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„Demokratie muß sich auch in den Kopftöpfen bewähren“

Der neue chilenische Finanzminister Foxley droht mit Inflation / Brüchige wirtschaftliche „Erfolge“ der Pinochet-Diktatur / Krise der Gewerkschaften  ■  Aus Santiago Gaby Weber

Seine Botschaft - die Gürtel enger zu schnallen - war unüberhörbar. Und auch am Empfänger bestanden keine Zweifel, als Alejandro Foxley im Fernsehen eine Bilanz über die Lage der Nation zog. So rosig, wie die gerade aus dem Amt geschiedenen Militärs ihr Wirtschaftsmodell stets gefeiert hatten, sehe die Zukunft keineswegs aus, gab der neue chilenische Finanzminister bekannt. Der Staatshaushalt weise ein stolzes Defizit von 380 Millionen Dollar auf. Wenn jetzt noch die Arbeiter mit „übertriebenen Lohnforderungen“ kämen, drohe dem Land eine ähnlich dramatische Inflation wie in Peru oder Argentinien.

Der Gewerkschaftsdachverband verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und schloß Ende April mit dem Arbeitgeberverband eine gemeinsame Absichtserklärung ab. Darin wurden eine „maßvolle“ Anhebung des Mindestlohns auf umgerechnet 140 DM vereinbart und Korrekturen in der Arbeitsgesetzgebung in Aussicht gestellt. Fristlose Entlassungen sollen in Zukunft nur noch in begründeten Ausnahmen erlaubt sein.

Kompromißbereitschaft signalisierten die Arbeitgeber auch bei den bislang umstrittenen kollektiven Tarifverhandlungen und der freien gewerkschaftlichen Betätigung. Unnachgiebig zeigten sie sich hingegen gegenüber Forderungen wie „gleiche Arbeit, gleicher Lohn,“ die Einschränkung von Teilzeitarbeit und von Aussperrungen. „Das Ende des Klassenkampfes in Chile“, kommentierte euphorisch Arbeitgebersprecher Manuel Feliu die gemeinsame Erklärung, denn die Gewerkschaft hatte sich endlich zu einem Glaubensbekenntnis für die freie Marktwirtschaft verpflichten lassen: „Die Privatwirtschaft“, so heißt es in der Erklärung, „ist in ihren verschiedenen Erscheinungsformen wichtigster Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.“

Die chilenische Gewerkschaftsbewegung befindet sich nach 16 Jahren Diktatur in tiefer Krise. Heute sind von 100 Arbeitern nur zwölf organisiert. Seit dem Antritt der zivilen Regierung ist der Dachverband CUT zwar wieder als Verhandlungspartner anerkannt. Seine Führung besteht aber mehrheitlich aus Christdemokraten und Sozialisten, die die Gewerkschaft in die Verantwortung für den Bestand der jungen Demokratie zwingen wollen.

Zur politischen gesellt sich die Vertrauenskrise. Da ist z.B. Rodolfo Seguel, Anfang der achtziger Jahre als Führer der Kupferarbeiter berühmt geworden. Später setzte er sich nach Australien ab - „Ermüdungserscheinungen“, verlautete offiziell aus Gewerkschaftskreisen. Inoffiziell ist von 300.000 Dollar Spendengeldern die Rede, die Seguel veruntreut haben soll. Seine Companeros wollten die Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen, um der Diktatur keine Argumente zu liefern. Seguel konnte inzwischen einen aussichtsreichen Listenplatz bei den Christdemokraten ergattern. Als Pinochet im neu eröffneten Kongreß eine Rede hielt, boxte sich der frisch gebackene Abgeordnete zu ihm durch und begrüßte ihn mit: „Welche Freude, Sie endlich kennenzulernen.“

Die neue Regierung wird am Wirtschaftsmodell wenig ändern. Obwohl der Investitionsstrom aus dem Ausland unvermindert anhält und auch die Handelsbilanz schwarze Zahlen ausweist, ist das Modell längst an seine Grenzen gestoßen. Noch versucht Foxley mit neoliberalen Rezepten, die drohende Inflation in den Griff zu bekommen. Er erhöhte die Mehrwertsteuer und die Zinsen, um den Konsum einzuschränken. Trotzdem wird die Zentralbank die Geldpressen anwerfen müssen, um die Auslandsschuld und die Gewinnrückführungen der ausländischen Investoren zu finanzieren. Auch die debt to equity swaps, die verbilligten Käufe von Auslandsschulden auf dem Weltmarkt, laufen auf vollen Touren weiter. Weil aber die Regierung des Andenstaates mangels Masse kaum noch Staatsbetriebe verkaufen kann, die mit solchen gekauften Schulden bezahlt werden sollen, wird mit den preiswert erworbenen Schuldtiteln nicht mehr investiert, sondern spekuliert.

Der Weltmarktpreis für Kupfer, das die Hälfte der chilenischen Exporterlöses einspielt, ist niedrig. Zwar ist der Export von Früchten immer noch ein devisenbringendes Geschäft, aber ein Ende des Booms ist absehbar. Zunehmend melden die Bauern neue Schädlinge, die gegen die chemischen Keulen unempfindlich sind, und auch die Obstpreise sind im Keller. Der Weltmarktpreis für den chilenischen Exportschlager Weintrauben ist von 17 US-Dollar pro Kiste (1986) auf 2,7 Dollar gefallen. Äpfel sind auf ein Drittel, Pfirsiche auf ein Viertel des vormaligen Preises gefallen. Steigende Konkurrenz auf dem Weltmarkt und Überproduktion machten auch der Kiwi zu schaffen, die sich deswegen in Chlie selbst einen neuen Markt erschließen muß. Im Supermarkt in Santiago wird sie deswegen von Zeit zu Zeit zu Billigpreisen regelrecht verschleudert.

Es gehe nicht darum, dem angeblichen chilenischen Wirtschaftswunder nachzutrauern, sagt der frühere Finanzminister Allendes, Pedro Vuskovic. Davon habe ohnehin nur eine kleine Schicht profitiert. Während im Jahr 1972 die Löhne 63 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachten, sind es heute nur noch ein Drittel; die Bevölkerung konsumiert heute 20 Prozent weniger Kalorien als damals, während sich die Arbeitslosigkeit verdreifacht hat. Vuskovic: „Der Nachholbedarf der Arbeiter muß durch gesellschaftliche Umverteilung befriedigt werden.“ Man müsse aus der argentinischen Erfahrung lernen, mahnt er; auch im Nachbarland habe die Demokratie das neoliberale Modell der Militärs weitergeführt und dem Volk Armut und Hunger beschert. „Demokratie beschränkt sich nicht auf die formale Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Institutionen, sie muß sich auch an den Kochtöpfen bewähren.“

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