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Argentiniens Telefon kommt unter den Hammer

Die Telefongesellschaft ENTel ist der erste Staatsbetrieb, den die argentinische Regierung verkauft / Sieben ausländische Firmen beteiligten sich an der Ausschreibung Siemens hat den Sprung nicht geschafft / Das Unternehmensrisiko wird weiterhin vom Staat übernommen / Menem will am liebsten „ganz Argentinien“ privatisieren  ■  Aus Buenos Aires Gaby Weber

Die Privatisierung der argentinischen Telefongesellschaft ENTel bricht gleich mehrere Rekorde: Sie ist das erste Staatsunternehmen, das die peronistische Regierung unter den Hammer bringt, sie spielte die höchsten Defizite ein (1,46 Milliarden Dollar im letzten Jahr) und wird mit Abstand das schlechteste Geschäft sein. Sieben Kapitalgruppen haben jetzt ihre ersten Angebote eingereicht. Siemens hat den Sprung nicht geschafft und hofft, zu einem späteren Zeitpunkt auf den fahrenden Zug springen zu können. Am gestrigen Dienstag öffnete ENTel den Anbietern gegenüber seine Geschäftsbücher, die dann bis zum 25. Juni Zeit haben, ein konkretes Angebot einzureichen.

Mitte April war auf Druck der peronistischen Abgeordneten das „Lastenheft“ noch einmal geändert worden, das die Bedingungen für den Verkauf ENTels regelt. Entgegen den ursprünglichen Vorstellungen der Zwangsverwalterin Maria Julia Alsogaray von der neoliberalen „Union des Demokratischen Zentrums“ wurde der Preis erhöht: Der Käufer muß bei Vertragsunterzeichnung, die für den 6. August geplant ist, mindestens 214 Millionen Dollar bar auf den Tisch des Hauses legen und innerhalb von zwei Jahren noch einmal 745 Millionen. Insgesamt wurde der Kaufpreis auf mindestens 3,5 Milliarden Dollar festgelegt. Den Interessenten wird erlaubt, den Löwenanteil davon mit Wechseln der argentinischen Auslandsschuld zu entrichten im Rahmen eines „Debt-to-equity-swaps“: Die internationalen Gläubigerbanken verkaufen ihre Schuldtitel weit unter Wert, je nach Kreditwürdigkeit des jeweiligen Schuldnerlandes. Die argentinischen Wechsel beispielsweise sind auf diesem „Secondhand-Marktes“ heute nur noch zehn Cent pro einst verliehenem Dollar Wert. Der Käufer ersteht Schuldtitel mit einem Nominalwert von einer Million und muß dafür der Gläubigerbank nur 110.000 Dollar bezahlen. Beim Erwerb von ENTel hat dieses Papier aber eine Kaufkraft von einer Million Dollar.

Die Regierung garantiert dem Käufer einen Jahresgewinn von 16 Prozent auf die Summe von 1,9 Mrd. Dollar zuzüglich der noch zu tätigenden Investitionen. Das unternehmerische Risiko bleibt damit in der öffentlichen Hand, und durch Preismanipulationen des künftigen Betreibers kann der Gewinn künstlich niedrig gehalten und der argentinische Fiskus jedes Jahr neu zur Kasse gebeten werden.

Der Käufer wird nicht verpflichtet, das vorhandene Netz zu modernisieren. Er muß in seinem Angebot lediglich Auskunft über seine beabsichtigten Investitionen geben, so daß zu befürchten ist, daß die Dienstleistung in Zukunft nur teurer, aber nicht besser wird. Nicht die Höhe der Investitionen sei für sie ausschlaggebend, hat die Zwangsverwalterin Alsogaray offenherzig angekündigt, sondern wer am meisten Schuldtitel in die Waage werfe.

An der Ausschreibung haben drei US-amerikanische Firmen ( Nynex, GTE und Bell Atlantic), die britische Cabel and Wireless, die spanische Telefonica Espanola, die italienische STET sowie die französische France Radio et Cable beteiligt.

Weder Siemens noch PECON-NEC (Japan) noch Ascom Hasler (Schweiz) haben ihr Interesse am Kauf angemeldet, obwohl sie zunächst das Lastenheft erworben hatten. Siemens-Equitel, seit über 30 Jahren wichtigster Lieferant von ENTel, muß nun befürchteten, vom großen Kuchen nur noch ein paar Krümel abzubekommen. Vor allem die Franzosen und die Spanier sind scharf darauf, den Deutschen das große Geschäft aus der Hand zu nehmen. Jahrelang hatte Siemens ENTel zu maßlos überhöhten Preisen Telefonapparate und Zentralen geliefert. Noch hofft man bei Siemens in Buenos Aires, sich in einer späteren Phase mit einem Anbieter zusammenzutun, um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten. Daß sie sich an der Ausschreibung nicht beteiligt haben, begründet Pressesprecher Michael Ritter damit, daß als Käufer nur eine Firma akzeptiert wird, die Telefonnetze betreibt und nicht nur zuliefert. Erst im April seien auch staatliche Betreiber zugelassen worden. Die Deutsche Bundespost habe jedoch kein Interesse gezeigt und sei auch zu schwerfällig, in so kurzer Zeit zu reagieren.

Die Privatisierung stößt in Argentinien auf wenig Widerstand. Die Verbraucher versprechen sich davon endlich funktionierende Telefone. Die Forderung des Gewerkschaftsdachverbands CGT, ENTel in der derzeitigen Form zu verteidigen, trifft auf wenig Verständnis. Andere Modelle, wie Vergesellschaftung, Selbstverwaltung oder Mitbestimmung, werden kaum diskutiert.

„Sabotage“

Nach Angaben der ENTel-Verwalterin Alsogaray sind von 1,8 Millionen Anschlüssen ein Drittel seit längerem kaputt. Oft werden die Kabel von Nachbarn stunden- oder wochenweise abgeklemmt, Forderungen, das Kabelwirrwarr der Dachböden und Hinterhöfe zu ordnen, scheitern regelmäßig an der Bürokratie. Reparaturen werden bestenfalls gegen Schmiergeld erledigt. „Sabotage der Arbeiter“ gegen ihre Privatisierungspläne macht Frau Alsogaray für das Chaos verantwortlich, „beabsichtigter Materialmangel“ kontert die Gewerkschaft. Recht haben wohl beide.

Wenn ENTel in private Hände gerät, müssen viele der 46.000 Angestellten mit Entlassung rechnen. Unter dem Druck von unten hat die Führung der Telefon-Gewerkschaft FOETRA ihre noch vor wenigen Monaten positive Haltung revidiert (vgl. taz vom 3.11.89). Generalsekretär Hector Esquivel schätzt den realen Wert des Unternehmens auf 20 Milliarden Dollar. Damit werde ENTel für ein Prozent seines Wertes veräußert, besser gesagt, verschenkt. Die Wechsel der Auslandsschulden sind für ihn „wertloses Papier“, denn diese Schulden seien ohnehin unbezahlbar.

Für Präsident Carlos Saul Menem ist die Auslandsschuld inzwischen eine „Ehrenschuld“, und wem seine Politik nicht passe, der möge „auf die andere Straßenseite“ wechseln, das heißt die Bewegung verlassen. Die Peronistische Partei ist mit 4,2 Millionen Mitgliedern die größte der westlichen Welt. Mit Menem zog im Juli des vergangenen Jahres auch in Buenos Aires das Gespenst des Neoliberalismus ein. „Die Zeit der Ideologien ist vorbei“, verkündete er angesichts der Ereignisse in Osteuropa. Seine Devise heißt: Gürtel enger schnallen statt peronistische Sozialstaat-Utopie.

Mit den orthodoxen Peronisten, dem ihm ergebenen Flügel der gespaltenen Gewerkschaft und den Neoliberalen will er eine neue Bewegung gründen, eine Art Pressure-group gegen die Kritiker aus der eigenen Partei. Anfang April gab diese noch namenlose Allianz ihr Debut, als sie vor dem Regierungspalast eine Kundgebung organisierte. „Privatisiert ganz Argentinien!“ hieß es auf Spruchbändern.

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