: Mit der Chemieindustrie für die Umwelt
Carlo Ripa die Meana, der oberste Umweltschützer der EG ist zuallererst um seine Karriere besorgt ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Für die meisten ist er „Mister Leichtgewicht“, weil er - so ein früherer Mitarbeiter - „außergewöhnlich langweilig und ohne Tiefgang“ ist. Dieses Charakteristikum soll auch ausschlaggebend gewesen sein für Carlo Ripa die Meanas Ernennung Anfang 1989 zum obersten Umweltschützer Europas. Denn von dem Craxi-Schützling und Kunstliebhaber erwartete niemand, daß er ernsthaft Widerstand leisten würde gegen das gigantische Förderprogramm für die Industrie: EG '92 - ein Projekt, das selbst in einem Bericht der EG-Kommission als „ökologische Katastrophe“ bezeichnet wird. Um die zu verhindern, produzieren seine MitarbeiterInnen nun seit einigen Monaten in rasendem Eifer Direktive nach Direktive. Haben sich die Binnenmarktfetischisten in dem Kommissar für Umwelt, nukleare Sicherheit und Zivilschutz getäuscht?
Ripa di Meana: „Ohne die chemische Industrie werden wir den Kampf für eine bessere Umwelt verlieren“. Deswegen sucht der italienische Ex-Kommunist und jetzige Sozialist die „Partnerschaft mit der Industrie“. Letzten Herbst ließ er sich sogar in einem Time-Interview dazu hinreißen, der Chemielobby seine Unterstützung für die Auseinandersetzungen mit dem Europäischen Parlament und den Grünen zuzusagen. Daß es nie dazu kam, sei typisch für Ripa die Meana, beklagt ein früherer Mitarbeiter. Er ist zwar einer von zwei EG -Kommissaren aus Italien. Doch fehle ihm das südländische Temperament. Immerhin werden unter der Leitung des 60jährigen Unmengen von Richtlinien produziert: So sollen zum Beispiel die Vorschriften zur Müllverbrennung und Ablagerung verschärft, Giftmüllexporte in Entwicklungsländer gänzlich verboten und die Giftmüllverklappung in der Nordsee trotz des Widerstands der britischen Regierung begrenzt werden. Anfang Mai stellten die beamteten Umweltschützer eine Richtlinie zur Verschärfung der Abgasbestimmungen für LKWs vor. Die Abgasbestimmungen für Autos wurden Ende letzten Jahres gerade noch rechtzeitig an die US-Standards angepaßt, bevor bekannt wurde, daß die US-Amerikaner ihrerseits eine weitere Verschärfung anstreben. Daneben ist eine Abwasserrichtlinie in Arbeit. Außerdem ist vorgesehen, die Haftung der Produzenten für Schäden, die ihre Produkte der Umwelt zufügen zu verschärfen.
Wird das genügen, wo doch Experten in einer von der Kommission selbst in Auftrag gegebenen Studie die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Umwelt als dramatisch darstellen? Nach 1992 werden die Müllberge noch scheller wachsen, das Trinkwasser schlechter werden, 70 Millionen neue Fahrzeuge die Straßen blockieren und Treibhausgase produzieren. Durch die 1988 verdoppelte Regionalförderung wird die Zersiedelung der Landschaft gerade in den südlichen EG-Ländern enorm zunehmen. Im European Enviromental Bureau (EEB) in Brüssel gilt die geplanten Autobahnverbindung zwischen den nordspanischen Provinzen Navarra und dem Baskenland als gutes Beispiel füpr die Kluft zwischen den Regelungen auf dem Papier und der Realität. „Die spanischen Behörden lassen bauen, ohne daß die Auswirkungen auf die Umwelt ausreichend analysiert worden sind“. Es ist zwar inzwischen EG-weit Pflicht, besonders bei Infrastrukturinvestitionen, die aus den EG-Strukturfonds für die Entwicklung industrieller Randgebiete finanziert werden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. „In diesem, wie in vielen anderen Fällen verkommen die Studien zur bloßen bürokratischen Makulatur“. Denn: 92 Dämme, vier Hochgeschwindigkeitstrassen für Züge und jede Menge Touristenzentren sollen in Spanien gebaut werden, aber es gibt noch nicht einmal ein Umweltministerium. Im Ergebnis sei deshalb die Kommissionsarbeit ineffektiv, weil ohne Auswirkungen.
Welche Rolle der ehemalige Kommissar für Kultur, Information und Tourismus bei dieser Art von Balanceakt zwischen den umweltpolitisch widerspenstigen Mitgliedsregierungen, der Industrielobby und den aufbegehrenden Umweltorganisationen spielt, zeigte sich bei der Diskussion über die Umweltagentur. Der Umweltausschuß des Europäischen Parlaments hatte gefordert, daß diese noch einzurichtende Umweltbehörde der EG nicht nur Umweltdaten sammeln, sondern auch über die Einhaltung und Durchführung der EG-Umweltrichtlinien in den Mitgliedsländern wachen soll. Dank eines geschickt lancierten Gegenvorschlags Ripa de Meanas stimmten die Parlamentarier Innen einem Kompromiß zu, nach dem die weitergehenden Aufgaben der Umweltbehörde erst in zwei Jahren diskutiert werden. Die erforderliche Zustimmung des Ministerrats wird dann nicht weniger schwer durchzusetzen sein. Aber vielleicht nicht mehr von ihm? Ein typisches Produkt Ripa di Meanas kompromißlerischen Karrierepolitik. Sich nur keine Feinde machen, lautet seine Devise. Schließlich geht es ja lediglich um das „Überleben der Menschheit“, wie der EG-Ministerrat schon zum Jahr der Umwelt 1987 richtig bemerkte.
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