: Vietnamesen als Ballast über Bord werfen?
Ein Regierungsabkommen als Bremsklotz / Beim Berliner Betrieb „Bergmann-Borsig“ ist die Zukunft von 94 Vietnamesen gefährdet ■ Aus Berlin Irina Grabowski
Nur wer sich von Ballast befreit, wird aufsteigen können. Eine Last, die bestimmte Betriebe gleich über Bord werfen wollen: 90.000 Vietnamesen, Mosambikaner, Angolaner und Kubaner. In „solidarischer“ Anwandlung hatte das ehemalige Staatssekretariat für Arbeit und Löhne sie per Regierungsabkommen von 1980 ins Land geholt, um vermeintliche Arbeitskraftlücken zu schließen. Auch der Berliner Betrieb Bergmann-Borsig, Hersteller von Turbinen, Generatoren, Kesseln und Rasierapparaten, bekam ungefragt einen „Posten“ Arbeiter verordnet, darunter 100 Vietnamesen.
Vor den Toren von Bergmann-Borsig zupfen drei Vietnamesen am werkseigenen Blumenbett. Beschäftigungstherapie? Das sei die „Hofkolonne“, erklärt der Ausländerbeauftragte des Betriebes, Oemichen. Sie halte das Gelände sauber. Zwölf Vietnamesen sind als Küchengehilfen und Ferienobjektpfleger ähnlich „anspruchsvoll“ beschäftigt. Sichtbar werden nicht nur die ersten Anzeichen drohender Arbeitslosigkeit, sondern auch ein gewaltiger Pferdefuß der Idee „von der zeitweiligen Beschäftigung“.
Laut Abkommen sollen ungelernte ausländische Arbeiter in den DDR-Betrieben mindestens als Facharbeiter ausgebildet werden... Vereinbart werden kann auch, Ausländer mit Beruf entsprechend ihrer Qualifikation einzusetzen. Bei Bergmann -Borsig trifft das auf ganze zwei Ingenieure zu. 20 Vietnamesen wurden als Kranfahrer ausgebildet. Der „Rest“ von 88 Kollegen wurde entweder als Hilfsschlosser, Isolierer oder Transportarbeiter in der Produktion angelernt oder siehe oben - im „Sozialwesen“ beschäftigt.
Die meisten Vietnamesen haben, über 30 Jahre alt, schon Berufserfahrung z.B. als Kfz-Spezialisten oder Maschinenbauingenieure. Ein Kernphysiker spült Geschirr. Die vietnamesische Seite sei gar nicht an qualifizierter Arbeit interessiert, rechtfertigt Oemichen die Einsatzkonzeption, die geschönt, ohne Hinweis auf die Fehlbesetzungen an das Ministerium ging.
Richtig ist, daß die brachliegende vietnamesische Wirtschaft keine Verwendung für Spezialisten, wie sie bei uns theoretisch ausgebildet werden könnten, hat.
„In der Heimat wartet die Arbeitslosigkeit“, sagt Dolmetscher Twan. Geldschinden in der DDR ist die einzige Alternative, um der Familie eine Existenz zu ermöglichen. Job und Geld ist, was viele Vietnamesen bisher in der DDR hielt, denn in das „deutsche Leben“ einbezogen wurden sie nicht.
Lächerliche 200 Stunden Deutschunterricht nach der Einreise können Sprachbarrieren nicht überwinden helfen. Manche DDR -Bürger nehmen ihre vietnamesischen Mitmenschen ohnehin nur zur Kenntnis, wenn wieder einmal in den Fahrradläden keine einzige Speiche zu haben ist.
Die Sprache, so Oemichen, ist das größte Problem auch für die Berufsausbildung. Das gesamte im Regierungsabkommen vorgesehene Ausbildungsprinzip stimme nicht. Das Mißverhältnis von Aufwand und Nutzen „stinke zum Himmel“. Welcher Betrieb könne sich neben unbezahlter Freistellung für Schulungstage, drei Monaten unproduktiver Einführungszeit, Trennungsgeld von 120 Mark im Monat, Bezahlung der Urlaubsflüge in Höhe von 7.000 Mark pro Person noch vietnamesisch sprechende Lehrer leisten.
Es müsse endlich von der Regierung eine Änderung des Abkommens beschlossen werden. Die deutschen Arbeiter hätten ihm die Bude eingerannt, als Regierungssprecher Gehlsen medienweit mit Sanktionen gegen jene Betriebsleiter drohte, die den ausländischen Arbeitern kündigen wollten. Doch was wird, wenn Betriebe, in denen Ausländer arbeiten, am Tage „X“ Pleite machen. Und dort, wo der Übergang zur Aktiengesellschaft oder GmbH bevorstehe, werde der westliche Partner kaum geneigt sein, auf fragwürdige Regierungsabkommen eines Noch-Staates einzugehen.
Daß für die Vietnamesen bei Bergmann-Borsig diese Spannungen bisher nicht so drückend spürbar geworden sind, rechnet Dolmetscher Twan dem Bemühen von Herrn Oemichen an. Doch sämtliche Schreiben auf Angebote für ungelernte Berufe wurden negativ beantwortet: Ausländer wolle man nicht. Fünf seiner Leute seien am 1. Mai über die offene Grenze nach West-Berlin gegangen. Mit einer Sozialhilfe von 80 bis 120 DM monatlich versuchen sie zwei Jahre durchzuhalten, bis sie einen Asylantrag stellen können. „Was wird mit unserem Geld? Werden wir abgeschoben?“ Twan formuliert die dringenden Fragen, die alle ausländischen Arbeiter in der DDR beunruhigt. Eine definitive Aussage dazu hat Finanzminister Romberg und die Regierung bisher nicht gegeben. Gestern wurden die Änderungsvorschläge, die Almuth Berger, Beauftragte für Ausländerfragen, in Vietnam ausgehandelt hatte, vom Kabinett diskutiert und abgelehnt.
Vorgesehen war, den Betrieben die Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsvertrages aus „zwingenden Gründen“ einzuräumen. Dafür aber soll für Ausländer das gleiche Arbeitsrecht wie für DDR-Bürger gelten. Die Betriebe müssen mindestens 3 Monate 70 Prozent des Nettolohnes zahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen