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Für Kreuzberg sehen alle schwarz

■ Diskussion über die rot-grüne Zukunft Kreuzbergs im Verein SO36 / Entwicklung zur „City-Ergänzung“ befürchtet / Verteilungskämpfe mit Prenzlauer Berg?

Kreuzberg. Der Eintrittspreis für den Görlitzer Park beträgt je nach Aufenthaltsdauer zwischen zehn und fünfzehn DM. Auf der Lohnmühleninsel steht eine Villenkolonie. Die S.T.E.R.N. -GmbH ist ein Spezialverlag für bibliophile Ausgaben alter Gutachten und früherer Beschlüsse über die sogenannte basisdemokratische Periode der behutsamen Stadterneuerung. In allen Wohnblocks gibt es Polizeistationen und privat organisierten Wachschutz. An markanten Stellen des Stadtteils stehen Hochhäuser mit luxuriösen Eigentumswohnungen.

Dieses spielerische Horrorszenario konnten sich die meisten Teilnehmer der Diskussion „14 Monate Rot/Grün - Sind wir noch zu retten?“ durchaus oder so ähnlich für die Zukunft Kreuzbergs vorstellen. Angstvorstellung oder Wirklichkeit im Jahre 2000? Die Wogen schlugen am Donnerstag abend jedenfalls auf der Veranstaltung des Vereins SO36 zu fortgeschrittener Stunde immer höher. Plakative Vorschläge wie „Wir sollten die Politiker nach Hause schicken“ oder Sprüche wie „Die Lügner und Heuchler werden in Kreuzberg keinen Fuß fassen“ wechselten sich ab mit den ebenso bekannten Forderungen nach Mietpreisbindung, ökologischer Stadterneuerung und BewohnerInnenbeteiligung. Relativ ratlos zeigte sich die von Exbaustadtrat Orlowsky moderierte PolitikerInnenrunde. Bernd Köppl (AL) verglich seine Forderung nach Erhöhung der Gewerbesteuer und nach Wegfall der Berlinförderung mit dem „Bohren dicker Bretter“. Der SPD -Abgeordnete Hajo Kohl fragte sich, warum 1990 14 Mio. DM für „Hits“ wie die Verkehrssicherheitsmaßnahmen „Gehwegnasen“ etc. ausgegeben würden. Auch Otto Edel (SPD) wünschte sich mehr Geld: 340 Mio. DM, die bei Finanzsenator Meisner durchgesetzt werden müßten. Daß bei weiterhin kurzer Finanzdecke einiges aus dem Horrorszenario über Leben und Wohnen in Kreuzberg realistisch sei, meinte nicht nur Peter Strieder (SPD Kreuzberg). Bernd Köppl vermutete eine Notstandspolitik, die das Dargestellte noch übertreffen könnte. Ralf Olschewsky (CDU) sah Kreuzberg als „Cityergänzungsbereich“ mit veränderter Bevölkerungsstruktur.

Hajo Kohls Kritik am Herunterfahren der Modernisierungs und Instandsetzungmittel, Werner Orlowskys Entschlossenheit, „jeden Angriff auf die Beteiligungsrechte“ zurückzuweisen und Volker Härtigs Vorschlag, neue rot-grüne Konzepte auszudenken, riefen im Publikum vor allem den Wunsch nach einer Bilanz hervor. Rot-Grün habe den „Niedergang der Stadterneuerung gebracht“, befand Alt-IBA-Star Hämer sichtlich erregt. Die Stadtteilkommissionen würden wie die Runden Tische weggeschoben, oben würde bestimmt, ohne unten zu fragen. Kreuzbergs Baustadrätin Franziska Eichstätt -Bohlig erklärte Rot-Grün zur „schlecht funktionierenden Einrichtung“. Sie nannte die Erfolge ihrer Arbeit „angesichts der Grundstrukturen gering“.

Versprechen konnte letztlich nur Wohnungsamtsleiterin Junge -Reyer etwas: Nämlich, daß im nächsten Jahr neun Millionen DM zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Sozialhilfeempfänger gestellt würden. Wie die inzwischen zu Zehntausenden zählenden Obdachlosen von der Straße zu kriegen sind, wußte Otto Edel ebenso wenig wie andere. Angesichts der zu erwartenden Verteilungskämpfe mit Ostberliner Bezirken (Strieder) sahen eigentlich alle schwarz.

Marlies Emmerich

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