: Berliner Einheit
Die AL kalt erwischt ■ K O M M E N T A R E
Der designierte Bürgermeister von Ost-Berlin, Tino Schwierzina, hat die Alternative Liste in Berlin-West kalt erwischt. Er hat vorgeschlagen, daß drei SenatorInnen, der Bausenator Nagel, der Finanzsenator Meißner und die Schulsenatorin Volkholz zugleich auch in den Magistrat von Ost-Berlin gehen sollen. Das wäre die Integration der rot -grünen Koalition in die Ostberliner SPD/CDU Koalition, auch personelle Integration, da Frau Volkholz zum AL-Teil des Senats gehört. Nichts kann natürlich der AL, die von Momper endlich einen plausiblen Ausstiegsgrund erwartet, peinlicher sein, als daß ihr plötzlich ein neuer politischer Spielraum zugemutet wird. Die Alternativen haben prompt und erwartungsgemäß geantwortet - mit einem Nein der Prinzipien: gemeinsame Regierung erst nach gemeinsamen Wahlen, für gleichberechtigte Partnerschaft und bloß keinen Sonderweg für Berlin. Außerdem, die Einigung gehe ohnehin viel zu schnell. Richtige Gründe, immer richtig - nur manchmal auch ein bißchen falsch. Die hurtige Prinzipienreiterei jedenfalls legt den Verdacht nahe, daß es der AL nicht so sehr um Demokratie als um den bequemeren Verzicht auf politische Verantwortung geht.
Das Nein der AL wird ihr leicht gemacht, da auch die SPD -Fraktion tobt und die CDU-Ost nicht mitmacht. Aber daß Schwierzina sich nicht um die Mehrheiten in beiden Stadthälften gekümmert hat, macht den Vorschlag noch nicht absurd. Die Stadt muß regiert und muß verwaltet werden; zugleich muß die Ostberliner Stadtverwaltung aufgebrochen und neu aufgebaut werden. Gesellschaftlicher Umsturz in einer Stadthälfte und ein geringerer Haushalt für beide Berlins stehen ins Haus. Was heißt da gleichberechtigte Partnerschaft. Der Ostberliner Magistrat kann kaum langreichende haushaltswirksame Maßnahmen beschließen ohne den Senat. In Ost-Berlin muß mit einer unfähigen, übergroßen und vor allem extrem sicherheitsbedürftigen Verwaltung regiert werden. Das Schulsystem im Osten gilt es schnell zu reformieren; es muß gebaut und saniert werden. Der Senat wird auf dem kurzen Amtswege nach Ost-Berlin hineinregieren müssen, ohne daß der Osten gleiches tun könnte. Wenn aber die SenatorInnen sich sowohl vor dem Abgeordnetenhaus als auch vor dem Stadtparlament politisch verantworten müßten, gebe es zumindest die Chance einer gegenseitigen parlamentarischen Kontrolle. Die bloße Forderung nach gleichberechtigter Partnerschaft ist bloße Deklamation. Die Stadtpolitik steht vor chaotischen Umwälzungen. Demokratie zu fordern und sie zugleich auf lange Fristen zu verschieben, ist ein Zeichen von Realitätsverlust.
Klaus Hartung
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