: „Die Mauer hat nur noch Wert für Touristen...“
■ Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, zu den Kommunalwahlen in Ost-Berlin, zu möglichen Koalitionen in beiden Stadtteilen und zur geplanten Verwaltungsunion / Grenzkontrollen sollen schnell fallen
taz: Herr Momper, in Ost-Berlin zeichnet sich eine große Koalition aus SPD, CDU und dem Bündnis 90 ab. Befürchten Sie nicht, daß dadurch die Westberliner rot-grüne Koalition erheblich in ihrem politischen Handlungsspielraum eingeengt wird?
Walter Momper: Nein, das glaube ich nicht. Manche meinen ja, wenn es in Ost-Berlin eine große Koalition gibt, dann müßte es auch in West-Berlin bald eine große Koalition geben. Das ist Unfug. Die Bildung einer großen Koalition in der DDR hat auch nicht dazu geführt, daß in Bonn eine große Koalition gebildet wurde. Ich habe schon mehrfach betont, daß wir mit dem neuen Magistrat eine enge Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg anstreben. Daß der Magistrat sozialdemokratisch geführt wird, freut uns natürlich.
Glauben Sie immer noch, daß es in Gesamtberlin eine rot -grüne Mehrheit geben könnte?
Der Senat und die beiden Koalitionsparteien müssen darum kämpfen. Wir sind wieder in einer Phase, wo durch Entscheidungsverzögerung der Eindruck entsteht, als sei der Senat vielleicht nicht handlungsfähig. Es gibt dauernd die öffentliche Diskussion, auch von seiten der Alternativen Liste, über bereits gefaßte Beschlüsse. Das führt dazu, daß bei einem Teil unserer Wähler der Eindruck entsteht, als ginge alles nur zögerlich und mit Vorbehalten voran. Wenn die AL nicht endlich einmal ihre Strukturen so verändert, daß sie nicht von Monat zu Monat eine Mitgliederversammlung zu der Kernfrage ansetzt „Setzen wir die Koalition fort oder nicht“, wenn sie es endlich lassen würden, von Woche zu Woche zu prophezeien, die nächste Koalitionskrise käme nun wieder, dann wird das falsche Bild des Senats in der Öffentlichkeit weiter bestehen. Leichter wird es so nicht für eine rot-grüne Mehrheit. Im übrigen hätte ich mir auch gestern in Ost-Berlin eine solche Mehrheit gewünscht, aber die Wähler haben anders entschieden.
Tino Schwierzina hat mit Ihnen gemeinsam angekündigt, als erstes in Ost-Berlin einen Kassensturz vorzunehmen: Dabei wird ein gewaltiges Defizit zutage treten, und einen Teil wird nach der Vereinigung auch West-Berlin mitfinanzieren müssen.
Die Anlaufkosten der deutschen Einheit betragen nach jetzigen Berechnungen etwa 50 Milliarden Mark, und da ist Ost-Berlin miteingerechnet. Wir müssen hier die Folgen der Teilung bewältigen, und das bedeutet, daß wir das nicht etwa durch Teilung des Westberliner Landeshaushaltes finanzieren können, sondern die Kosten müssen, wie alle Folgen der deutschen Teilung, vom Bund getragen werden.
Die Bereitschaft des Bundes, hier wieder für Berlin in die Bresche zu springen, ist aber doch eher gering.
Das Problem ist ja, daß es im Moment noch keine genauen Zahlen gibt. Bisher wurden 70 Prozent des Ostberliner Haushaltes von der Regierung der DDR getragen, und man muß erst einmal sehen, wie sich das in einem normalen Steuersystem gestaltet. In Bonn muß die Bereitschaft dafür da sein, denn Berlin wird wie keine andere Stadt von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Vereinigung betroffen sein.
Ist es denn realistisch, daß es, wie von Ihnen versprochen, ab dem 2. Juli keine Grenzkontrollen mehr gibt?
Spätestens ab 2. Juli! Mit diesem Tag fällt doch jegliche Begründung für eine Zollkontrolle weg mit der Einheit des Währungs- und Wirtschaftsgebietes. Die Personenkontrollen können schon lange vorher entfallen, nämlich in dem Moment, wo eine gemeinsame Personenkontrolle an den Außengrenzen da ist.
Dann könnte auch die Mauer endgültig abgerissen werden?
Die könnte schon vorher abgerissen werden, denn die hat doch nur noch Wert für Touristen und Steineklopfer.
Sie haben ebenfalls mit Schwierzina angekündigt, noch dieses Jahr eine Verwaltungsunion zu bilden.
Bis zur staatlichen Vereinigung Deutschlands und auch beider Teile Berlins kann man alle Arten von Verwaltungsgemeinschaften begründen, besonders die kommunalen Dienstleistungen zusammenführen, also etwa die Eigenbetriebe im Verkehrswesen, Wasserwerke, Abfallbeseitigung etc. Das würde auch zu einer Minimierung der Kosten und zu größerer Effizienz führen. Als Beispiel für eine Reihe von anderen Feldern möchte ich die Finanzdirektion nennen: Die DDR und Ost-Berlin haben kein ausgebautes Finanzsystem. Hier kann man die Westberliner Einrichtungen nutzen und sie in den betreffenden Fragen der Aufsicht des Magistrats unterstellen, denn es hätte keinen Sinn, jetzt in Ost-Berlin noch eine eigene Oberfinanzdirektion einzurichten.
Werden Sie bei den ersten Gesamtberliner Wahlen gegen Tino Schwierzina kandidieren?
Wenn Berlin vereinigt ist, wird der Landesparteitag der vereinigten SPD von Groß-Berlin einen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters oder Oberbürgermeisters nominieren, und ich vermute einmal, ich würde nicht ganz chancenlos sein, ich würde dann kandidieren.
Möchten Sie gerne Oberbürgermeister von Groß-Berlin werden?
Ja, das stimmt schon, ich würde das gerne machen.
Interview: Kordula Doerfler
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