanden sich nach Angaben des Arbeitsministeriums auch am Wochenende im Streik, darunter auch hundert Büroangestellte der Regierungspartei. Annähernd 100.000 befolgten nach Gewerkschaftsangaben den Streikaufruf am 1.Mai, den zu feiern in Südkorea nach wie vor verboten ist. Seit der Demokratisierung vor drei Jahren haben die Lohnabhängigen den Streik als Kampfmittel entdeckt und Lohnerhöhungen von durchschnittlich 70 Prozent erfochten. Zum Schrecken der Regierenden hat Südkorea innerhalb kürzester Zeit seinen Status als Billiglohnland verspielt. Der Durchschnittslohn in der Industrie liegt heute bei 470.000 Won, etwa 1.100 DM. Vor drei Jahren waren es noch 200.000 Won.

Zehn Tage auf dem Kran

In jedem Frühjahr treibt die Kampfeslust der Arbeiter neue Blüten. Bereits zehn Tage lang hocken an diesem Wochenende 60 Arbeiter der Hyundai-Schiffsdocks in Ulsan auf einem 80 Meter hohen Schiffskran und geben zum Ärger der Werksleitung den Streik nicht auf. Zuvor hatten 10.000 Polizisten das von der zahlenmäßig doppelt so starken Belegschaft besetzte Firmengelände mit Tränengas und Schlagstöcken geräumt. Ein Arbeiter verlor dabei ein Auge. Arbeitsminister Coi Young Coul rechtfertigte den Polizeieinsatz am Freitag mit den Worten: „Wir sehen diesen Streik als einen politisch orientierten Kampf und nicht als reine Arbeiteraktion.“ Er kündigte „weitere harte Maßnahmen gegen unrechtmäßige Gewerkschaftspraktiken“ an.

Es ist nahezu unmöglich, in Südkorea einen Streik nach dem Gesetzbuch zu führen, denn sämtliche Arbeitsniederlegungen sind nach dem Gesetz illegal. Politische Streiks sind ohnehin verboten. Und auch bei üblichen betrieblichen Arbeitsniederlegungen gibt es umfangreiche Regelungen über die Friedenspflicht der Gewerkschaften, die Entscheidungen erst nach langwierigen Verhandlungen mit Schiedsstellen ermöglichen. „Beim Gesetzesvollzug fehlt in Korea jeglicher Common sense“, klagt der Gewerkschaftsjournalist Han Kook Yun. Kaum eine Gewerkschaft hat sich in den letzten Jahren an die Prozeduren aus vordemokratischen Zeiten gehalten. Doch gesetzliche Neuregelungen gibt es bisher nicht. Und genau darin sieht Präsident Roh seine Chance. Im Januar verbot die Regierung die neue gewerkschaftliche Dachorganisation Chonnohyop mit der Begründung, sie vertrete eine „Ideologie des Klassenkampfes“.

Inzwischen hat der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz bestätigt, das überbetrieblich organisierten Gewerkschaften die Einmischung in Tarifverhandlungen verbietet. Drei Jahre lang kam das Gesetz kaum zur Anwendung. Heute hat es erneut führende Gewerkschafter hinter Gitter gebracht. Und Generalstaatsanwalt Kim will dafür sorgen, daß sie nicht alleine bleiben.

Statt auf eine langsame Beruhigung der Fronten hinzuwirken, setzt Präsident Roh auf die Zerschlagung der Gewerkschaften, die mit Ausnahme der regierungsfreundlichen FKTU (Federation of Korean Trade Unions) allesamt erst in jüngerer Zeit gegründet worden sind. Dabei kann er erwartungsgemäß mit dem Rückhalt der mächtigen Regierungsbürokraten und der nach Beschäftigung suchenden Militärs rechnen. Aber auch in der Bevölkerung findet Roh an diesem Punkt Unterstützung. Über die letzten drei Jahrzehnte verbuchte Südkorea das höchste prozentuale Wirtschaftswachstum der Welt. Viele im Land befürchten nun, das geliebte Wirtschaftswunder könne die Ewigkeit nicht überdauern.

Am Samstag sagte Präsident Roh einen Besuch in den USA kurzfristig ab und begründete das mit der „allgemeinen Krisensituation“. Seit Zusammenstellung des neuen Kabinetts im März redet die Regierung in Funk und Fernsehen von nichts anderem. Der neue Wirtschaftsminister Lee Seung Yun analysierte einen zyklischen business downturn. Nach drei Jahren doppelstelliger Wachstumsprozentzahlen betrug das südkoreanische Wirtschaftswachstum 1989 nur noch 6,5 Prozent. 1990 wird das Ergebnis ähnlich aussehen. Der Handelsbilanzüberschuß fiel von 14,2 Milliarden US-Dollar im Jahre 1988 auf 5,1 Milliarden 1989 und liegt in diesem Jahr voraussichtlich nur noch bei 2 Milliarden.

Schlüsselrolle der Medien

Südkorea hat den Aufstieg in den Kreis der Industrieländer geschafft und leidet heute an den Folgen der wirtschaftlichen „Normalität“. Bodenspekulation und astronomisch hohe Miet- und Wohnungspreise greifen um sich. „Unser Monatslohn beträgt 420.000 Won“ (950 DM), erklärt Pyung Tae Min von der Lebensmittelfirma Hankook Yakult. „Davon benötigen wir zwischen 150.000 und 200.000 Won, also fast die Hälfte, für die Miete. Deswegen fordern wir eine Lohnerhöhung um 55.000 Won.“ Das sind 120 DM.

Han Kook Yun, Streikführer beim Radiosender CBS (Christian Broadcasting System), trägt ein Stirnband mit der Aufschrift „press liberation“. „Nun sollen die Arbeiter für den sinkenden Handelsbilanzüberschuß bestraft werden“, schimpft der CBS-Streikführer. Landesweit streikten bis zum Wochenende die Angestellten der drei großen Medienanstalten des Landes, KBS, MBC und CBS, für größere Freiheit bei der Berichterstattung. Im Fernsehen laufen derzeit Wiederholungsprogramme. Um so ärgerlicher für die Regierung, daß den Medien eine Schlüsselrolle in der neuen Politik des Präsidenten zufällt. Sie sollen nämlich helfen, die „Krisensituation“ zu inszenieren.

Oft sind es bescheidene Forderungen, die dem Land keinen Frieden lassen. Doch sie treiben manche in den Tod. Am vergangenen Donnerstag verbrannte sich ein 28jähriger Angestellter der Firma Tong Il in Changwon südlich von Seoul in einem Ölfeuer und hinterließ die Nachricht: „Der Kampf gegen die Tong-Il-Manager soll ewig dauern.“ Viele bangen heute um die Dauerhaftigkeit bisheriger gewerkschaftlicher Errungenschaften.

Kim Dae Jung - Südkoreas bekanntester Politiker, der mit seiner Partei allein in der parlamentarischen Opposition verbleibt - befürchtet nun, Roh wolle aus Angst ums politische Überleben das Rad der Geschichte zurückdrehen. Schließlich war es nur ein historischer Zufall, daß die Weltöffentlichkeit um die Olympischen Spiele vor zwei Jahren in Seoul letztlich den Durchbruch zur Demokratie brachte.

Georg Blume

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen