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„Kalte Abschiebung“ für Roma-Familien

Nürnberger Roma aus Jugoslawien demonstrieren im Konzentrationslager Dachau für ihr Bleiberecht / Das Auswärtige Amt argumentiert: Keine Verfolgung in ihrem Heimatland / Kreislauf aus Ghettoisierung, Armut und Entrechtung  ■  Aus Dachau Bernd Siegler

Als Luca Hamzic das Krematorium des ehemaligen Dachauer Konzentrationslagers besichtigt, überfällt ihn Traurigkeit und Angst. Traurigkeit über das Schicksal von etwa einer halben Million Roma und Sinti, die von den Nazis umgebracht worden sind, und Angst vor der Zukunft. „Ich will endlich einmal wissen, wo ich bleiben kann“, erklärt das Oberhaupt einer 18köpfigen Roma-Familie. Zusammen mit 80 Roma hat sich der 54jährige Hamzic auf den Weg nach Dachau gemacht, um dort der Opfer zu gedenken und für ein Bleiberecht für Roma in der BRD zu demonstrieren.

Wie die meisten der in den letzten Jahren in die Bundesrepublik geflüchteten Roma stammt Luca Hamzic aus Jugoslawien. 1979 kam er zunächst nach Frankfurt, dann zog er mit seiner Familie weiter nach Frankreich, ging wieder zurück nach Jugoslawien und schließlich 1987 nach Nürnberg. Wie bei allen jugoslawischen Roma wurde sein Asylantrag als „unbegründet“ abgelehnt. Es gebe keine Verfolgung der Roma in Jugoslawien, argumentiert lapidar das Auswärtige Amt und stützt sich dabei auf Angaben des jugoslawischen Staates. Erst nachdem Hamburger Roma im Herbst letzten Jahres auf dem Gelände des KZ Neuengamme demonstriert hatten, bekamen andere Informationen über die Lage der Roma öffentliches Gewicht.

Vor dem Petitionsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags schilderte im November letzten Jahres Katrin Reemtsma von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ die Lager der 700.000 bis eine Million Roma in Jugoslawien. Sie sprach von einer verfassungsrechtlichen, politischen und sozialen Benachteiligung der Roma. Roma lebten in ausrangierten Bussen, am Wald- oder am Stadtrand, die Säuglingssterblichkeit liege bei 50 Prozent. Darüber hinaus verloren seit Beginn der verstärkten Industrialisierung Jugsolawiens die früheren überwiegend handwerklichen Berufe der Roma an Bedeutung, ohne schulische und berufliche Ausbildung konnte eine Integration in neue Berufe nicht erfolgen. Luca Hamzic mußte das am eigenen Leib verspüren. Er war Kupferschmied, fand aber keine Abnehmer mehr für seine Waren. „Aufgrund der fehlenden Bildungs- und Berufschancen bleibt der Kreislauf aus Ghettoisierung, Analphabetismus, Armut, Krankheit und Entrechtung aufrechterhalten“, resümierte Katrin Reemtsma. Eine Abschiebung der Roma nach Jugoslawien könne „aus politischen Gründen und aus historischer Verantwortung nicht in Frage kommen“.

Gerade letzteres versuchten die Roma mit ihrem Besuch in Dachau aufzuzeigen. „Es ist sicher unangenehm, in einer Phase, in der ein Schlußpunkt unter die Vergangenheit gesetzt werden soll, von den Opfern dieser Vergangenheit in die Verantwortung genommen zu werden“, betont Pfarrer Werner Wedel, der die Roma nach Dachau begleitet und im „Initiativkreis Nürnberger Sinti“ (INS) für das Bleiberecht der Roma kämpft. Nach der Kapitulation Jugoslawiens im April 1941 bagnn dort die systematische Verfolgung und Vernichtung von Juden und „Zigeunern“. Schon im August 1942 konnte der serbische Staatsrat Turner seinem Vorgesetzten Vollzug melden: „Serbien einziges Land, in dem Juden- und Zigeunerfrage gelöst“.

Luca Hamzics Frau Neida, hat an Dachau spezielle Erinnerungen. Ihr Vater war dort über vier Jahre interniert. Als die 60jährige Neida auf dem ehemaligen Appellplatz des KZs steht, kommen ihr die Tränen. Stivo Nicolic, der zusammen mit Luca Hamzic am Dachauer Mahnmal einen Kranz niederlegt, ist ebenfalls tief bewegt. „Wenn ich gewußt hätte, was mich hier in Dachau erwartet, wäre ich gar nicht mitgefahren.“ Stivo Nicolic hat Jugoslawien schon 1969 verlassen und lebt seit 1984 in Nürnberg. Auch er hat seine Ausreiseaufforderung schon in der Tasche.

„Die Bundesrepublik muß endlich akzeptieren, daß sie in der Schuld dieser Menschen steht, deren Lebenszusammenhänge während der NS-Zeit europaweit zerstört wurden“, fordert der Sozialpädagoge Werner Stricker, Vorsitzender des INS. Ein Schritt dazu wäre die Gewährung eines Bleiberechts. Doch davon sind bundesdeutsche Behörden noch weit entfernt. Von den 18 Familienmitgliedern der Familie Hamzic sind nur mehr sechs in Nürnberg. Der Rest ist nach zeitweiliger Abschiebhaft in Italien untergetaucht oder ging zurück nach Jugoslawien. „Kalte Abschiebung“, nennt das Pfarrer Wedel. Seine harte Linie begründet das Ausländeramt der rot-grün -regierten Stadt Nürnberg damit, daß eine „Integration“ der Roma aufgrund deren „Straffälligkeit“ gescheitert sei. Die Chancen für die Familien, hier Fuß zu fassen innerhalb so kurzer Zeit und unter für sie sehr extremen Bedingungen, seien „von Haus aus minimal“ gewesen, kritisiert Stricker diese Entscheidung. Die Roma lebten in Nürnberg in ständiger Unsicherheit mit zeitlich kurz befristeten Duldungen, hatten keine Arbeits- und Gewerbeerlaubnis und bekamen nur 85 Prozent des Sozialhilfesatzes. Stricker wundert sich nicht über die „Straffälligkeit“ der Roma, denn die meisten Delikte hängen mit ihrer sozialen Situation unmittelbar zusammen, z.B. Eigentumsdelikte, Fahren ohne Führerschein, Verstöße gegen das Ausländergesetz und Fälschung von Dokumenten. „Wo den Opfern des Grauens der Schutz verweigert wird, werden sie schicksalhaft automatisch zu Tätern“ (Pfarrer Wedel). Obwohl die Roma in Nürnberg abseits am Stadtrand in einer ehemaligen Obdachlosensiedlung wohnen, gefällt es ihnen dort. „Wir wollen hier bleiben“, betont Hamzic. „Wir wollen Klarheit und nicht immer nur hingehalten werden.“ Von den alltäglichen Diskriminierungen bekommen sie nurmehr wenig mit. So werden sie zum Beispiel vom Busfahrer nach Dachau extra auf die Reinhaltung seines Fahrzeuges hingewiesen, der Polizist vor dem Innenministerium in München wähnt die Grünanlagen durch sitzende Roma in Gefahr. Der SPD-Landtagsabgeordnete Toni Schimpl fehlt trotz Zusage unentschuldigt und Innenstaatssekretär Günther Beckstein weigert sich, mit den Roma zu sprechen. Er vertröstet die Roma-Familien. Im Gespräch mit Pfarrer Wedel und Werner Stricker weist Beckstein ein „generelles Bleiberecht“ zurück. Eine Einzelfallregelung sei jedoch machbar. Dazu müsse das Ausländeramt der Stadt Nürnberg seine bisherige Haltung aufgeben. Die INS will jetzt endlich den bislang verwehrten Termin bei SPD-OB Schönlein pochen, denn nur der kann das Ausländeramt anweisen, keine Abschiebungen vorzunehmen.

Die Zeit drängt. Von den einstmals 300 bis 400 Roma im Großraum Nürnberg sind viele schon weitergezogen. Schon morgen soll die Abschiebung der aus Polen stammenden Familie Zielinsky erfolgen. Nur eine Petition im Landtag kann dies noch verhindern. Richard Zielinsky war nach Dachau gefahren, um über das Schicksal seines Vaters Aufschluß zu bekommen. Er fand dessen Namen in der Liste der KZ-Opfer.

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