: Kommoder Kanalspaziergang venezianisch
■ Fernsehende Bremer Augen rollen durchs italienische Tele-Labyrinth / Bremer tazzin Sybille Simon-Zülch war dreieinhalb Monate in Venedig
Venedig - die Stadt der Schritte, der abertausend Gassen, in denen sich Unkundige immer nur verlaufen, im Kreis umherirren wie im Labyrinth. Kein Anfang , kein Ende - ein ewiges Mittendrin. Kanäle, Brücken, monumentale Kirchen und unscheinbare, kleine. Edle Paläste, protzige Villen stolz im Verfall; elende Häuser, betrunkene, streunende Venezianer, die sich zwischen den steinernen Zeugnissen der Macht behaupten müssen. Da: Ein großgewachsener, verführerisch schöner Mann kommt aus dem Nebel auf dich zu der wird dir heut Nacht im Traum erscheinen. Und dauernd begegnen dir wandelnde Pelzkommoden: Venezianerinnen, die ihren Reichtum spazierentragen. Ein Stecknadelkopf sitzt obendrauf, unten bewegen sich zwei spindeldürre Beinchen dazwischen die Hirnlosigkeit weiblicher Geldprotzerei.
Venedig - die Stadt, in der du von morgens bis abends, von abends bis morgens nur gehen und schauen kannst - in dieser Stadt auch noch fernzusehen, scheint absurd. Aber das ist nun mal dein Beruf, und du siehst ja auch aus deinem Fenster vor lauter Antennen die große Kirchenkuppel da hinten kaum also nimmst du die Fernbedienung in die Hand, spazierst durch das unbekannte, fremdsprachige Gewirr und stellst fest:
Fernsehen in Italien - das ist das System der abertausend Kanäle, in denen sich Unkundige immer nur verlaufen, im Kreis umherirren wie im Labyrinth. Kein Anfang, kein Ende ein ewiges Mittendrin. Monumentale Vier-Stunden-Shows - und unscheinbare, kleine. Edle Filme, protzige Varietes - stolz trotz Verfall. Preiswert gemachte Satiren und Parodien, witzige Moderatoren, die sich zwischen den versteinerten Trivialitäten der Macht behaupten müssen. Da: Ein rothaariger, beredt argumentierender Mann kommt aus dem Kanal auf dich zu - den wirst du dir morgen wieder ansehen. Und dauernd begegnen dir wandelnde Silikonkommoden: italienische Showgirls, die ihren Kurvenreichtum spazierentragen. Ein Stecknadelkopf sitzt obendrauf, unten bewegen sich zwei wohlgeformte Beine - dazwischen die Hirnlosigkeit weiblicher Fleischprotzerei.
Fremde Wirklichkeiten
Die ausländische Zuschauerin bewegt sich zwischen zwei fremden Wirklichkeiten: draußen die Stadt, die in all ihrer morbid gewordenen Pracht vor sich hin versinkt, eine Stadt, die sehr real und zugleich wie uralte, sich selbst überlassene Vergangenheit wirkt - drinnen der lärmende Mediencontainer, der pausenlos Wirklichkeitssplitter ausspuckt, der zugleich irreal und wie brandaktuelle, sich selbst inszenierende
Gegenwart wirkt.
Und dann die Sprache: Auch wenn die Ausländerin das Italienische gut versteht, erfordert das Zuschauen und Zuhören doch ständige Höchstkonzentration. Die gerunzelte Stirn liegt immer im gleichgroßzügigen Faltenwurf - ob es politische Diskussionen, Shows, Telegiornale, Werbung, simple Ansagen, Spielfilme oder Satiren zu verstehen gilt. Das verändert das Urteil: alles verstehen heißt zwar nicht alles verzeihen, was da andauernd aus dem Bildschirm ins Zimmer quillt. Doch das erfolgreiche Entschlüsseln der fremden Sprache erzeugt spontan - und immer wieder als erste Reaktion - so etwas wie stolze Freude über die Aneignung des Fremden - ähnlich wie das Zurechtfinden in Venedigs Gassenwirrwarr. Eine fast unmerkliche Verschiebung in der Wahrnehmung schlägt sich im urteilenden Bewußtsein nieder: Wenn die Ausländerin einen Witz oder ein Wortspiel verstanden hat, lacht sie, weil das Verstehen gelungen ist, und weiß noch gar nicht, ob sie den Witz gelungen findet. So ist es nur logisch, daß auch die Unduldsanmkeit wächst, wenn das Verstehen von Satz-und Wortkaskaden mißlungen ist - in Italien ein besonders schwerer Fall von Sinnverlust (oder auch nicht!), denn hier wird im Fernsehen buchstäblich pausenlos geredet.
Mir ist bisher in der ganzen Zeit, wann immer ich eingeschaltet habe, welchen Kanal auch immer, kein Bild begegnet, das für sich selbst hätte sprechen dürfen. Dafür umso häufiger Bilder, die mit dem Off-Kommentar so viel zu tun haben wie eine Kamera mit einem Papagei. Das wirkt wie eine Pervertierung der Redekultur, die man den Italienern nach
sagt-und die es tatsächlich auch im Fernsehen gibt.
Tägliche Kommentare
Zwei Sendungen zum Beispiel: „Rosso di Sera“ („Abendrot“, RAI 2, etwa zehn Minuten lang) oder „Una Cartolina spedita da Andrea Babato“ („Eine Postkarte von Andrea Babato“, RAI 3, etwa fünf Minuten lang.)
„Rosso di Sera“ ist die Sendung des Journalisten Paolo Guzzanti, der auch für „La Repubblica“ schreibt - der Rothaarige, von dem schon anfangs die Rede war. Er kommentiert politische Ereignisse des Tages, und sowohl seine Themen, als auch die Redeweise und das Interieur - ein chaotisches Arbeitszimmer-Zelt auf einer Wiese, hinter Guzzanti ein Kanonenöfchen, auf dem Schreibtisch Monitor und Computer - sind in unserem Fernsehen kaum vorstellbar: Guzzanti liest nichts ab. Er suggeriert höchst glaubhaft mit Gestik, Mimik, Sprech-oder Denkpausen so etwas wie die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. Er kratzt sich an der Nase, stützt das Kinn in die Hand, legt auf der Suche nach einem besseren Wort die Stirn in Falten, steht auf, geht hin und her - die Kamera hinkt etwas später nach kurz: man wird in die konzentrierte Nonchalance dieses Mannes mit einbezogen, man sieht einem Menschen beim Denken zu, denkt mit und ist immer wieder von den Wendungen und Pointen überrascht - ob er sich Gedanken darüber macht, weshalb ein gewalttätiger Mensch wie Noriega weint, wenn es ihm ans Leder geht, oder ob er sich über Andreotti äußert, der kürzlich in einer Unterhaltungssendung bekannt hat, er käme mit vier Stunden Nachtschlaf aus. Dieser
Mann sei, sagte Guzzanti - Hochachtung im Ton, ironisches Lächeln im Gesicht - enorm vielseitig und hochbeschäftigt. Dann macht er einen Schlenker zum Dauerproblem der Mafia, über die Andreotti nun langsam nichts mehr hören will und schließt mit der Bemerkung : “ In diesem Land würde ich an seiner Stelle nicht einmal mehr vier Stunden schlafen können.“
Andrea Barbato verschickt seine Postkarten vom Sessel aus zum Beispiel an den „lieben Herrn Forlani“, der sich an jenem Tag für die Todesstrafe im Fall von Entführern, die ihre Geiseln töten, ausgesprochen hatte, oder an eine Losverkäuferin im Erdbebengebiet von Neapel, in deren Geschäft einer der Armen dort einen Vier-Milliarden-Lire -Gewinn gemacht hat. Barbato, ein gesetzt auftretender, leidenschaftlich argumentierender Mann, nahm diesen Lottogewinn zum Anlaß, sich in unaggressiver, emotional -insistierender Weise Gedanken darüber zu machen, in welchem Verhältnis diese Glücksspiel-Summe steht zu dem Geld, auf das alle dort Lebenden noch warten müssen, um das Gebiet im „vergessenen Italien“ wieder bewohnbar zu machen.
Mit den krawattensteifen, schulmeisterlichen Kommentaren unseres Fernsehens haben diese beiden Sendungen nichts gemein. Das sind politische Personality-Shows, in denen nicht Musterschüler der Ausgewogenheit die Häupter wiegen hier wird aus Köpfen geredet, in denen es so verschlungen zugeht wie in der Welt; Köpfe, in denen Rebellion und Sentiment, Boulevardskandal und Politik, Philosophie und Kalauer, Häme und Menschlichkeit zusammen existieren, oft
abenteuerliche Verbindungen eingehen, die beneidenswert lebendig sind.
Tägliche Satire
Lebendig und schrill grotesk ist auch „Striscia la Notizia“ (etwa „Nachrichten gegen den Strich geschrubbt“, auf Berlusconis „Canale 5“, Montag bis Freitag, 20.25 Uhr, zehn Minuten lang) Da werden die Nachrichten vom Tage gnaden-und
-wie man bei uns sagen würde - geschmacklos durch den Fleischwolf der Bösartigkeit gedreht. Ein alberner Bauchredner (Rafaele Pisu) mit einer idiotisch geknautschten Puppe sitzt neben Ezio Greggio, dem täglich ein anderer Gebrauchsgegenstand aus der Tasche ragt, und so blöd sich das anhören mag - es ist zum Lachen, weil es so gänzlich sinnlos ist und einfach ignoriert wird. Rudi's Tagesshow ist im Vergleich zu diesem destruktiven Aberwitz eine höchst ordnungsstiftende Tändelei. In „Striscia la Notizia“ triumphiert die anarchische Lust daran, auf die seriösen Nachrichten gleichsam mit einer Klatsche einzuschlagen und ihren Irrsinn herauszuprügeln, wie bei der Montage von Bush und Reagan, die vor dem Fernsehapparat sitzen und sich vor Lachen krümmen beim Anblick der Videos von amerikanischen Invasionen.
Eine Montage anderer Art, nicht weniger grotesk, gibt es in „Blob“ (RAI 3, etwa zwanzig Minuten lang): die wilde Jagd durch den Programmwahnsinn des Tages: Quiz, Nachrichten, Variete-Ausschnitte, singende Stars, politische Diskussionen - die collagierten Filmschnipsel bestehen zum größten Teil aus alltäglichen Mißgeschicken, Fehlschaltungen, freiwilligen oder unfreiwilligen Lächerlichkeiten - „Blob“
macht aus dem Abfall des Programm-Mülls den Tageskommentar.
Diese vier Sendungen - insgesamt etwa 45 Minuten Dauer vor dem Hauptprogramm am Abend haben sich für mich allmählich herausgeschält als einzig konturierte Ziel-und Fixpunkte im italienischen Fernsehen - ähnlich wie diese Bar, jener Gemüse-oder Fischstand auf dem Markt, die ich inzwischen fast mit geschlossenen Augen finde. Tagsüber hingegen mit der Fernbedienung zu spielen heißt, durch ein Kuriositätenkanalsystem zu irren. Ob RAI, Berlusconi oder die kleinen Privatkanäle: Quiz, „Quiz-Quaz“ (mit Unsummen von Geldgewinnen), Serien, Quiz, wieder Quiz, Werbung, Videoclips, Werbung, Werbung, pausenlos Telefongespräche mit den Zuschauern ,„Varieta“ und Serien.
Basar im Fernsehen
Halt: einen Ruhepol gibt es doch bei den Privaten: Es ist der Perserteppich in seiner ornamentalen Pracht. Er füllt beim „Telemarket“ von „Telepadova“ in seiner vielgestaltigen Knüpfbarkeit Stunden um Stunden den ganzen Bildschirm aus freilich nicht stumm: Aus dem Off brüllt, eine Verkaufssuada ohne Punkt und Komma, die Stimme des Verkäufers, der, des direkten Kontakts zur Kundschaft strukturell beraubt, den Dialog mit sich selber sucht. „Sehen Sie, sehen Sie doch!“, schreit er, und eine bleiche Hand fährt übers geknüpfte Ornament: „Mit fünf Fäden geknüpft. Sie glauben mir nicht? Glauben Sie, glauben Sie. Es ist ein Meisterwerk, ich würde es sonst nicht sagen. Ein Meisterwerk, ein Teppich der getreten werden will. Robust, und diese Farben! Das Ganze nicht für vier, nicht für drei - nein: für zwei Millionen Lire!“
Auf anderen Privatkanälen werden Matratzen, Juwelen, Bademäntel und Bettbezüge feilgeboten, doch der Teppichverkauf bringt die Absurdität vom Fernsehen als Basar erst richtig auf den Punkt: Der Händler, der von den Einwürfen, den zweifelnden Mienen der Kundschaft lebt, der mit sich handeln läßt, der schmeichelt, schimpft, schauspielert mit dem Publikum - er wird im Fernsehen, unsichtbar hinter seinem Teppich, zur autistischen, tragischen Witzfigur, mit der man, trotz Lachtränen, tiefes Mitleid haben muß.
Auch dies ein Grund, die Fernbedienung aus der Hand zu legen und wieder durch die Stadt zu gehen, zum Beispiel auf den Markt, wo sich an einem Obststand kauflustige Venezianer drängen, weil der Ananashändler kurz vor einer Ohnmacht steht wegen der sagenhaften Qualität und Süße seiner Ware.
Sybille Simon-Zülch
Nachdruck aus: epd/Kirche und Rundfunk.
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