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Der diskrete Drang nach Verbeamtung

■ Schon 1945 wurde in der späteren DDR das Berufsbeamtentum abgeschafft / Nun will der neue „Interessenverband Beamtenbund“ seine schnellstmögliche Einführung

Wechselt in den USA die Administration von einer Partei zur anderen, müssen 20.000 Mitarbeiter der Regierung in Washington die Koffer packen. In der DDR werden es am Ende dieses Jahres aller Voraussicht eine Million sein. Sie dienten dem Staatssicherheitsdienst, der Sozialistischen Einheitspartei, gehörten jenen Ministerien an, die aufgelöst wurden, oder werden zu jenem Verwaltungspersonal zählen, das Staat und Kommunen nach dem 1.Juli einfach nicht mehr bezahlen können. Die Faustregel besagt: Jeder zweite muß gehen.

Einiges erinnert an früher. Um sich den alten Machtapparat vom Halse zu halten, schaffte man 1945 in der späteren DDR die Beamtenschaft per Gesetz ab. 45 Jahre später weiß die neue Regierung wieder nicht, was sie mit dem übernommenen Apparat anstellen soll. Dieser wehrt sich angesichts der düsteren Aussichten und will das Berufsbeamtentum wieder einführen. Entschieden lehnen die Initiatoren eine „Stunde Null“ ab. Es soll nur noch Kompetenz und nicht mehr Parteizugehörigkeit entscheiden.

Es begann noch in letzten Tagen des Umbruchjahres 1989. Einige weitsichtige Vertreter aus Ministerien und Verwaltungen kamen in Hinterstuben zusammen und berieten, was aus ihnen werden solle. Der Kreis wurde größer, die Tagungsorte nobler, und am Ende konferierte man schon in der Beletage des Bildungsministeriums, dort, wo einst Frau Honecker im Kreise ihrer Lieben die kommunistische Erziehung ausbaldowerte.

„Der Diener eines Staates

muß sozial gesichert sein“

Was wird aus uns? lautete die große Frage im Raum. Einer aus dem Kreis brachte es auf den Nenner: „Wir müssen binnen kurzem so stark werden, daß eine neue Regierung an unseren Interessen nicht mehr vorbei kann.“ Mitte Januar gründeten 600 Delegierte erstmals eine einheitliche „Gewerkschaft der Volkspolizei“ (GdVP), die sich als Dachverband der Interessen der Angehörigen der Polizei, der Feuerwehr und des Strafvollzugs versteht.

Wenig später erklärte der neu ernannte oberste Polizist des Landes, Generalmajor Dieter Winderlich, in einem Interview: „Der Diener eines Staates muß vom Staat für alle Zeiten sozial gesichert sein. Das entspricht auch den internationalen Standards. Die UN-Vollversammlung hat sich in einer Resolution dafür ausgesrpochen. In allen demokratischen Ländern ist der Polizist so sozial abgesichert, daß er trotz Wechsel regierender Parteien ein treuer Diener des Gemeinwesens sein kann.“

Am 9.Februar gründete sich in Berlin der erste Bezirksverband des „Interessenverbandes Beamtenbund“ (IBB), zwei Wochen später stand der Verband auch landesweit. Der künftige Beamtenbund sehe sich parteineutral und einzig der Verfassung verpflichtet. Der künftige öffentliche Dienst sei so auszugestalten, daß sowohl Arbeiter und Angestellte als auch Beamte eine ununterbrochene Wahrnehmung jener Aufgaben sicherten, die Staat und den Kommunen gestellt seien. „Damit wird jederzeit eine stabile Verwaltung gewährleistet, die einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das politische Leben des Staates gestaltenden Kräften bildet.“

Die Modrow-Regierung sah die Aktivitäten durchaus mit Wohlwollen, entsandte Vertreter in die Gremien und gab auch noch in den letzten Wochen ihrer Amtszeit ein Beamtengesetz in Auftrag, das in verdächtiger Rekordzeit aus dem Boden gestampft wurde. Nur: Es war nicht mehr durchsetzbar, der Runde Tisch hätte das Gesetzeswerk nie und nimmer passieren lassen. Dank intensiver Arbeit der Lobbyisten des neuen Verbandes fand sich die Forderung nach Einführung des Berufsbeamtentums jedoch auch in den Koalitionspapieren der nächsten Regierung wieder.

Kurz vor dem Ziel hieß es dann, der Beamtendienst solle „später“ eingeführt werden. Hintergrund der Entscheidung war ein hartes Ringen hinter den Kulissen: Während Liberale und Christdemokraten der Idee sehr zugetan waren, wehrten die Sozialdemokraten ab - zu deutlich waren unterdessen auch die Meinungsverschiedenheiten des Beamtenbundes zu den Gewerkschaften geworden. Bei dieser Gemengelage mischten auch die jeweiligen Schwesterparteien aus der Bundesrepublik mit, in etwa mit der gleichen Zielsetzung.

Das Verhältnis zu den Gewerkschaften spielt bei der Gründung des IBB eine entscheidende Rolle. Der Apparat war früher in der unaussprechlichen „Gewerkschaft der Beschäftigten im Staatsapparat und der Mitarbeiter der Kommunalwirtschaft“ (MSK) organisiert. Die erreichte am 8.Dezember vergangenen Jahres die Übereinkunft mit der Regierung Modrow, wonach „freigesetzten“ Mitarbeitern des Staatsapparates ein dreijähriges Übergangsgeld gezahlt werden sollte.

Über 100.000 Mitglieder

im neuen Beamtenbund

Das jedoch wollten die Arbeiter nicht hinnehmen, und als dann noch die IG Metall zu Warnstreiks aufrief und die Vereinbarung der anderen Gewerkschaft massiv kritisierte, sah die Regierung Mitte Januar keine Chance mehr und kapitulierte. Die Überbrückungsregelung wurde rückgängig gemacht. Seither hat der Beamtenbund großen Zulauf.

Vorstandssprecher Helmut Dähnicke gibt den heutigen Mitgliederbestand mit über 100.000 an. Gegliedert in 21 Fachverbände, hat der IBB in einigen Bereichen eindrucksvolle Erfolge. So sind drei Viertel aller Lokführer im Verband organisiert (13.000 Mitglieder) und rund ein Fünftel aller Lehrer (32.000 Mitglieder).

Doch nun kommt es nicht, das Beamtengesetz, und die Regierung hält sich zurück. Nicht einmal ein Zuständiger für den Öffentlichen Dienst ist ernannt, an den man sich wenden könnte. Auslöser sind neben den schwelenden Interessenkonflikten der Parteien und Gewerkschaften hüben und drüben eine wachsende Lust an der Abrechnung mit dem alten Apparat. Begann diese noch vergleichsweise verhalten mit der Frage, ob ein Richter, der sich 40 Jahre lang dem politischen Strafrecht der DDR gewidmet hatte, noch umschulbar sei, so ist die Frage heute, ob überhaupt noch einer tragbar ist.

Der Beamtenbund reagiert flexibel: „Selbstverständlich wissen wir, daß nicht alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes ihren Arbeitsplatz behalten“, hieß es in einer Erklärung vor wenigen Tagen. Auch verweigere man sich nicht einer „Einzelfallüberprüfung“, wie von Innenminister Diestel gefordert. Diesen Minister schätzt der Verband ohnehin. Auf einer Protestveranstaltung am letzten Freitag auf dem Platz der Akademie sagte Sprecher Dähnicke: „Wir begrüßen die sich in der Praxis bewährende Innenpolitik von Dr.Diestel, mit der der Verunsicherung der Polizei ein Ende bereitet wurde... Wir wünschen uns einen solchen Dienstherrn für den öffentlichen Dienst, der sich auf alle dem Neuen aufgeschlossenen, Rechtsstaatlichkeit und Verfassungstreue verpflichteten Kräfte stützt!“

Ginge es nach Wünschen des Verbandes, sollten bis Ende des Jahres alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Einführung eines Beamtengesetzes, Entlassungen und Überprüfungen abgeschlossen sein. Dann könnten sich von den verbliebenen 1.000.000 Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes etwa die Hälfte Chancen auf eine Anstellung auf Lebenszeit und den damit verbundenen Privilegien und Vorrechten ausrechnen.

Dabei kämpfen die Beamten-Anwärter nicht nur für sich, sondern auch zugleich für die Interessen ihrer Kollegen in der Bundesrepublik, die es schon geschafft haben. „Wir werden nicht aufgeben zu verlangen, daß das Beamtentum noch in der DDR und nicht erst nach dem Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten eingeführt wird. Kommt die Beamtung erst nach dem Anschluß nach Artikel 23, dann wird das auch zu einer Schwächung des Beamtentums der künftigen Republik Deutschland führen.“

P.P.Dürr

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