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Mit Klarsicht flusenfrei empfangen

■ In der Weddinger GeSoBau-Siedlung Schillerhöhe wurde nach einer Volksabstimmung feierlich der zweitausendeinhundertzweiundsechzigste und wirklich allerletzte Kabelanschluß übergeben

Kaum hat die zehnköpfige Delegation die Schwelle zur flusen und staubfreien 3-Zimmer-Kü-Bad-Balk-Wohnung hinter sich gelassen, tätscheln die Offiziellen schon die Köpfe der Töchter des Hauses (Stefanie 4, und Sandra 6), so viele Püppies. Vater Frank, Jalousiemonteur im Außendienst, kriegt einen Handschlag, Mutter Gabriela, Hausfrau, einen großen Blumenstrauß in Klarsichtfolie.

Am Mittwoch vormittag suchte die große GeSoBau-Familie die Gewerts in ihrem Weddinger Heim auf und übergab dort, in der Holländerstraße 105, feierlich den letzten Kabelanschluß der Siedlung Schillerhöhe. Mit dabei waren: leitende Herren des Fernmeldeamts, des zuständigen Elektroinstallationsbetriebs (Woma - die Profis), eine braungebrannte Redakteurin der Mieterzeitschrift und die Pressesprecherin der GeSoBau-Familie, Frau Spohn.

Das hier sei der zweitausendeinhundertzweiundsechzigste und letzte Kabelanschluß, weiß diese. Mehr als 98 Prozent der MieterInnen der Schillerhöhe hätten vor einem halben Jahr per Stimmzettel für mehr Pluralismus nach Feierabend plädiert, ein Votum, das jenes im Märkischen Viertel noch weit übersteige (rund 90 Prozent). Wenn das der Egon Krenz noch hätte miterleben dürfen!

Der Rekord muß belohnt werden. Und deshalb hat der Elektromeister den Fernseher der Gewerts (obenauf ein Reichsadler aus Terracotta, nebenan die obligatorische Spieluhr mit Glashaube, Videocassetten und ein Telefon ganz in Kupfer (Wie wohnt kotte? die k.)) schon fest im Blick. Taufrisch ist das Ding wohl nicht mehr, was. Aber auf dem Polenmarkt bringt das noch einen guten Preis. Verschämt muß der Hausherr einräumen Ja, so etwa acht Jahre. Doch da ächzen schon die reizenden Assistenten durch den Flur (Kiefer, Babybilder, Strapsfoto, Miniatur-Billiardtisch als Uhr mit wandernden Queues) und bringen den neuen Apparat, der noch in Geschenkpapier und Schleife steckt. Wir wünschen der ganzen Familie einen tollen Fernsehempfang, schmettert der GeSoBau-Chef und ist etwas unsicher, ob er nun dem Herrn des Hauses, dessen Gattin oder den Töchtern zuerst die vielknöpfige Fernbedienung in die Hand drücken soll. Wer bestimmt denn hier das Programm? Gottseidank ist alles schnell vorbei, denn: a.) funktioniert das Blitzlicht der Mieterzeitschriftsredakteurin nicht und b.) kann das neue TV-Set nicht angeschlossen werden, denn die Blaumänner sind schon weg.

So geht's dann zum Sektempfang in den kleinen Kabel-Info -Container von Post und GeSoBau in der Nebenstraße. Ich war vorhin schon da, warnt der Elektromeister, da steht eine ganze Platte mit Harzer Roller drin, hoffentlich hat vorher noch jemand gelüftet.

kotte

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