: Schritte zur Demokratie in Serbien
Seit Anfang des Jahres sind in Serbien neue Parteien zugelassen / Die Kommunisten werden demokratische Wahlen nicht mehr lange verweigern können ■ Von Eggert Hardten
Über die Wahlen in Slowenien und Kroatien haben Serbiens regierungstreue Medien nur nebenbei berichtet, häufig war dagegen von den „Angriffen und Beleidigungen“ die Rede, die „das serbische Volk“, sprich: die Kommunistische Partei Serbiens, aus den Nachbarländern Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzogowina zu erleiden habe. Die serbische Bevölkerung hat interessiert und etwas ungläubig verfolgt, wie in Kroatien und Slowenien die kommunistischen Parteien vor aller Augen politischen Selbstmord begingen.
Die Wahlen in Serbien im vergangenen November wurden noch als die demokratischsten in der Geschichte Serbiens gefeiert. Damals durfte das Volk in direkter Wahl den charismatischen Führer Slobodan Milosevic zum Staatspräsidenten machen und aus einer Reihe von weit weniger charismatischen Kommunisten die Delegierten zur serbischen „Skupstina“ bestimmen. Inzwischen kann sich die serbische Bevölkerung fragen, wieso gerade sie den „Weg nach Europa“ mit einer völlig abgewirtschafteten kommunistischen Partei gehen soll. Schließlich haben die serbischen Kommunisten seit Jahresanfang auch in ihrer Bastion des demokratischen Sozialismus die Entstehung einer Mehrparteienlandschaft erlauben müssen. Täglich berichten die Zeitungen von Parteigründungen und -umbildungen, aber an demokratische Neuwahlen scheinen die Kommunisten nicht zu denken. Noch immer verkünden sie ihre Parolen vom Aufbau des demokratischen Sozialismus, starten Kampagnen zur Besiedlung Kosovos und zur Erneuerung der serbischen Wirtschaft.
Slobodan Milosevic gilt als der Held der serbischen Nachkriegsgeschichte, der dem serbischen Volk das Selbstwertgefühl zurückgab, indem er die autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina wieder „verfassungsmäßig“ an das „Mutterland“ band. Doch ihr eigentliches Ziel, als bestimmende Kraft bei der Reform, bzw. Restauration des demokratischen Sozialismus in Jugoslawien zu wirken, konnten die serbischen Kommunisten nicht erreichen. Ihrer „antibürokratischen Revolution“ - so die großspurige Bezeichnung für die Führungswechsel in den kommunistischen Parteien Kosovos, der Vojvodina und Montenegros - haben sich die Kommunisten Sloweniens und Kroatiens entzogen, indem sie demokratische Wahlen durchführten. Auch Bosnien und Herzogowina haben sich für diesen Weg entschieden - Anfang nächsten Jahres soll es dort demokratische Wahlen geben.
Kommunisten in Bedrängnis
Den serbischen Kommunisten läuft die Zeit davon. Ihre vielgepriesene „Anleihe für Serbien“ verfehlte bislang das Ziel, zwei Milliarden Dollar für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu beschaffen. Die Serben im Ausland, angeblich zwei Millionen, sind offenbar nicht bereit, einer Regierung Geld anzuvertrauen, die in der Vergangenheit mit ihnen nichts weiter im Sinn hatte, als sie zu Kriegsverbrechern, Konterrevolutionären und systemfeindlichen Kapitalisten zu stempeln.
Zugleich kommt die serbische Wirtschaft durch die Reformpolitik des jugaslawischen Regierungschefs Ante Markovic immer mehr in Bedrängnis. Viele serbischen Betriebe haben unsolide gewirtschaftet und stehen jetzt vor dem Konkurs. Durch die Antiinflationspolitik ist Geld knapp geworden, und die Banken gehorchen jetzt nicht mehr der Partei, sondern der Zentralbank. Die private Wirtschaft tritt selbstbewußter auf als noch vor einem Jahr schließlich hat Markovic ihr die Aufgabe übertragen, in den nächsten Jahren mehr als eine Million neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Die serbische Intelligenz hat endlich begriffen, daß sie sich nicht mehr mit der einen, uniformen und unflexiblen Partei abfinden muß, und auch der Nationalismus wird den Kommunisten kaum weiterhelfen: schon jetzt sind die autonomistischen Strömungen im Kosovo und in der Vojvodina so stark, daß Milosevic bei freien Wahlen die Kontrolle über diese beiden Provinzen verlieren würde.
Zwanzig neue Parteien
In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, daß in Serbien bereits an die zwanzig Parteien angetreten sind zunächst zu den Wahlen zur jugoslawischen Skupstina, die noch in diesem Jahr stattfinden sollen. Falls Milosevics Kommunisten in dieser Wahl unterliegen, werden sie Neuwahlen in Serbien kaum noch verweigern können. Die vier bekanntesten unter den neuen Parteien Serbiens sind die „Demokratische Partei“, die „Grüne Partei“, die „Serbische Volkserneuerung“ und die „Serbische Freiheitliche Bewegung“.
Zoran Djindjic, 38, ist Professor der Philosophie an den Universitäten Belgrad und Novi Sad, Chefredakteur der 'Philosophischen Zeitschrift Serbiens‘ und außerdem Mitbesitzer einer kleinen Hemdenfabrik. Seit Ende letzten Jahres hat Djindjic noch eine zeitraubende Nebenbeschäftigung: er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Demokratischen Partei (DP), die inoffiziell bereits seit Ende letzten Jahres bestand, sich aber erst am 3. Februar offiziell konstituierte. Nicht nur in der Wahl des Namens soll deutlich werden, daß sie an die Tradition der Demokratischen Partei anknüpfen will, die von 1903 bis 1946 bestanden hat. Die neue DP setzt sich für demokratischen Föderalismus in Jugoslawien ein und fordert die Abschaffung des „gesellschaftlichen Eigentums“ - eine gerechte Reprivatisierung wird angestrebt. „Zu den strategischen Zielen unserer Partei“, erklärt Djindjic, der die Wirtschaftskommission seiner Partei leitet, „gehört es, den Anteil der Privatwirtschaft zu erhöhen - vor allem der Kleinbetriebe, die wir für ein typisch balkanische Wirtschaftsform halten. Allerdings würde eine forcierte Privatisierung für Jugoslawien eine Katastrophe bedeuten, deshalb unterstützt die DP zur Zeit die Wirtschaftsreform von Regierungschef Ante Markovic, kritisiert aber um so schärfer die mangelnde demokratische Legitimierung seiner Regierung.“
Noch haben Liberale und Grüne einen schweren Stand
Die DP ist eine typisch osteuropäische Intellektuellenpartei; sie wurzelt in einem Bürgertum, das vielschichtiger ist, als in westeuropäischen Ländern. Fast alle Gründungsmitglieder der Partei haben in der Zeit der kommunistischen Herrschaft ihre persönlichen Erfahrungen mit Macht und Politik gesammelt - im Gefängnis oder in langen Jahren der Arbeitslosigkeit. Aus diesen Erfahrungen schöpft die Partei. In Zukunft soll das Freund-Feind-Denken vermieden werden, man will nicht mit vorgefertigten Konzepten auf Stimmenfang gehen. „Unser Ziel ist, die Meinungsfreiheit zu sichern, die auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch ständig gefährdet sein wird. Es darf endlich keine unkontrollierten Quellen der Macht mehr geben.“ Noch bestehen solche Machtquellen in jeder Fabrik, in jedem Gemeinderat, in den Medien, in den Kultureinrichtungen und in den Gewerkschaften - auch nach verlorenen Wahlen könnte die KP überall dort noch direkten Einfluß ausüben. In der DP hat sich die Offenheit für innerparteiliche Diskussionen bereits positiv ausgewirkt: Nach einigen Irritationen, die vom nationalen Flügel ausgingen, tritt die Partei nun unumwunden für demokratische Wahlen im Kosovo ein.
Seit ihrem Bestehen hat die Partei ihren Mitgliederbestand zügig auf etwa zehntausend ausweiten können. In ihrer Seriösität wirkt sie allerdings ein wenig wie ein Honoratiorenverein. Das könnte ihr in einer Zeit, in der offenbar Dreistigkeit und Unvernunft gut ankommen, zum Nachteil ausschlagen.
Gründungsmitglied einer Partei ist auch Vukasin Pavlovic, 47. Zusammen mit seinen Mitstreitern aus der Antiatomkraftbewegung hat er am 10. Februar die „Grüne Partei“ aus der Taufe gehoben. Pavlovic ist Professor an der etwas verschlafenen politischen Fakultät von Belgrad und, wie er beteuert, der einzige Intellektuelle unter den Gründungsmitgliedern. Bei der Gründung dabei war auch der ehemalige Atomphysiker Vladimir Ajdacic, der es 1986 geschafft hatte, die Öffentlichkeit gegen den Bau von vier neuen Reaktoren zu mobilisieren.
Pavlovic, der sich wissenschaftlich mit der „Theorie neuer sozialer Bewegungen beschäftigt“, sieht die aktuellen Schwierigkeiten der Grünen darin, daß ihnen eine breite Unterstützungsbewegung fehlt. Zu den Hauptzielen der Partei gehört es daher, eine in ökologischen Fragen kritische Öffentlichkeit zu schaffen; sie ist zur Zusammenarbeit mit jeder Partei bereit, die ökologische Probleme in ihr Programm aufnimmt. „Die ökologische Frage soll nicht ideologisiert werden, wie im Westen“, meint Pavlovic.
Obwohl Jugoslawien in Europa zu den Ländern mit hoher Umweltverschmutzung gehört, gibt das Land weniger als ein Prozent des Bruttosozialprodukts für den Umweltschutz aus die Grünen wollen diesen Betrag auf mindestens zwei Prozent steigern. Einfuhr und Verarbeitung von radioaktivem Material sollen gestoppt werden. Modernisierung der Industrie unter ökologischen Gesichtspunkten wird gefordert, Landwirtschaft und Tourismus sollen mehr Priorität erhalten.
In der Bevölkerung haben die ersten Wahlveranstaltungen der Grünen wohlwollende Aufnahme gefunden, bisher haben sich aber erst tausend Mitglieder eingeschrieben. Auf einem Kongreß im Mai wollen sich alle Umweltschutzgruppen Jugoslawiens zu einer gemeinsamen Partei zusammenschließen. In den Medien findet die Grüne Partei starke Unterstützung. Die ehemalige kommunistische Parteizeitung 'Borba‘ reserviert jede Woche eine Seite für ökologische Fragen, auch in anderen Zeitungen wird gerne „ökologisiert“. In einer Gesellschaft, in der angeblich die Arbeiter die Fabriken selbst verwalten, fällt es allerdings schwer, eine „Industrielobby“ auszumachen, die für die Umweltverschmutzung verantwortlich ist. So wird zwar das Programm der Grünen in der Bevölkerung allgemein akzeptiert und von anderen Parteien weitgehend übernommen, aber sobald es um konkrete Aktionen gegen Mißstände geht, scheitert alles an „Kompetenzschwierigkeiten“.
Bislang haben sich die Grünen in Serbien nicht sehr bissig gezeigt, fast jede Partei glaubt, mit ihnen koalieren zu können. So könnten die kroatischen Grünen mit ihrer Befürchtung recht haben, daß die ökologische Bewegung von den anderen Parteien vereinnahmt wird, bevor sie an Kraft gewinnt.
Gewinnt die nationalistische Rechte?
Die beiden anderen serbischen Parteien, die „Serbische Volkserneuerung“ (SNO) und die „Serbische Freiheitliche Bewegung“ (SSP), haben seit ihrer Gründung schwere Bedenken geweckt - in Kroatien, Bosnien-Herzogowina und Mazedonien, aber auch in Serbien selbst. Vor allem die SNO, die sich weitgehend auf die jugoslawische Monarchie vor dem Weltkrieg bezieht, gefällt sich in der Rolle des nationalistischen Buhmanns. Ihr populärster Führer war bis vor kurzem der bekannte Publizist Vuk Draskovic, der in Interviews gerne die Schuldfrage im Zweiten Weltkrieg aufwirft, Mazedoniern, Muslimen und Montenegrinern die eigene Nationalität abspricht und Jugoslawien wieder zu einem Staat der Slowenen, Serben und Kroaten machen will. Die Vorschläge der SNO für den Umgang mit der Situation im Kosovo sind entsprechend brutal: Ihre Anhänger waren die ersten, die, nach Protesten der Albanier, bei Gegendemonstrationen nach Waffen riefen. Wo Draskovic auftaucht, ist die Polizei nicht weit.
Für die regierenden Kommunisten ist der Mann schon deshalb unerträglich, weil er noch unter Stambolic, der von Milosevic gestürzt wurde, Parteisekretär war. Aber auch die SNO hatte von Draskovic bald die Nase voll: Als er eigenmächtig die Vereinigung von SNO und SSP verkündete, wurde er ausgeschlossen. In der SSP scheint er nun seine neue politische Heimat gefunden zu haben. Vojislav Seselj, der Führer der SSP, verkündete unlängst in der Zagreber Zeitschrift 'Start‘: „Vuk Draskovic und ich sind nicht nur langjährige Freunde, wir sind Brüder.“
Auch Vojislav Seselj ist kein Neuling auf der politischen Bühne Jugoslawiens. Mit 25 Jahren war er einst an der juristischen Fakultät der Universität Belgrad der jüngste Doktor der Wissenschaften - pikanterweise lautete das Thema seiner Promotion Das politische Wesen von Militarismus und Faschismus. Nachdem er sich mit der gesamten politischen Spitze Bosniens angelegt hatte, wurde er 1984 wegen konterrevolutionärer Tätigkeit zu acht Jahren Haft verurteilt. Nach seiner vorzeitigen Entlassung setzte er mit einem Hungerstreik durch, daß man ihn nach den USA ausreisen ließ. Dort knüpfte er Verbindungen zu den serbischen Emigranten. Im Gegensatz zu Draskovic ist sein Antikommunismus glaubwürdig - vermutlich verbindet die beiden „Brüder“ eher die nationalistische Haltung als die ideologische Überzeugung. Das Programm der SSP ist bürgerlicher, intellektueller als das der SNO, und Seselj mag recht haben, wenn er seine Partei als gefährlicher bezeichnet, weil sie von den Kommunisten nicht instrumentalisiert werden kann.
Beide Parteien haben eine schlechte Presse; über ihre tatsächliche Stärke läßt sich nur spekulieren - immerhin konnte Franjo Tudjman mit ähnlichem Programm die Wahlen in Kroatien gewinnen. Solange die Kommunisten in Serbien die öffentliche Meinung kontrollieren, sind die neuentstandenen Parteien von ihrem Wohlwollen abhängig. Die oppositionellen Parteien fordern gemeinsam Wahlen vor Ablauf des Jahres, aber eine Öffnung aller Medien, die dem Wahlkampf eine ganz andere Qualität verleihen würde, wird natürlich nur mit Billigung der kommunistischen Bewegung in Serbien möglich sein.
Die sozialistische Jugend bezweifelt schon seit Monaten die Rechtmäßigkeit der letzten Wahlen, und die Kommission, die ein neues Parteiprogramm ausarbeiten soll, hat sich für den Rückzug der Kommunisten aus den Betrieben ausgesprochen die Mauern scheinen zu bröckeln.
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