: KUNSTHARZCHRONIK
Die Geschichtssimulanten ■ H E L D E N D E R A R B E I T
„Why we've made it. In a time of fast und profound
change, of falling borders between east und wes
we have created a product which, with it
imperishableness, forms a unique visualization o
its very change.
(Pressetext
Wilfried und Peter S., selbständig, verkaufen die Geschichte, o.k., naja, verkaufen hochstilisierte Artefakte derselben, verkaufen: Die Mauer - The Wall - Le Mur. Erinnern wir uns..., „ich bin ein Berliner!“ tönte die „freie Welt“ (eingetragenes Markenzeichen) von J.F. Kennedy bis zu Oliver Stones rollstuhlfahrendem Hauptdarsteller aus Born on the 4th of July. Und: „Völker der Welt (!!!), schaut auf diese Stadt“, dröhnten die Signale. Hier wurde Zeitgeschichte zu Zement (1961) und zum Abbruchunternehmen „Freiheit“ (1989) - nie war diese so wertvoll wie heute.
Im Rahmen der Simulation der Moderne ist es nun möglich, „Freiheit“ und „Geschichte“ im Bus zu erreichen. Um die bedeutungsschwangeren Augenblicke vor Ort authentisch und richtig sinnlich werden zu lassen, bieten Reiseveranstalter Hammer und Meißel im Marschgepäck: Einerseits erlebt sich der Reisende als im geschichtlichen Prozeß stehendes Individuum, legt Hand an die Bewältigung des Fehlers Sozialismus - zwei, drei Tropfen Schweiß und ein blaugeschlagener Daumen würzen die Wirklichkeit -, andererseits kann er ein historisches Dokument mit nach Hause nehmen. und dann steht der Mauerblock in der Wohnzimmeranbauwand, rustikal, gleich neben Papas versilbertem Langlaufpokal, der künstlichen Koralle vom letzten Mittelmeerurlaub und der begonnenen, niemals fortgeführten Sammlung exotischer Borkenkäfer in Kunstharz (oder neben Janis Joplin im Jaffaregal von Sohnimanns Revolluzzer-WG-Etage in SO36, sezza). Die Geschichte geht wieder in die Hände des Volkes über - und verstaubt mit diesem. Nun war es ja zu erwarten, daß findige Mitglieder der Arbeiterklasse auf den Gedanken kamen, Mehrwert aus dem Verkauf des größten ihnen gewidmeten Denkmals zu erzielen - und dies eben nicht den zwei klassenfeindlichen US-Multis zu überlassen, die die Lizenz darauf haben. und eine Ost-Zeitschrift berichtete vor kurzem von einem Reiseveranstalter, der nun konsequent die nationale Befreiungshysterie als kostenlose PR zu nutzen wußte und geschichts- und souvenirgeile Bürger gleich Wagenweise ankarrte.
Als ob er den alles zukleisternden Medienhype verdoppeln wollte, fuhr er seine zahlende Kundschaft jedoch nicht an die Mauer, sondern zu einem rein funktionalen Bauwerk eines befreundeten Berliners. Ein Künstler habe ihn auf die Idee gebracht, erklärte er gegenüber dem Magazin, doch habe dieser - natürlich - nicht die finanziellen Möglichkeiten erkannt. Er habe ihn aber ein bißchen an der Mauer des Freundes arbeiten lassen, „so typische Berliner-Mauer-mäßige Sprüche und Schmierereien“ malen lassen und ihn auch gleich als „Ost-Grenzer“ engagiert, „die Uniformklamotten werden einem ja nachgeschmissen, und dem hat das auch 'ne Menge Spaß gemacht“. Die Redakteure fragten den Helden der Arbeit, ob das nicht Betrug an seinen Fahrgästen sei. Er entgegnete „nein, wieso“, die hätten „doch eh keinen Schimmer“, „wenn die nur ein Stück farbigen Zement“ sehen würden und noch einen Typen in Uniform, dann wären die „doch vollauf bedient und befriedigt“. Auf die abschließende Frage, ob sein Unternehmen nicht mit enormem Aufwand verbunden sei, antwortete er „nee, vor allem spart sich mein Freund das Bestellen einer ostdeutschen Abrißkolonne, denn, wissen Sie, dessen Mauer, die sollte schon lange weg“.
Doch zurück zu Wilfried und Peter S. Die beiden gießen die Geschichte bzw. die Mauer in Kunstharz ein, als überraschende Form wählten sie eine Nachbildung der Mauer. Ihre Firma bietet dem Kunden die Möglichkeit, das Firmenlogo aufprägen zu lassen: „Give with your good name“. Hier ersetzt also bereits der Akt des Erwerbens den Prozeß historischer Selbstbefriedigung der „Mauerspechte“ („if I had a hammer...“, diese Songzeile, die das TV für die putzigen Arbeiter der Faust fand, schreibt der Klassenfeind folgerichtig fort: “...I would give it to you“), und bald treffen wir auf historische Dokumente wie die „Berlin Wall DuPont“, „Le Mur - Citybank“ und selbstverständlich „Die Mauer - Daimler Benz“ - denn diese Geschichte steht unter einem guten Stern.
Allein, als Arbeiter naiv und unerfahren im Geschäft (mit) der Simulation, gerieten die Brüder zunächst an einen alten Freund, der - aufgrund gefälschter Zeugnisse zum Chef -Versicherungsvertreter aufgestiegen - ihnen die „üblichen“ Finanzierungs- und Geschäftsabkommen diktierte und dann mit dem Ansichtsexemplar in die USA flog, dort auf eigene Faust Vertragsabschlüsse zu erzielen. Die USA sind der anvisierte Markt, denn die da drüben haben ja eh keine Geschichte, keine Kultur, blicken nur immer mit Neid auf Europa und dessen inzestuöse Königshäuser. Nun also können sie Geschichte und Kultur gleich brockenweise ordern, einzigartige historische Zeichen erwerben: „Everey single piece comes with a certain character, it is as individual as the person it will be given to you. A certificate is enclosed to each single piece.“
Einzigartige geschichtliche Ereignisse und einzigartige menschliche Individuen treffen durch den Warentausch aufeinander. Das ist schön. Wesentlich hierbei ist das Zertifikat, das dem Mauerstück seine Echtheit garantiert, denn, wie ein Prä-Simulations-Denker ausführte, „gibt es kein echtes Leben im falschen“, nicht wahr, wie soll ein Käufer sich noch dem historischen Prozeß des Sieges der Freiheit verbunden fühlen, wenn er ein gefälschtes Mauerstück erwirbt? Man stelle sich auch das Entsetzen unserer Nachkommen vor, deren Expertenkommissionen in einigen Jahrhunderten feststellen müssen, das die von den staatlichen Museen erworbenen Stücke des Berliner „Schandmals“ gar keine sind? Ja, daß diese, würde man die Exponate aller Museen der Welt aneinanderreihen, ein Fläche von der Größe des Ruhrgebiets umschließen würden? Da würde das Vertrauen in die Geschichtsschreibung und die daraus resultierende Legitimierung des jeweils herrschenden Systems doch arg erschüttert werden (gähn, sezza)! Heillose Anarchie bräche aus! Extremistische Sektierer würden gar behaupten, es hätte niemals eine „Berliner Mauer“ gegeben, sondern lediglich eine Autobahn „Berliner Ring“! Deutlich wird, Zertifikate sind notwending, denn die Mauer-Faker sind bereits unter uns...
Schon werden illegale Ost-West-Joint-ven tures organisiert. Umtriebige Berlin/Westler verschieben Bauschutt an eine darniederliegende LPG, wo der Müll mal kurz mit verschiedenen Farben besprüht wird, um dann zurück in den Westen gebracht zu werden. Hier wird er dann auf ein bereits bestehendes Vertriebssystem - die deutschen Flohmarkthändler nämlich - verteilt. Einige dieser Helden der Arbeit stehen sogar an der Mauer und bieten dort „einzigartige Zeugnisse der Geschichte“ denen zum Kauf an, die dem überwältigenden Augenschein anheimfallen: die Mauer und davor jemand, der bemalte Steinklümpchen verkauft.
Vereinzelt hörte der Chronist auch von Kreuzbergern, die die gleiche Methode in liebevoller Heimarbeit anwenden. Dafür jedoch kann keine Ehrung zum Helden der Arbeit vergeben werden. Denn ob des oben skizzierten Organisationssystems bleibt für solche nur noch rührend zu nennende Anstrengung keine Nische auf dem Markt - und das, obwohl hier nach ökologischen Gesichtspunkten nur asbestfreier Schutt und giftstoffarme Farbe verwendet wird. Löblich, aber verkennend, daß die Geschichtsliquidierung keine ökologische Abfederung benötigt.
R. Stoert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen