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CHAMPAGNERARIEN

■ Die Berliner Kammeroper spielt „Arlecchino“ von Busoni

Wenn der Ernst des Lebens so kompliziert wird, daß man nicht mehr wagt, über ihn zu lachen, ist es an der Zeit, mal wieder einfache Worte zu gebrauchen, schwarz-weiß zu malen und die Bühnentypen märchenhaft eindeutig auszustatten. Trotz dauerlutschiger Wiederholung ist es dann nämlich eine ungetrübte Lust, den dilettantischen „Dottore“ seine Skeletteilchen aus dem Köfferchen zotteln zu sehen, dem hochwürdigen „Abbate“ kein Wort aus seiner weihevollen und rotweinnasigen Litanei zu glauben und die ach so treuherzig -blauäugige „Colombina“ von hysterischer Eifersucht zu heldinnenhafter Koketterie zu begleiten.

Die Typen (wenn auch kaum etwas anderes in diesem Programm) stammen aus der italienischen Commedia dell'arte, das Stück samt Text von Ferrucio Busoni aus den Jahren 1914 bis 1916, die Themen - Liebe, Laster, Träume - sind so recht wie billig. Was die „Berliner Kammeroper“ da aufführt, heißt Arlecchino und ist streckenweise wirklich ganz lustig, weil wunderbar wurschtig. Das Bühnenbild bezieht den gesamten Raum im Künstlerhaus Bethanien mit ein: Vom Hintereingang wird aufgetreten, auf der Balustrade geliebt und unterm Säulengang passiert das übrige. Der kleine Raum ist so zu beliebig vielen Schauplätzen wandelbar, je nachdem wer ihn betritt.

Arlecchino (Boris Koneczny) ist der gutstarkmutige und dennoch beziehungsweise deshalb auch selbstkritische Held, der durch die Bühnenhandlung spaziert und nicht viel mehr zu tun hat, als die Frau des Schneiders Matteo zu verführen, der wiederum so blöd ist, das nicht zu merken. Arlecchino aber ist dramatischerweise ebenfalls verheiratet, seine Frau Colombina kommt ihm auf die schlecht verborgenen Schliche, ein radfahrender Ritter stellt sich ein und nimmt sich ihrer an und so weiter.

Busoni hat sich zum Zwecke der Vertonung seiner Handlung kräftig aus der Mottenkiste seiner opernschreibenden Vorläufer bedient. Er persifliert Mozart und Donizetti, verbindet das Ganze mit angeschrägten Harmonien und bleibt musikalisch ansonsten so unauffällig wie Scott Curry am Klavier. Das einzige Instrument dieses Abends ermüdet nach einer Weile zwar die Ohren, die SängerInnen dagegen spielen karikaturhaft übertrieben und zeichnen die Figuren der Commedia grell nach (Regie: Barbara Beyer). Sie sind maskierte Puppen neben dem wendigen, tänzerischen Arlecchino, dessen einzige Entstellung - eine rote Pappnase

-ihm sogar steht.

Arlecchino ist allerdings nicht nur unerschrocken, sondern auch gesellschaftskritisch, Busoni also nicht nur Komponist, sondern ein wacher Zeitgenosse. So schleicht sich in die Handlung unüberhörbar die innere Stimme der Menschlichkeit und Empörung ein: Soldaten werden verheizt, das Recht wird in den Dreck gezogen, Klerus und Wissenschaften sind erheuchelte Pseudoautoritäten - und der Held sieht alles und nennt es beim Namen. Da wird das Stück doch so doppelbödig und ernst wie das Leben, aus dem es erzählt, man fragt sich irgendwann, was die Moral mit der Geschichte zu tun hat, das Lachen wird zum Lernziel und vergeht einem.

Und eigentlich war ja Arlecchino am Anfang gar nicht er selbst, sondern der Komponist, der die Bühne betrat, verwandelte sich in ihn. Die Masken der SpielerInnen fallen schließlich ab, sie sind Schauspieler, Arlecchino ist der Dumme - er hat natürlich auch das gewußt - und steht vor den Demaskierten, die sich weigern, ihre Rollen weiterzuspielen. Aber kaum, daß man sich sagt, daß dies nun wohl der effektvolle, wenn auch symbolisch mehrdeutige, so doch tiefschürfende Schluß sein wird, erklingt von ferne als Traumvision des Arlecchino eine Stimme, die vom Straßburger Münster, den Pyramiden und ähnlichen Monumenten der Unterdrückung redet, jedenfalls sehr ernstzunehmende Verbindungen zwischen der Guillotine und dem Eiffelturm herstellt und begleitet wird vom Geschützdonner des Ersten Weltkrieges.

Das ist nun allerdings gar nicht mehr komisch, weniger weil es so unter die Haut geht, als weil es völlig aus dem heiteren Schnürboden daherkommt. - Busoni schrieb diesen Teil etwas später und vertonte ihn nie, vermutlich, weil er selbst den soziokulturellen Rundumschlag zu gewagt fand, oder weil ihm die selbstanalytischen Bekenntnisse zu seinem familiären Hintergrund (die da auch noch vorkommen) zu intim waren.

Der Inszenierung gelingt auf diese Weise das Chaos-Totale, Arlecchino oder Busoni oder wer auch immer bleibt auf der Strecke, und als sein letztes Wort „Champagner!“ ist, macht das auch nichts mehr

Christian Vandersee

„Arlecchino“ wird noch am 14., 16., 17., 18. und 19. Mai gespielt, Beginn 20 Uhr. Ort: Künstlerhaus Bethanien.

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