piwik no script img

DDR-Grenzer mit Bundeshilfe auf Bundeskurs

■ Unter den Grenzern der DDR und Ost-Berlins grassiert die Angst um den Arbeitsplatz / Mit Bonner Hilfe wird umgeschult zum Wächter über die neuen Grenzen / Entlassungen sind allerdings kaum zu vermeiden / Persönliche Probleme programmiert

Ost-Berlin. Umschulung - in diesen Wochen ein Reizwort für viele Menschen in der DDR, denn solche Möglichkeiten fehlen noch landauf, landab und das, obwohl schon Zehntausende ohne Arbeit dastehen, für Millionen der bisher sichergeglaubte Arbeitsplatz in Gefahr ist. Diese Unsicherheiten sind in diesen Wochen mehr und mehr auch bei den rund 11.000 DDR -Zöllnern das Thema Nr. 1, deren wichtigste Aufgabe es bislang war, das Außenhandelsmonopol der DDR zu sichern. Zumal bekannt wurde, daß ab 1. Juli die DDR-Zollverwaltung im Zuge der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten die Strukturen der Bundesrepublik übernimmt.

Hatten bisher die Damen und Herren in ihren grauen Uniformen auf der Ostseite der Grenze vor allem Schmuggel und Spekulation zu bekämpfen, sollen sie künftig nun ihren Kollegen im Westen nacheifern. Auch der DDR-Zoll soll sich nunmehr zu einer modernen Dienstleistungs- und Einnahmeverwaltung entwickeln, Zölle und Steuern erheben und verwalten, so den Staatshaushalt mitfinanzieren helfen, was ja auch dringend notwendig ist.

Dazu sind personelle und strukturelle Veränderungen unumgänglich, hieß es kurz und trocken aus der Zentrale der DDR-Zollverwaltung. So soll nach Auskunft des Hauses im Bezirk Prenzlauer Berg die Präsenz an der deutsch-deutschen Grenze, auch an der Berliner, bis zum Sommer „verdünnt“ werden.

Was passiert aber dann plötzlich mit den überflüssigen, bisher fleißig dienenden Mitarbeitern an den derzeit 200 Grenzübergängen zur Bundesrepublik und den 52 offiziellen Mauerdurchlässen zu West-Berlin? Bleibt ihnen nur noch der Weg zum Arbeitsamt als Ausweg? In einem unlängst den Medien übergebenen Brief sprechen Gewerkschafter der Berliner Zolldirektion von 1.000 Kollegen, die im Zuge der Umstrukturierung rund um die noch betonmäßig geteilte Stadt auf die Straße gesetzt werden sollen.

Der Leiter der Abteilung Ausbildung der DDR-Zollverwaltung, Inspekteur Horst Steiner, dementiert ausdrücklich die in dem Schreiben geäußerten Sorgen und Vermutungen. Im übrigen hätten die Initiatoren das Papier zurückgenommen. Die von ihnen aufgeworfene Frage nach einer langfristigen Konzeption zur Sicherung der Arbeitsplätze aber steht dennoch im Raum. Der Ausbildungschef dazu in souveräner Leiter-Manier: Seit Mitte April läuft die Qualifizierung der später als Multiplikatoren wirkenden Kollegen auf Hochtouren. 16 vierwöchige Lehrgänge mit rund 600 Mitarbeitern werden von 48 Experten der Bundeszollverwaltung noch bis Mitte Mai geleitet. Weitere Kurse sollen garantieren, daß die Zöllner Ost ab Juli an den wichtigsten Grenzübergangsstellen zur BRD und zu West-Berlin mit ihrem neuen Betätigungsfeld beginnen können.

Die Weiterbildung in Abstimmung mit dem Bundesfinanzministerium kann jedoch nicht in einem Durchgang geschehen. Um dem neuen Problem der Verbrauchssteuer Rechnung tragen zu können, schulen sich seit kurzem 130 auf diesem Gebiet künftig tätige Sachbearbeiter, hauptsächlich für die Bereiche Mineralöl-, Branntwein-, Bier- und Tabaksteuer. Dazu gehört auch eine Spezialausbildung in Münster und ein praktischer Einsatz an Bundeszollverwaltungen. Als Beweis für dieses umfangreiche Programm legt Steiner ein großformatiges Informationsblatt auf den Tisch.

Doch trotz Weiterbildung oder Umschulung wird der Personalbestand an den westlichen Grenzen verringert und an den „restlichen“ Land- und Seegrenzen konzentriert. Gleichfalls sollen 21 Hauptzollämter entstehen, mit diversen Binnenämtern. Für Horst Steiner wird es dabei „natürlich soziale Härten geben. Das trifft auch auf einen Konzentrationsraum wie Berlin zu.“ Wenige Worte, die aber einen schweren, für nicht wenige tragischen Inhalt haben können. Aber der Zollinspektor beschwichtigt, wichtig sei die Bereitschaft zu lernen, und eine Arbeit dort aufzunehmen, wo man unter den neuen Verhältnissen gebraucht wird.

Ein Arbeitsplatzwechsel bringt jedoch schwer lösbare Wohnungsprobleme, berufliche Schwierigkeiten für die Ehepartner mit sich. Das ist nur der Anfang einer langen Kette... Doch diesen Fragen will sich die DDR-Zollverwaltung stellen, beteuern die dafür Verantwortlichen in der Grellstraße im Prenzlauer Berg. Deshalb ist ab Mitte Juni mit den jetzt Qualifizierten eine „flächendeckende Schulung“ geplant, wobei mit den bundesdeutschen Experten von Zollverwaltung zu Zollverwaltung gezogen werden soll.

Insgesamt ein Zoll-Umschulungspaket, das sich gut anhört, wohl auch deshalb, weil es in der DDR leider noch Seltenheitswert hat. In den kommenden Monaten muß sich sein bereits jetzt lautstark gepriesener Wert jedoch erst beweisen - im Interesse der Zöllner und ihrer Familien.

gem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen