: Mega-Comic und Durchbruch
■ 2. Europäischer Comic-Salon von Grenoble (29. März bis 1. April 1990)
Martin Frenzel
Ost-West-Dialog im Medium des grafischen Erzählens: der Fall der Berliner Mauer, die atemberaubende Wende in der DDR und der Umbruch in den Ländern Osteuropas findet nun auch im Comic seinen Widerhall. Mit dem Ost-West-Comicalbum Durchbruch legte der Hamburger Carlsen-Verlag zum 2.Europäischen Comic-Salon von Grenoble ein in dieser Form bislang einmaliges Werk vor.
Dreißig teils international renommierte, teils unbekannte Comickünstler ließen ihrer Inspiration durch die historischen Ereignisse (vor allem) an der Berliner Mauer freien Lauf.
„Bilder wurden gestürzt, neue werden geboren“, schreibt der bekannte Comictexter Pierre Christin (Treibjagd, Die Stadt, die es nicht gab, Schlaf der Vernunft mit dem Zeichner Bilal, SF-Serie Valerian & Veronique mit dem Zeichner Jean-Claude Mezieres) im Vorwort über den Bankrott der „alten Männer mit schwarzen Hüten“. Und: „Alle bildenden Künstler müssen an der dringend notwendigen Erneuerung unseres Vorrats an Bildern mitwirken.“
Roter Faden dieser insgesamt gelungenen Ost-West -Reflexionen in Comicform ist der Fall der Mauern, nicht nur die „eine, die 'berühmte‘ Mauer, sondern auch jene abstrakten, dafür aber um so unüberwindlicheren Mauern, hinter denen das Denken der ehemaligen 'Jugend der Welt‘, die der Kommunismus hatte verkörpern wollen, hoffnungslos zu trüber Senilität gefror“. Fast alle beteiligten Zeichner setzten sich mit dem (metaphorisch gemeinten) Mauermotiv auseinander. Stars der europäischen Comicszene wie Jacques Tardi (beim Wasserlassen an der Berliner Mauer entstehen Hammer und Sichel), Moebius (raum- und zeitloses Wesen haut mit der Spitzhacke ein Loch in die Mauer) oder Milo Manara (schöne Frau tanzt mit dem Violinenmann, der selbst nur eine Graffitizeichnung auf der Mauer ist, und wird ebenfalls zu Stein) ließen sich schöne, wortlose Allegorien einfallen. Der in Grenoble zum besten Comiczeichner Spaniens gekürte Miguelanxo Prado (Alben:Der tägliche Wahn, Ehapa; Chronik der Unlogik, Arboris/Cadmos) wartet mit einer ungemein einfühlsam-melancholischen Geschichte über das x -beliebige Übersiedlerschicksal einer DDR-Bürgerin auf. Titel: Collage eines Verzichts. Ganz anders die beiden Polen Marciej Parowski (Text) und Boguslaw Polch (Zeichnungen): Sie schildern den Denkmalsturz des verhaßten Tscheka-Begründers Dserschinski in Warschau. Nachdenkliches präsentieren Jean-Claude Mezieres‘ zwei Seiten einer Medaille: von der DDR-Magerkost zum Coca-Cola- und Hamburger -Fastfood, vom „antifaschistischen Schutzwall“ zur oberflächlichen Glitzerwelt der Konsumgesellschaft westlicher Prägung. Bei Daniel Torres nimmt ein riesenhafter Uncle Sam als Symbol des Kapitalismus die DDR unter Beschlag. Annie Goetzinger, einzige Comiczeichnerin im Durchbruch-Band, träumt die Vision von der „einen Welt“
-und ihr Autor Victor Mora klagt die fehlende Wende auch im Westen ein.
Watchmen-Schöpfer Dave Gibbons läßt einen mit US-Dollar -Emblem promenierenden „Superman“ des Kapitals erst Coca Cola, Jeans und Michael Jackson auf Walkman-Kassette unters DDR-Volk bringen, um danach dem rastlosen Politbüro zu zeigen, wer der neue Boß im Hause ist. Eine besonders originelle Story stammt aus der Feder des künstlerischen Leiters der DDR-Comiczeitschrift 'Mosaik‘, Lothar Dräger. Er läßt einen an Gedächtnisschwund leidenden Egon Krenz ins SED -eigene „Lustschloß“ Wandlitz zurückkehren. Der vergeßliche Egon trifft dort - Jahre danach - auf den vergreisten Honecker mit Maschinengewehr und Barbarossabart. Doch alles entpuppt sich am Ende als böser Traum - Egon erwacht wieder in der Nervenheilanstalt... Die Zeichnungen zur Drägers Wandlitz-Satire steuerte das Künstlertrio „Zonic“ bei (bestehend aus den beiden 'Mosaik'-Zeichnern Jörg Reuter und Jens Uwe Schubert sowie 'Atze'-Mitarbeiter Andreas Pasda). US-Comicstar Bill Sienkiewicz (hierzulande erscheint gerade im Splitter-Verlag seine virtuos inszenierte Saga Elektra) erinnert daran, daß es in Deutschland eine Hypothek der Massenaufmärsche gibt, die mit Auschwitz und der Shoah endete. Bei Fran?ois Boucq (bei uns erschien Die Frau des Magiers beim alpha-comic-Verlag) sind die Mauerstücke bereits zum Verkaufsschlager im Supermarkt avanciert. Und Enki Bilal, dessen Portfolio Die Mauer Berlin Anfang der Achtziger Furore machte, hält den real existierenden Sozialismus schon für einen angestaubten Mythos des Bilderrahmens. Das Projekt Durchbruch, schon in Angouleme Gesprächsthema, ist aber nicht nur wegen seiner politischen Aussage ein interessantes Ost-West-Experiment. Vielmehr bietet es einen nahezu einzigartigen Überblick über die europäische Comiczeichner-Creme (sieht man einmal vom Amerikaner Bill Sienkiewicz ab).
Die Originale sind vom 14. bis 17.Juni zum 4. Internationalen Comic-Salon in Erlangen. Das Ost-West -Kompendium bescherte dem Hamburger Marktführer auf dem bundesdeutschen Albenmarkt aber auch ein einträgliches Lizenzgeschäft. Der Band kam nämlich in dreizehn Ländern gleichzeitig heraus (in der DDR im Konrad-Reich-Verlag Rostock, mit dem Carlsen ein Joint-venture geschlossen hat, in ganz Westeuropa, in Ungarn und den USA).
Stark autobiographisch beeinflußt ist dagegen eine andere Neuerscheiung zur „question allemande“: Peter Engl, Berliner Grafiker und Comickünstler, bemalte in Grenoble zusammen mit den beiden DDR-Kollegen Karin und Manfred Moritz symbolisch eine (Berliner) Stellwand. „Dumm, aber glücklich“, kommentierte Engl im Kongreßpalast „Alpexpo“ inmitten von 160 Verlagen (darunter 70 aus dem europäischen Ausland, den USA und Japan, sogar ein Verleger aus Zaire) den Ausgang der DDR-Wahl vom 18.März.
In der „Edition Kunst der Comics“ sind bereits zwei Ausgaben seines außergewöhnlichen Ost-West-Dialogs erschienen (Untertitel: „Ein deutsches Comic“). Sind die hier enthaltenen Versuche einiger BRD- und DDR-Zeichner kaum der Rede wert, so möchte man Peter Engls bitterböser Abrechnung mit dem Mythos der „Kriegsgefangenschaft als Jugenderlebnis“ die größtmögliche Verbreitung wünschen. Der zweite Band des Ost-West-Dialogs nimmt sich die vermeintlichen goldenen Wohlstandsjahre der Fünfziger vor. Es geht um Kriegsheimkehrer, die - anders als auf dem Schlachtfeld oder im KZ - in Friedenszeiten Potenzprobleme haben. Engl, Jahrgang 1949, sucht - ähnlich wie der auf dem Europäischen Comic-Salon erneut prämierte New Yorker Experimentalgrafiker Art Spiegelman (Holocaust-Epos Maus) - den Vater-Sohn-Konflikt mit dieser „Familiengeschichte“ in bewußt naiv wirkenden, die Klischees vom sauberen Deutschen durch den Kakao ziehenden Zeichnungen aufzuarbeiten. Die Vorzugsausgabe des zweiten Bands (Preis: 280 DM) enthält im übrigen einen vom Künstler selbst gesägten und signierten Hampelmann: ein russischer Soldat zum Selberbauen. „Der natürliche Feind des Deutschen?“ fragt Engl in Eulenspiegel-Manier. Ein Portfolio 2*5 dumme Gesichter im Wirrwarr der Zeit gehört ebenfalls zum Repertoire des gebürtigen Nürnbergers. Zum Verkaufsrenner entwickelten sich auch seine phallisch-plastischen „Verhütungsdosen“, sozusagen postmoderne Variante des Meisner Porzellans.
Überhaupt war die Präsenz der bundesdeutschen Verlagswelt in der dynamischen Alpen- und High-Tech-Metropole an der Isere so geballt wie bisher auf französischen Comicfestivals noch nie. Verlage wie alpha, Carlsen und Ehapa, Feest und Splitter, Boiselle-Löhmann und die Edition Kunst der Comics gaben sich ein Stelldichein. Die internationale Verlagsmesse geriet denn auch zum Erfolg: mehr als 80.000 zahlende Besucher, ein im Blick auf den EG-Binnenmarkt 1993 florierender Lizenzhandel und eine enorme Medienpräsenz dürften Grenoble die Stellung als Welttreffen der Comicbranche sichern. Das Niveau des nach wie vor größten Comicspektakels in Angouleme hat die Universitätsstadt nahe der Schweizer Grenze zwar noch lange nicht erreicht. Aber immerhin bemühten sich die Veranstalter in diesem Jahr um ein einigermaßen gehaltvolles Rahmenprogramm. Auch dort stach die deutsche Dominanz ins Auge: eine Ausstellung 125 Jahre Max und Moritz über Wilhelm Busch und seine Münchner Bilderbögen (die noch in Erlangen zu sehen sein wird) wurde ebenso geboten wie eine Werkschau der Nouvelle Vague Allemande (gemeint waren die jungen westdeutschen Comiczeichner). Daß es neben den dort ebenfalls ausgestellten Comicprofis wie Matthias Schultheiß, Brösel, Burkhard Fritsche, Hansi Kiefersauer und Gerhard Seyfried noch etliche Talente gibt, Namen wie Rainer Laws, Christian Gorny und Guido Sieber beweisen es. Ein Großteil dieser Amateurproduktion kommt freilich über Mittelmaß nicht hinaus und hätte auf dem europäischen Comicmarkt keine Chance.
Im Kunstmuseum von Grenoble war auch die großartige, Edgar Pierre Jacobs (1904-1987) gewidmete Blake-und-Mortimer -Austellung zu bewundern. Jacobs, der eigentlich eine verheißungsvolle Karriere als Opernsänger vor sich hatte und dann ins Comicmetier wechselte, zählt (neben Tim-und -Struppi-Schöpfer Herge) zu den Ahnvätern der frankobelgischen Comictradition. Seine auf deutsch im Carlsen-Verlag erscheinende Detektiv- und SF-Serie Blake und Mortimer wird jetzt mit großem Werbeaufwand fortgesetzt: Der Belgier Bob de Moor, selbst Studiozeichner bei Herge, zeichnete die lange erwartete zweite Folge der Drei Formeln des Professor Sato, eines in Japan spielenden Politthrillers mit SF-Elementen. Der noch von Jacobs fertiggestellte erste Teil erschien bereits 1972. Bob de Moors Versuch, in die Fußstapfen des Altmeisters zu treten, ist ebenfalls anhand der Originalzeichnungen im Grenobler Kunstmuseum zu begutachten: Den Charme solcher Klassiker wie Das Geheimnis der Großen Pyramide und Das gelbe M hat der Jacobs-Kronprinz zweifelsohne nicht erreicht.
Wer die Kunst des Hochmittelalters suchte, konnte sie in Gestalt einer siebzig Meter langen, originalgetreuen Reproduktion des Wandteppichs von Bayeux finden. Die Tapisserie aus dem elften Jahrhundert um die Meriten des Englandbezwingers Wilhelm der Eroberer war in der Kirche von St.Louis zu sehen.
Im mächtigen Glasbau des „Alpexpo“ (der am Wochenende völlig überfüllten Kongreßhalle der Stadt) wurde überdies die sehenswerte Ausstellung mit überformatigen Originalseiten des französischen Erwachsenencomic-Zeichners Paul Gillon gezeigt. Er ist hierzulande vor allem mit elegant illustrierten SF-Epen mit erotischem Einschlag bekannt geworden (Die Schiffbrüchigen der Zeit, Carlsen; Die Überlebende, die es unentwegt mit einem Roboter treibt, alpha). Preisgekröntes Werk Paul Gillons: Die zweibändige Comicadaption der Autobiographie von Martin Gray über die Auslöschung des Warschauer Ghettos wurde auf die Empfehlungsliste der Jury des Gustav-Heinemann-Preises gesetzt (erschienen beim comicplus-Verlag).
Der Megastar der Comicbranche, Moebius alias Jean Giraud (Zeichner vonBlueberry, John Difool, Arzach), gab sich in Grenoble die Ehre. Anders als die Wiener Moebius -Ausstellung (Katalog beim Comic-Forum-Verlag Wien) beschränkte sich die Grenobler Präsentation auf eine Handvoll Gouachegemälde mit mystisch-fantastischem Inhalt. Comicarbeiten fehlten dagegen völlig. Momentan arbeitet der zwischen USA und Frankreich hin- und herpendelnde Multimediakünstler an einem weiteren Superheldencomic a la Silver Surfer (ein peinliches Machwerk mit dem schwülstigen Szenario von Stan Lee) und einer Comicadaption der Jungfrau Maria (Text: Jodorowsky).
Zu den Lichtblicken des eher messezentrierten Comic-Salons von Grenoble gehörte die in der Bundesrepublik mehrfach gezeigte Wanderausstellung Überall ist Entenhausen. In der französischen Fassung hieß diese skurrile Kuriositätenshow in Sachen „Disney total“ schlicht Duckomenta. „Die Franzosen kennen den Begriff 'Entenhausen‘ nicht“, so Kunstprofessor und Initiator Eckhard Bauer von der Braunschweiger Fachhochschule zur taz.
Das Stilmittel der schockierenden Persiflage (unter den 3.000 Micky-Maus- und Donald-Duck-Requisiten sind auch Kunstklassiker nach van Gogh, Matisse und Picasso mit Disney -Antlitz) und die gebratenen (!) Enten in der komplett mit Do- nald-Duck-Merchandisingproduk- ten eingerichteten 1-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung verstießen in den Augen der Hausherren gegen den guten (Massen-)Geschmack. Ein Katalog dieser genial inszenierten Wanderausstellung wider den allgegenwärtigen Disney-Mythos wird demnächst beim Dumont-Verlag erscheinen. Ansonsten arbeitet der rührige Kunstprofessor Bauer an einem Gutachten, mit dem er dem Münchner Verleger Hans Gamber argumentativ unter die Arme greifen will. Der zog derweil mit einer Unterschriftenliste „Ich votiere für die 'Mitterrand-Doktrin'“ von einem Verlagshaus zum anderen. Hintergrund: Gamber brachte publikumswirksam zwei Asterix-Parodien heraus (Alcolix und Die hysterischen Abenteuer von Isterix) und fing sich prompt eine Serie von Klagen durch die Anwälte des Asterix-Zeichners und Eigenverlegers Albert Uderzo ein. Beim ersten Band flog Uderzo mit seinen Plagiatsanwürfen auf die Nase, überredete jedoch die Herge-Witwe, gegen eine ebenfalls dort enthaltene Tim-und-Struppi-Persiflage aus dem US-Satiremagazin 'National Lampoon‘ vor den Kadi zu ziehen. Hauptstein des Anstoßes sind nun jedoch die „Jubiläumspersiflagen“ im zweiten Band Isterix: Moniert werden eine Karikatur des nackt auf der Wiese ein Heft namens „Asterwix“ lesenden Obelix (von Manfred Deix), ein Blindenwitz von Uli Stein und last not least eine als „pornographisch“ angeprangerte Episode von Ralf König (drei schwule Gallier vergreifen sich unsittlich an Centurio „Lucius Sahnesteifus“ und den römischen Legionären des Lagers „Barcadirum“). Letzterer, inzwischen weithin bekannt durch seine Rowohlt-Comics (Der bewegte Mann, Lysistrara, Pretty Baby und Beach Boys) und den Bestseller Das Kondom des Grauens und seine knollnasigen Tunten wurde übrigens in Grenoble bei der offiziellen Preisverleihung zum besten Comiczeichner der Bundesrepublik gekürt (so jedenfalls die einhellige Meinung der dazu befragten Fachjournalisten), Parodieverleger Hans Gamber beruft sich nun auf ein imTim-und-Struppi-Verlag Casterman erschienenes Interview der Zeitschrift 'A Suivre‘ mit Staatspräsident Mitterrand. Der spricht sich darin für einheitliche Gesetzesregelungen in ganz Europa aus. Fakt ist aber: Uderzos Anwälte gehen nur gegen deutsche Parodien vor, nicht aber gegen die französische Ausgabe der Gamber -Produkte. Gamber: „Ein flagranter Verstoß gegen die europäische Idee.“ Die Unterschriftenliste (nahezu alle namhaften Verlagshäuser nahmen daran teil) will der gewitzte Münchner Verleger an den französischen Kulturminister Jack Lang weiterleiten. Immerhin geht es bei den drei laufenden Prozessen um einen Streitwert von 2,1 Millionen DM. Gamber zur taz: „Ich halte das, was etwa der Deix gemacht hat, nicht für eine Parodie, sondern für ein Kunstwerk.“ Eine dänische Ausgabe von Alcolix und Isterix (in einem Band) ist in Vorbereitung. Neben Ralf König bekamen Max Cabanes (Hauptpreis wie schon in Angouleme) und der Belgier Frank (Serie Jonas Valentin, Humorstrip bei Carlsen) Auszeichnungen.
Bei der Podiumsdebatte mit den anwesenden US-Zeichnern Johnny Romita junior, Dave Stevens (Rocketeer, Hetke -Verlag auf deutsch), Geoff Darroow und Mike Kaluta sprach eben jener von den „fünf Invasionen“, die die US-Branche bisher erlebt habe. Zuerst die Philippinen-Comicwelle, dann die spanische, französische und jüngst die englische. Jetzt gebe es eben eine „japanische Invasion“, so The-Shadow -Zeichner Mike Kaluta lakonisch. Bisher in Amerika und Europa kaum wahrgenommen, war in Grenoble zumindest ein Comic der japanischen Comickultur in aller Munde: Akira. Die Tageszeitung 'Liberation‘ sprach begeistert von einem „Megacomic“ und Starzeichner Moebius schwärmte: „Akira ist der Hardrockcomic für junge Leute der Neunziger.“ Die Serie sei grell, schnell und intensiv. „Akira“, so Moebius weiter, „hat Energie.“ Gemeint ist der in Japan bereits mit vier Millionen „Mangas“ (Japanisch für Comics) verkaufte Kultcomic aus der Feder des 36jährigen Katsuhiro Otomo. Die äußerst komplexe Handlung mit stark okkultischen Einflüssen spielt im Tokio des Jahres 2030: Nach der atomaren Apokalypse ein Jahrzehnt zuvor ist ein bedrohliches Metropolis namens „Neo-Tokio“ entstanden. Kaneda und seine Teenager-Motorradbande machen die Gegend unsicher. Bei ihren Fahrten stoßen sie auf den rätselhaft-verkniffenen „Nummer 28“, der in der Manier eines Oskar Matzerath (allerdings ohne Blechtrommel) Fensterscheiben, aber auch ganze Betonbauten zu Bruch gehen läßt. Akira entpuppt sich zum Ende des 1.800-Seiten-Zyklus als die Energie des Universums, des Urknalls. Akiras französischer Verlag Glenat hatte in Grenoble eine bizarre Ausstellung mit einem riesigen Kampfhubschrauber an der Decke, ohrenbetäubendem Fluglärm und einer Nonstop-Ton-Dia-Show (mit Sequenzen aus der Akira-Saga) inszeniert und den Künstler Katsuhiro Otomo aus Japan herbeigeholt. Die Erstaufführung der französischen Trickfilmfassung vonAkira löste widersprüchlichste Stimmen aus: Die einen lobten - wie auch im Comic - die ungemein virtuose Beherrschung der Kamerafahrten, Großaufnahmen und rasanten Bewegungsabläufe (Otomo verwendet im Comic einen für japanische Verhältnisse ungemein sorgfältigen, technisch ausgereiften Schwarzweißstil), die anderen monierten das hohe Maß an roher Gewalt und das Abflauen des Films im letzten Drittel der Handlung (dort wurde aus Kostengründen nur Flickwerk betrieben). Daß Moebius‘ Prognose, Akira sei das „Meisterwerk der neunziger Jahre“, möglicherweise nicht übertrieben ist, läßt sich am immensen Erfolg der Serie in den USA ablesen. Mit 1,5 Milliarden „Mangas“ im Jahr ist Japan der größte Comicmarkt der Welt: Ein Starzeichner wie der Amerikaner Frank Miller (Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters, Carlsen) hat frühzeitig erkannt, daß der Trend gen aufgehender Sonne läuft. Seine sechsteilige SamuraisagaRonin (demnächst bei Carlsen) vereint grafisch wie erzählerisch japanische Feudaltradition mit westlich -europäischen SF-Erzählsträngen. Ob Akira auch bei uns ein Kassen- und Publikumserfolg wird, bleibt abzuwarten: Allein die oberste Bonner Zensurbehörde, die Bundesprüfstelle, wird dabei ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben. Wenn nicht alles täuscht, wird der Stuttgarter Ehapa-Verlag hierzulande das Rennen um die Akira-Lizenz machen. Das Heft soll in großer Auflage über den Kioskvertrieb gehen. „Akira - das ist schön und gewälttätig“, wirbt der französische Verlag. Und so hatten zum Ende des Comicfestivals in Grenoble die japanischen „Mangas“ die deutschen „Max-und-Moritze“ - Gott sei Dank! an den Rand gedrängt.
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