: „Ein schlechtes Vorbild“
Das „Snooker-Arschloch“ Alex Higgins ist zurückgetreten ■ PRESS-SCHLAG
Seinen Titel als jüngsten Snooker-Champion aller Zeiten ist er seit einer Woche los, aber den Ruf als größtes Arschloch in der Geschichte des britischen Nationalsports kann ihm niemand nehmen: Alex Higgins, Snooker-Profi aus dem protestantischen Teil der nordirischen Hauptstadt Belfast.
Snooker ist eine Billard-Variante, die angeblich aus Schottland stammt. Auf den ersten Blick sehen die Regeln komplizierter aus, als sie sind. Es gibt 15 rote und sechs verschiedenfarbige Kugeln. Die Spieler müssen jedesmal erst eine rote Kugel in eine der sechs Taschen am Rand des Billardtisches spielen, was einen Punkt zählt. Dann dürfen sie eine der anderen Kugeln versenken. Diese Kugel wird danach jedoch wieder auf den Tisch zurückgelegt. Wenn alle roten Kugeln weg sind, müssen die übrigen Kugeln in der Reihenfolge ihres Werts abgeräumt werden - die schwarze zuletzt. Das Spiel ist gewiß nicht arm an Gemeinheiten: Die Kunst besteht darin, die Kugeln, die der Gegner spielen will, zu blockieren. „He snookered him“, tönt es dann ebenso hämisch wie anerkennend von den Zuschauertribünen.
Snooker gilt als Saufsport und Männersache. Das Spiel erfreut sich vor allem in Kneipen großer Beliebtheit. Weltmeisterschaften werden seit 63 Jahren ausgetragen. Dabei geht es um viel Geld: Der Sieger erhielt in diesem Jahr 120.000 Pfund (330.000 Mark). Das Geld kommt von den Fernsehanstalten, die große Turniere live übertragen. In den letzten zehn Jahren dominierte der völlig emotionslose Steve Davis die Welt des Snooker. Es wird gemunkelt, daß er den versteinerten Gesichtsausdruck bereits seit seiner Geburt trägt. Auch als er in diesem Jahr vorzeitig ausschied, verzog er keine Miene. Die Krone gewann der 21jährige Stephen Hendry nach einem spannenden Endspiel gegen den ewigen Verlierer Jimmy White, der sich immerhin mit 72.000 Pfund trösten durfte. Hendry wurde zum jüngsten Snooker -Champion aller Zeiten.
Diesen Rekord hatte seit 1972 Alex Higgins gehalten. Doch in den letzten Jahren ging es mit ihm stetig bergab. Diesmal schied er bereits in der Vorrunde gegen den unbekannten Steve James aus. Gegen Ende des Spiels war er so betrunken, daß er kaum noch den Tisch fand. In der anschließenden Pressekonferenz verkündete er lallend seinen Rücktritt. Damit kam er jedoch lediglich einer lebenslangen Sperre zuvor, die der Snooker-Verband gegen ihn verhängen wollte. Higgins hatte nämlich seinen irischen Teamkollegen Dennis Taylor, der aus dem katholischen Teil Belfasts stammt, im März gewarnt: „Ich lasse dich erschießen, wenn du das nächste Mal in Nordirland bist.“ Taylor, der mit seiner riesengroßen Billard-Spezialbrille wie ein Frosch aussieht, ließ sich davon nicht beeindrucken. Auf den Festbanketten nach Turnieren erzählt er nach wie vor seinen Lieblingswitz: „Alex Higgins sollte jetzt eigentlich hier sein, aber er ist bei einer Schiffstaufe in Glasgow und weigert sich, die Flasche loszulassen.“
Hendrys Manager Ian Doyle sagte über Higgins: „In jeder Gruppe gibt es Spannungen, aber wenn Higgins in der Nähe ist, vervierfachen sich die Spannungen auf der Stelle. Er vergiftet die Atmosphäre.“ Vor einigen Jahren mußte Higgins wochenlang auf Krücken spielen, nachdem er im Delirium bei seiner Freundin aus dem Fenster gefallen war. Seiner Ex-Frau warf er ein Skateboard durchs Fenster, weil sie ihm den Umgang mit den gemeinsamen Kindern verboten hatte. Er sei ein schlechtes Vorbild, drückte sie es milde aus. Auch Schiedsrichter und JournalistInnen waren vor Higgins nie sicher. Einen Unparteiischen setzte er mit einem Kopfstoß außer Gefecht und ging dann mit dem Queue auf die Reporterschar los, weil er sich über deren Schlagzeilen geärgert hatte.
Der langsame Verfall war Higgins in letzter Zeit auch äußerlich anzumerken. Gesicht und Augen waren ständig entzündet, und wenn er sein rechtes Bein hob, um sich über den Billardtisch zu beugen, sah er aus wie ein Dackel beim Pinkeln. Obendrein ist er nun pleite. Er muß in seiner langen Karriere um die zwei Millionen Pfund verbraten haben. Trotz seines ruinierten Rufes wurde er bis zuletzt immer wieder zu Turnieren eingeladen. Ian Doyle wunderte sich: „Aus irgendeinem Grund lieben es die Briten, sich die Tragödie aus der Nähe anzusehen.“
Ralf Sotscheck
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