: Der Ausverkauf der Ladenhüter
■ Unterschiedliche Erfahrungen mit dem „Ausverkauf“ der DDR-Produkte: Textilien begehrt, Kühlschränke bleiben stehen
Ost-Berlin. Nachdem in der vergangenen Woche die Preise in den Exquisit-Läden schon unter denen in „normalen“ Geschäften lagen, zogen seit Montag verschiedene Branchen nach. Herren-, Damen- und Kinderbekleidung, technische Konsumgüter werden teilweise fast zu Schleuderpreisen angeboten. Wohl kein Kunde hat etwas dagegen, doch mancher Betriebsdirektor sieht das eher skeptisch.
Der Chef von Berliner Strickmoden, Siegfried Schliemann, will auf keinen Fall aus nach wie vor modischen Pullovern, Strickjacken und Westen Billigware machen. In den drei Berliner Industriegeschäften kosten die Modelle „nur“ ein Drittel weniger. „Wir beteiligen uns nicht am Ausverkauf. Bei uns ging schon immer Produziertes gleich über den Ladentisch, wir hatten keine Lagerbestände“, sagte er. Um in Zukunft rentabel zu bleiben, können jetzt nicht niedrigere Preise kalkuliert werden als im Juli in West-Mark. Kaum ein Kunde sei dann bereit, für ein ähnlich gutes Erzeugnis mit kleinen Extras doppelt soviel zu berappen.
Anders die Lage beim Konsumgüterwerk Warschauer Straße, einem Ableger vom Berliner Kühlautomat. Der Hersteller des Drei-Temperatur-Zonen-Kühl- und Gefrierschrankes „KA 320“ kann trotz rapiden Preissturzes von 3.450 auf 1.900 Mark kaum seine Ware an den Mann bringen. Im Spezialgeschäft in der Rhinstraße wurde bisher kein einziger der in dieser Woche gelieferten 40 Schränke verkauft. Dabei deckt der neue Preis bei weitem nicht die Produktionskosten von etwa 2.700 Mark. Den Verlust muß der Stammbetrieb tragen. Macht man die knallharte marktwirtschaftliche Rechnung auf, dann bekommt der Kunde ein vergleichbares Erzeugnis in West-Berlin auch jetzt noch um 600 bis 900 DM billiger. Damit werden wohl bestehende Verträge mit dem Großhandel nicht weiter zu halten sein. Der ökonomische Zwang gebiete, die Produktion in der Warschauer Straße im Juni einzustellen, so Wolfgang Pfeiffer. Arbeitplätze von 300 Werktätigen sind in Gefahr.
adn
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