piwik no script img

Konsulatsschütze durch Immunität geschützt

Mordkommission ermittelt gegen Angehörige des türkischen Generalkonsulats in München / Auf Demonstration geschossen / Mutmaßlicher Schütze genießt Immunität / Schon 1979 gab es scharfe Schüsse aus dem Konsulat / Als „sehr aggressiv“ bekannt  ■  Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - Die Schüsse, die Sicherheitsbeamte des türkischen Generalkonsulats in München am 1. Mai aus dem Konsulatsgebäude heraus auf eine Demonstrantengruppe abgefeuert haben, beschäftigen inzwischen die Mordkommission. Trotz anderslautender Zeugenaussagen geht die Polizei nach wie vor von nur einem Täter aus. Und der soll aufgrund seiner diplomatischen Immunität nicht strafrechtlich belangt werden können.

Wie berichtet hatten etwa 50 TürkInnen gegen das brutale Vorgehen der türkischen Polizei anläßlich der 1.Mai -Demonstration in Istanbul vor dem Münchener Generalkonsulat in der Menzinger Straße demonstriert. Dabei fielen mehrere Schüsse. „Aus der Eingangstür und einem Fenster im ersten Stock wurde geschossen“, berichtet der 23jährige Nuri G. aus Ingolstadt, der von einem Querschläger am Oberarm schwer verletzt wurde. „Wir wurden dann von Sicherheitsbeamten bis zur Brücke über den Nymphenburger Kanal verfolgt, dabei schossen sie uns hinterher.“ Nuri G., Mitarbeiter einer Organisation der Angehörigen politischer Gefangener in der Türkei, ist nach zwei Operationen kürzlich aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Das Konsulat dagegen konstruiert eine Notwehrsituation. Ein selbstgebastelter Molotow-Cocktail der Demonstranten habe einen Sicherheitsbeamten getroffen, daraufhin habe dieser „Warnschüsse“ abgegeben. Michael Reiss, Anwalt von Nuri G., bezeichnet diese Aussage als „Vorwärtsstrategie des Konsulats“.

Mit drei Tagen Verspätung hat die Spurensicherung der Polizei begonnen. Mit Spürhunden wurde das Gebiet um das Konsulat abgesucht, Hülsen oder Patronenreste wurden nicht gefunden. Die Konsulatsbeamten waren anscheinend schneller. Bislang endet die Ermittlungstätigkeit der Polizei an der Bannmeile des Konsulats. Mit Verweis auf das „laufende Verfahren“ lehnt die Polizei jede weitere Auskunft ab. Es wurde lediglich bekanntgegeben, daß der mutmaßliche Schütze zum Konsulatspersonal gehört und damit Immunität genießt. Es wird also keine strafrechtliche Verfolgung geben können. Als einzige Möglichkeit kann die Bayerische Staatsregierung mit Zustimmung der Bundesregierung den/die Täter zur „persona non grata“ erklären und des Landes verweisen.

Schon im Herbst 1979 geriet das türkische Generalkonsulat in München in die Schlagzeilen. Als Nasmi Canpolat zusammen mit einem Freund an die Gartenmauer ein Plakat mit einem Aufruf für einen Wahlboykott kleben wollten, wurden sie von einem Sicherheitsbeamten überrascht. Die beiden Türken flohen. „Der Konsulatsangestellte verfolgte uns mit gezogener Neun-Millimeter-Pistole und feuerte sieben bis acht gezielte Schüsse ab“, erzählt der heute in Köln lebende Nasmi Canpolat. Durch die Schüsse wurde ein unbeteiligter Passant verletzt. Während der Sicherheitsbeamte klammheimlich nach Rom versetzt wurde, bekamen die beiden Türken erhebliche Schwierigkeiten. Sie mußten ihr von der Türkischen Zentralbank gewährtes Stipendium zurückzahlen und wurden ausgebürgert. Erst nach sechs Jahren wurde ihr Asylantrag anerkannt. „Das Münchener Generalkonsulat ist bei uns als sehr aggressiv bekannt“, berichtet Canpolat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen