: Flüchtlingspolitik als Brandstifter
■ Die Anschläge auf Ausländerunterkünfte in Schweden
Die Flammen brennender Flüchtlingsbaracken haben Umfang und Entschlossenheit des ausländerfeindlichen Potentials in Schweden enthüllt, das man dort schon viel zu lange unter den Teppich zu kehren versucht. Immer dann wenn rassistische Parolen und Hakenkreuzschmierereien auftauchten, wurden und werden sie als das Werk irregeleiteter Psychopathen abgetan. Auch jetzt wieder wissen die Politiker schon mehr, als die noch im Dunkeln tappende Polizei: Schuldig waren irgendwelche rechtsextremen Wirrköpfe, die von Ministerpräsident Carlsson gleich außerhalb des demokratischen Dachs des heimeligen sozialdemokratischen Wohlfahrt-Volksheims angesiedelt werden.
Hinter dem Prinzip, daß „nicht sein kann, das nicht sein darf“, wird die Schuld schwedischer Politiker versteckt. Sie haben mitgezündelt in Kimstad und Motala, haben einen gut Teil des Klimas zu verantworten, in dem der Ausländerhaß immer prächtiger gedeiht. Da wird mit immer neuen Paragraphen die Mauer gegen den angeblich drohenden Flüchtlingsstrom hochgezogen. Da sind 20.000 Asylsuchende pro Jahr viel zu viel für eines der reichsten Länder Europas. Da werden Flüchtlinge auf sumpfigen Wiesen in Zelten untergebracht, um nur auch für den letzten Zweifler klar zu machen, daß die absolute Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht ist - auch wenn einige Kilometer weiter genügend Wohnungen zur Unterbringung leerstehen. Da werden Asylsuchende wie Sardinen in Omnibussen auf dem Autodeck von Fähren stundenlang eingeschlossen und nach Polen zurückverfrachtet, weil man schnell ein rückwirkend geltendes Gesetz erlassen hat, um eines der wenigen verbliebenen Schlupflöcher zu stopfen.
Wenn in diesem Klima dann das geschieht, was schon fast zwingend anmutet, dann haben die politischen Biederfrauen und -männer mit den Brandstiftungen nichts zu tun. Das „Wir -können-nicht-die-Probleme-der-ganzen-Welt-lösen“ wird gebetsmühlenartig abgespult, obwohl das auch gar niemand verlangt. Verantwortungsgefühl und Moral wäre gefordert, wo nur noch auf der Kosten/Nutzen-Ebene diskutiert und gerechnet wird. Carpentras führte zum nationalen Aufschrei der Empörung in Frankreich. Eine für das Land bislang beispiellose Schändung eines Friedhofs im südschwedischen Lund hingegen erscheint allenfalls als kleine Zeitungsnotiz. Messerstechereien gegen Flüchtlinge sind schon fast an der Tagesordnung, genauso wie brennende Ku-Klux-Klan-Kreuze. Eine neue Moral hat der nach Schweden eingewanderte griechische Schriftsteller Kalifadides den SchwedInnen angesichts der aktuellen Ereignisse anempfohlen. Doch die Mehrheit, sie schweigt. Im trauten Einvernehmen mit ihren PolitikerInnen.
Reinhard Wolff, Stockholm
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