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AUS DEM BUSCH GEKLOPFT

■ Uraufführung von Michael Zochows „Neger mit Gazelle“ im Theater zum westlichen Stadthirschen (Stückemarkt)

Als Achternbusch-Ära wird das ausgehende zwanzigste Jahrhundert in die deutsche Geschichte eingehen. Jetzt, wo der ursprünglich in Bayern ansässige „Depp an sich“ auch ins preußische Kernland vorgedrungen ist und seine Begleiter Neger, Indianer, Einhörner und Gazellen - bereits den bundesweiten Naturschutzpark bewohnen. Michael Zochow, ein in Berlin lebender Schriftsteller, ist so eine Achternbusch -Mutation, eine Kreuzung aus Wolpertinger und Steppenfloh. Sein Protagonist, der Neger mit Gazelle, spricht deswegen auch bayerisch und ist ein Wüstling, ein Wilder, ein Held. Er ist mal im deutschen Nationalpark, mal in Kenia, mal im Biergarten zu finden, tritt als Vergewaltiger, immer als Leerstelle der deutschen Seele, als ihr Exotum, als Hälfte eines zebragestreiften Babys auf. Immer muß er am deutschen Wesen sterben, ist eigentlich immer schon tot, kommt immer wieder zum Leben, von der deutschen Frau ins Leben zurückgeküßt.

Mit dieser Uraufführung hat das Theater zum westlichen Stadthirschen nach einer zweieinhalbstündigen, eher schleppenden Hetzjagd unter ihrem Obertreiber Dieter Sudars einen überzüchteten Zehnenderbock geschossen. Die Beute ist aus spärlich bewachsenem Flachland geholt. Der Kilimandscharo leuchtet zwar in der Ferne, aber der Deutsche wagt sich nur bis ins Sumpfgebiet vor. Die Frau vergißt vor Bewunderung für einen Original-Flamingo ihren Mann mit dem zart eingefädelten Benetton-Sex. Der Busch ist einer aus dem Tiergarten, in den sich mann und frau regelmäßig werfen, um dann als andere wiederzukehren: die gute Ingrid fährt samt Dornbusch zum Himmel auf. Über diesem Busch zieht sich die aktuelle Großwetterlage der Republik zusammen: die Giftwolke ebenso wie die Hölle der Freizeit, die Polen, der Todestrieb, Diebe und Schwerenöter, die engdeutsche Angst, die in Afrika plötzlich weg ist, Schwule und Sittenpolizei, die gehässige Freundin, afrikanische Folklore, eine geschnitzte Dinosauriergiraffe, ein Künstler und eine verbissene Wildheitssucht.

In den fünf Freizeitbildern, auf die das Freigehege-Theater schon seit längerer Zeit abonniert ist, kommt nicht mal eine Stuyvesant-Erotik auf. Trotz ununterbrochenen, kondomlosen Partnertäuschen schlägt sich nichts auf der Bühne nieder, nur die reale Berliner Hitze treibt einem den Schweiß hervor. Die Damen (Antje Siebers und Elisabeth Zündel) staksen hübsch bekleidet durch dieses Slumberland-Afrika und ihre Träume vom allumfassenden Mann, ihre Männer (Axel Pape, Dominik Bender, Johannes Herrschmann) sind, ob schwarz, ob weiß, so farblos, daß man sich von ihnen mindestens bis nach Afrika fortwünscht. Aus der Vorstellung hat man sich nicht nur wegen der drückenden Hitze schon nach einer dreiviertel Stunde fortgewünscht.

Michaela Ott

Freitag 11. Mai bis Sonntag 13. Mai, 20.30 Uhr; Mittwoch 16. Mai bis Samstag 19. Mai, 20.30 Uhr im Theater zum westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37.

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