: Pragmatismus statt Visionen einer neuen Friedensordnung
■ Für die Bush-Administration gehört ein vereinigtes Deutschland in die Nato / Zu einem Truppenabzug aus Europa sind die USA mittelfristig nur aus Kostengründen bereit
Die Höflinge des globalen Medientheaters sind bereits eingetroffen: Über 5.000 Journalisten aus aller Welt inspizieren schon seit Tagen die Kulissen für den am Donnerstag in Washington beginnenden Gipfelsturm. Noch gibt sich die US-amerikanische Bevölkerung über den erneuten USA -Besuch Gorbatschows interessiert aber gelassen. Doch unter den politischen Beobachtern ist die Spannung unübersehbar. Denn nur selten war das Skript für die immer sorgfältig inszenierten Abrüstungsshows so unausgegoren und improvisationsanfällig wie diesmal. Und noch nie war das Territorium für die Gipfelbesteigung so unausgekundschaftet wie nach dem Erdrutsch in Europa.
So wird der Aufstieg denn am Donnerstag im Dämmerlicht einer Zeitenwende beginnen, zwischen dem halbwegs überwundenen Kalten Krieg und einer nicht näher definierten Neuen Zeit. Und auch über die Route herrscht noch Uneinigkeit. Denn auf ihrem Weg werden die beiden Gipfelstürmer Deutschland durchqueren müssen, dessen politische Gletscherspalten ihnen leicht zum Verhängnis werden könnten.
Eigentlich hatte sich George Bush dieses Gipfeltreffen in Washington viel einfacher vorgestellt. Bei seiner letzten Begegnung mit dem Präsidenten der (immer weniger werdenden) Sowjetrepubliken auf Malta schien es noch, als sei der Abschluß der strategischen Abrüstungsverhandlungen reine Formsache, als gäbe es auch für die Verhandlungen über den Abbau konventioneller Streitkräfte in Europa (VKSE) kaum noch Stolpersteine.
Daß die Sowjets nach all den Zugeständnissen, die sie seit 1985 bei den Rüstungsverhandlungen gemacht haben, ausgerechnet jetzt, wo Gorbatschows angeschlagene Position immer deutlicher wird, plötzlich weitere Konzessionen verweigern, schien der Bush-Administration bis vor kurzem noch undenkbar. Wohl erst in der vergangenen Woche, als Außenminister James Baker sichtlich gestreßt nach Moskau reiste, um mit seinem Amtskollegen Schewardnadse in letzter Minute noch einige Sprengköpfe aus dem Weg zu räumen, dürfte der Bush-Administration aufgegangen sein, daß auch die Toleranz der Sowjets ihre Grenzen hat.
Reine Symbolik
Dennoch hat es die Administration in Washington bis heute verstanden, über die in den USA und Europa so unkritische wie uninformierte Presse die Mär verbreiten zu lassen, die Abrüstungsverhandlungen in Genf wie in Wien und der weitere Weg zur Entspannung würden von der Sowjetunion und ihren konservativen Generalen blockiert. Gleichzeitig ist es George Bush gelungen, sich selbst als Freund und Helfer Gorbatschows darzustellen, für dessen politisches Überleben die USA sogar zu Zugeständnissen bereit sind. Die zentrale aber irreführende Frage in der inneramerikanischen Diskussion, aber auch im transatlantischen Räsonnieren ist heute die: Wie weit wird Georg Bush in seiner Unterstützung Michail Gorbatschows gehen (können)?
Nun, bisher beschränkte sich die vermeintliche Nachgiebigkeit der Bush-Administration den Sowjets gegenüber auf rein symbolische Aktionen. Da stimmten die USA bei den Chemiewaffen und Atomgranaten Abrüstungsbeschlüssen erst dann zu, nachdem sich die technischen Schwierigkeiten bei der Produktion der Waffen als zu komplex und kostspielig herausgestellt hatten.
Insgesamt hat die USA lediglich der Aufgabe überholter Waffensysteme zugestimmt, jedoch die Mitaufnahme der nächsten Waffengeneration in die Abrüstungsabkommen verhindern können. Statt zu einer wirksamen und deeskalierenden Abrüstungspolitik hat die Bush -Administration die schwache Position der Sowjets zu einer Gesundschrumpfung und Modernisierung ihrer Arsenale ausgenutzt.
Unnachgiebig
in der Litauen-Frage
Auch wirtschaftlich macht die Bush-Administration keinerlei Anstalten, der darniederliegenden Sowjetökonomie auf die Beine zu helfen. Statt dessen machte sich George Bush in der letzten Woche eine Freude daraus, der mordenden Gerontokratie in Peking zum Jahrestag des Massakers an den chinesischen Studenten im Handel mit den USA die Meistbegünstigungsklausel zu gewähren. Den Sowjets wird dagegen diese dringlichst benötigte Verbesserung der Handelsbeziehungen - nachdem sie ihnen bereits in Malta versprochen worden war - mit dem Fingerzeig auf Litauen auch auf diesem Gipfel vorenthalten bleiben. Einfach hingenommen, wie dies immer wieder behauptet wird, hat die Bush -Administration die Ereignisse in den abspaltungswilligen baltischen Republiken eben doch nicht.
Wenn es George Bush dennoch gelingt, seiner Politik gegenüber der Sowjetunion den Anstrich der Vernunft, ja gar der Fortschrittlichkeit zu geben, dann liegt das an der derzeitigen innenpolitischen Konstellation in den USA. Während von Seiten der Demokraten kaum eine grundsätzliche Kritik an seiner Politik laut wird, sieht er sich seit einigen Wochen den heftigen Attacken der äußersten Rechten gegenüber, die ihm bei den START-Verhandlungen den Ausverkauf der US-Positionen vorwerfen.
Wenn das 'Wall Street Journal‘ den Abbruch der strategischen Abrüstungsverhandlungen fordert; wenn Reagans ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister, Richard Perle, Bush vorwirft, aus einer Position der Stärke heraus unnötige Konzessionen zu machen; und wenn der rechte Kolumnist William Safire seinen Präsidenten schon in die Falle der von Gorbatschow „gespielten“ Schwäche treten sieht, dann mögen hier die Fakten sachlich falsch und die Argumentationen absurd erscheinen, für Bush kommen diese Angriffe jedoch gerade richtig - kann er sich doch vor diesem Hintergrund als Mann der Mitte, als vorsichtiger Kletterer aufspielen. All dies ist nur möglich, weil das amerikanische Interesse an einer Neuordnung Europas hierzulande so unumstritten wie begrenzt ist. Für die Amerikaner wie für Bush ist selbstverständlich, daß Deutschland auch nach der Befreiung seines Ostteils vom Kommunismus in die Nato gehört. Mittelfristig wird man sich in den USA, und sei es nur aus Kostengründen, zu einem weitgehenden Truppenabzug aus Europa überreden lassen.
Bewährtes Bollwerk
Die Institution Nato jedoch, das bewährte, nun 40 Jahre gegen den Kommunismus anrennende Bollwerk soll den USA zusammen mit den US-Atomwaffen auf europäischem Territorium auch weiterhin als Garant für eine amerikanische Präsenz im sich politisch und wirtschaftlich vereinigenden Europa dienen. Von der Bush-Administration oder gar von der Öffentlichkeit konstruktive Anstöße für eine größere Rolle des KSZE-Prozesses bei der Neuformierung einer zukünftigen europäischen Friedensordnung zu erwarten, wäre angesichts der völlig verschiedenen Lebenswelten ungefähr so naiv, wie von Bonner Politikern eine fundierte Kritik des US -Drogenkriegs in den Andenstaaten zu erhoffen.
So wird denn dieser Gipfel von der pragmatischen Supermachtpolitik eines George Bush bestimmt werden und nicht von Visionen über die delikaten Details einer europäischen Friedensordnung. Der erste Gipfel der Nach -Kalte-Kriegs-Ära wird, so Gorbatschow nicht in die Gletscherspalte fällt, mit einer Kletterausrüstung von gestern erstiegen werden - mit sperrigen Abrüstungshaken und dem dünnen Seil gegenseitiger atomarer Abschreckung.
Rolf Paasch, Washington
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