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Angst und Schrecken in der Obdachlosen-Szene

In Frankfurt vier Ermordete und ein Schwerverletzter seit Februar / Polizei fahndete vergeblich nach dem Mann mit der Eisenstange / Nichtseßhafte schließen sich zu Schlafgemeinschaften zusammen / Grüne fordern mehr Schutz  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Der Obdachlose Hannes K. ist ein Bär von einem Mann. Groß und schwerfällig, den Kopf gesenkt, das Kinn in den mächtigen gelbgrauen Rauschebart vergraben, schlurft er jeden Tag durch die unterirdische B-Ebene an der Hauptwache in der Innenstadt von Frankfurt a.Main. Hannes K. ist krank, seine Beine sind wund, dick angeschwollen und nässen. Wenn sich Sanitäter auch nur von weitem nähern, ergreift er die Flucht.

Er wird das Angebot der Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt, Christine Hohmann-Dennhardt, die Nächte im Männerwohnheim in der Kiesstraße zu verbringen, nicht annehmen. Auch nach den vier Morden an Obdachlosen in Frankfurt macht er lieber im Freien Platte.

Zwei Tote in einer Nacht

Oberirdisch, zwischen dem „Kaufhof“ an der Zeil und der Katharinenkirche, diskutieren Obdachlose gleich gruppenweise. Innerhalb von nur 24 Stunden sind drei Menschen aus ihrer Mitte am Wochenende im Schlaf erschlagen worden - alle hatten in den Grünanlagen der Innenstadt übernachtet.

Zwei Tote, einen 42jährigen Jugoslawen und einen 60jährigen Deutschen, fand ein Passant am Samstag morgen, weniger als 100 Meter voneinander entfernt, mit eingeschlagenen Schädeln. In der Nacht davor war ein 46jähriger Mann auf die gleiche bestialische Weise ermordet worden.

Die Frankfurter Kriminalpolizei vermutet, daß es sich bei allen drei Verbrechen um den gleichen Täter handelt, dem sie seit dem 1. Februar dieses Jahres nicht auf die Spur gekommen ist. Damals war der 43jährige nichtseßhafte Heinz -Peter S. Schwerverletzt in einer Frankfurter Innenstadt -Passage aufgefunden worden. Er liegt seitdem im Krankenhaus und ist nicht wieder aus dem Koma erwacht. Genau zwei Monate später, am 2. April, geschah ein ähnlicher Mordanschlag: Der an der Bushaltestelle Konstablerwache schlafenden Helmut R. wurde tödlich getroffen.

Zwei Tage später erhielt die Kriminalpolizei ihren bislang einzigen verwertbaren Hinweis. Ein Fußgänger sah in der Nähe des jetzigen Tatortes, im Grünstreifen am Anlagenring, einen unbekannten Mann, der sich, eine große Eisenstange in der Hand, einem schlafenden Obdachlosen näherte. Der Unbekannte lief davon, als er sich beobachtet fühlte. Die Polizei fertigte nach diesen Angaben ein Phantombild an. Ein am Sonntag Festgenommener, der dem Bild ähnelte, ist inzwischen wieder freigelassen worden. Es werde, teilte die Staatsanwaltschaft mit, mit einer Sonderkommission und „hohem Personaleinsatz“ gefahndet. 21.000 Mark Belohnung setzte sie zusammen mit dem Regierungspräsidium in Darmstadt aus.

Inzwischen haben sich einige Gruppen Frankfurter Nichtseßhafter zusammengeschloßen, ihre Stammplätze an den Getränkebüdchen in den Stadtteilen sind verwaist. Das Angebot der Stadt, ihnen die Übernachtungsheime rund um die Uhr offen zu halten, in denen doch trotz Überfüllung „wenigstens ein Stuhl“ für sie bereit stünde, empfinden sie als eher zynisch. Das sind Angebote der selben Stadtverwaltung, die ihnen in den Jahren zuvor die Schlafplätze und Treffpunkte genommen hat.

Schlafplätze wegsaniert

Überall, so sagt Wolfgang M., seien sie vertrieben worden, verstreut, vereinzelt, in die Randgebiete abgedrängt. Die Treffpunkte am Mainufer sind wegen verschiedener Baumaßnahmen dort verloren, der Scholzeplatz so saniert, daß kein Platz nehr für Obdachlose da ist. Ansätze zur Selbstorganistation der Obdachlosen zum gegenseitigen Schutz sind gescheitert.

Wolgang M. ist noch jung, hat langes Haar, nach dem vierten Bier wird er richtig zornig. Was bleibt ihm, um sich selbst zu schützen? Er erwägt, sich einen Schäferhund anzuschaffen. Den könne er sich vielleicht aus dem Tierasyl holen, andere hätten das schon getan. Ein Messer hat er auch schon. Es steckt im Bund seiner mit einer Kordel zusammengehaltenen Hose auf der nackten Haut, mit Wellenschliff und eher zum Brotschneiden denn zur Verteidigung geeignet.

Einigen Erfolg hatte ein Aufruf der Nichtseßhaften, Schlafgemeinschaften zu bilden. Sie sind in den Südwesten des Anlagenringes an den Entenweiher im Ostend ausgewichen und lagern dort gemeinsam. Kirchliche Institutionen und die Frankfurter Grünen forderten mehr Schutz für sie.

Bei ihnen selbst schwankt die Stimmung heftig zwischen Angst, Resignation und dem Ruf nach Selbsthilfe. In der Gruppe fühlen sie sich stark. Wolfgang M. zückt sein Messerchen und sagt: „Der soll nur kommen...!“ Sein nicht so offensiver Kumpel Klaus fragt: „Und dann?“ Er gibt sich die Antwort selbst: „Dann biste doch viel zu besoffen, um überhaupt wat zu merken.“

Die Zahl von zur Zeit 800 Obdachlosen in Frankfurt, die die Stadt genannt hatte, halten sie beide für viel zu niedrig. Zur „Szene“ kommen nämlich, daß wissen sie, noch die zahlreichen „Einzelgänger“, die mittlerweile nur noch alt, krank und schwach vor sich hindämmern, die wohnungslos gewordenen RentnerInnen, die mit ihren Plastiktüten einsam durch die Stadt ziehen und nirgens Anschluß finden und niemanden um Hilfe bitten wollen. Die haben nicht mal den zum Warmhalten, Schlafenkönnen und Vergessen so bitter notwendigen Alkohol, den sie untereinander teilen können. „Das sind“, sagt Wolfgang M., der seine Ansprüche offensiv, wenn auch vergeblich, anmeldet, „noch ärmere Schweine als wir“.

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