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Strafe löste sich vom Unrecht

■ In einem Kassationsverfahren wurden die 1988 verhängten Urteile für fünf Jugendliche Friedhofsschänder revidiert.

Über zwei Jahre ist es her, da verwüsteten fünf betrunkene Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren einen jüdischen Friedhof in Berlin. 198 Grabsteine wurden beschädigt. Die Jugendlichen johlten antisemitische Parolen und verprügelten nach vollbrachtem Werk zwei Schwule. Das Entsetzen über diese Tat war groß. Im Juli 1988 fand der Prozeß vor dem Bezirksstadtgericht Prenzlauer Berg statt. Die Anklage vertrat Klaus Voß, damals Staatsanwalt, heute Generalstaatsanwalt für ganz Berlin. Er habe „auf Weisung“ verurteilt, erklärte er später. Weisung war: Die DDR brauchte einen antisemitischen Zwischenfall um zu beweisen, daß die Republik kein Tummelplatz für Neonazis und Antisemiten ist. Die Gedenkfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag der „Reichspogromnacht“ standen bevor und Erich Honecker wollte sich mit den internationalen jüdischen Organisationen versöhnen um endlich in die USA eingeladen zu werden. Klaus Voß war ein braver Schüler, er verurteilte die Jugendlichen zu Strafen zwischen sechseinhalb und zweieinhalb Jahren. Ohne die Ostberliner Jüdin Salomea Genin wäre es nicht zu diesem Kassationsprozeß gekommen. Sie erreichte daß Klaus Voß bereute. Die Urteile sollten entsprechend der individuellen Schuld jedes einzelnen neu festgesetzt werden. Gestern ging dieses Verfahren zu Ende. Amtlich festgestellt wurde, daß die Jugendlichen aus gestörten Elternhäusern kommen, daß sie zwar randaliert aber keine antisemitische, neonazistische Ideologie haben. „Die Strafe löste sich (1988) vom begangenen Unrecht“, verlas der Richter. Die neu verhängten Strafen liegen etwas über dem Antrag der Staatsanwaltschaft, sind aber um circa zwei Jahre niedriger als damals.

aku

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