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OHNE HIMMEL UND HÖLLE

■ Theater CSFR in der „Internationalen Gastspielreihe“ der Akademie der Künste

Offenbar weitgehend unbemerkt vom Berliner Publium hat die Gastspielreihe tschechischer und slowakischer Studiotheater in der Akademie der Künste inzwischen Halbzeit. Stellte die Auftaktvorstellung, der „Tartarische Jahrmarkt“ vom Divadlo Na zabradli (Theater am Geländer) aus Prag, so gelungen und überzeugend die szenische Einrichtung auch war, die Besucher mangels Vermittlung vor eine unlösbare Aufgabe

-wer spricht schon tschechisch oder gar slowakisch (die beigegebene Inhaltsangabe konnte hier nur wenig helfen, da es bisweilen schon Schwierigkeiten bereitete, in diesem die Zeitebenen und Varianten des „Mythos“ mischendem Spiel die einzelnen Figuren zu identifizieren), so war bei „Don Juan“ die fremde Sprache allenfalls eine Irritation am Rande. Diese Inszenierung entwickelte ihre eigene, allgemeinverständliche Sprache. Mit „Don Juan“ ist der Regisseur Jan Grossman nach mehr als zwanzig Jahren wieder an das Theater am Geländer zurückgekehrt. In den Sechzigern hatte er diese Bühne gemeinsam mit deren damaligen Dramarturgen und „Hausautoren“ Vaclav Havel und Inszenierungen wie „König Ubu“ und „Der Prozeß“ zu dem wohl auch international bekanntesten und bedeutendsten tschechischen Theater gemacht. Grossmann hat Molieres Text stark bearbeitet. Don Juan ist nicht mehr der unverbindliche Verführer der Frauen aller Stände, der bei drohender Gefahr seinen Diener Sganarelle vorschiebt und den schließlich der Geist des Komtur als Vertreter einer höheren Ordnung in die wohlverdiente Verdammnis stößt. Höhere Ordnung, Verdammnis. Schuld und Sühne. Ehre und Rang: Das sind hier nur mehr ebenso vertraute wie sinnlose Vokabeln im Munde der Exponenten einer zwar bunten aber leerlaufenden Gesellschaft. Auch dieser Don Juan treibt sein Spiel mit den Insassen der Zeit, doch er geht ein hohes Risiko ein. Er führt diese Gesellschaft vor, nimmt sie beim Wort und zeigt, daß ihre vielzuviel berufene Moralität nicht mehr als Pose und Posse ist. In dieser Welt, die keine Konsequenz mehr kennt, ist das Ende von Don Juan nur konsequent. Nach einem grotesken „Zweikampf“ mit den um Ehre der Familie besorgten Brüdern Carlos und Alfonso fällt er - stürzt über sich? - in das Messer seines Dieners Sganarelle, der dem Meister über weite Strecken folgen konnte, doch dem am Ende des Spiels der Atem kurz wird - Unfall, Zufall, Mord, Müdigkeit, man weiß es nicht, aber allemal braucht das keinen Himmel und keine Hölle. Das war mit komödiantischen und artistischen Einlagen schauspielerisch großartiges Theater, das ohne aufwendige Bühnentechnik auskommt. Spielort ist das verfallene Grabmal des Komtur, das den Zuschauer von vornherein ahnen läßt, daß es den steinernen Gast nicht zu erwarten hat.

Während das Theater am Geländer eher zum traditionellen Sprechtheater zu rechnen ist, basiert die Poetik des Theater Divadlo Husa na provazku (Theater Gans an der Schnur) auf den Grundsätzen einer „offenen“ oder, wie sie es selbst nennen, „nichtregelmäßigen“ Dramaturgie. Der dramatische Text tritt zugunsten der visuell-szenischen Vermittlung in den Hintergrund. Mit den im Laufe der kommenden Woche gastierenden Studio Y und dem HaDivadlo gehört das Theater Gans an der Schnur zu den wichtigsten tschechischen und slowakischen Studiobühnen. Allen gemeinsam ist eine mit viel Temperament, Spielwitz und Improvisation verbundene hohe Professionalität: das Studio Y besteht seit 27 Jahren. Ihre festen Spielorte sind Ausstellungsräume, Versammlungssäle, ehemalige Musikkeller, die allesamt nicht die strikte Trennung von Bühne und Zuschauerraum kennen und mit jeder Inszenierung umgestaltet werden. Nicht nur der finanziellen Not gehorchend, kommen diese Theater mit einem minimalen bühnentechnischen Aufwand aus - darin durchaus der Berliner Off-Theaterszene vergleichbar -, gelangen aber immer wieder zu nachgerade genialen Lösungen. Artistisch-akrobatische und musikalische Elemente sind ein fester Bestandteil der Produktionen dieser oft an Volkstheatertradition anknüpfenden Theater. Heute abend um 22.30 Uhr im Ausstellungssaal der AdK das Theater Gans an der Schnur mit „Velky vandr“ - „Die große Wanderung oder Die sagenhaften Abenteuer eines mährischen Schlossers im Goldenen Norden“, von Milos Pospisil, was ein großes Vergnügen zu werden verspricht und die Möglichkeiten einer „nichtregelmäßigen“ Dramaturgie verlockend anschaulich macht. Übrigens: die Handlung um den Eskimo-Häuptling Jan Welzl aus Zabreh in Mähren wird deutsch kommentiert.

Stefan Krul

Jelo: „Die Verwandlung“ nach Franz Kafka, Mo, 14.5., Di, 14.5., 22.30 Uhr; Studio Y: „Amerika“ nach Franz Kafka, Mi, 16.5., Do, 17.5., 20 Uhr, „Der Selbstmörder“ von Nikolaj Erdmann, Fr, 18.5., 22.30 Uhr; HaDivadlo: „Sand“ von Arnost Goldflam, Sa, 19.5., 22.30 Uhr und So, 20.5., 20 Uhr, „Fragmente aus einem unvollendeten Roman“ von Arnost Goldflam, Mo, 21.5., 22.30 Uhr

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