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Deutschland im Passiv

De Maiziere spricht mit George Bush über die deutsche Souveränität / Vergessenswürdige Rede in Universität  ■  Von Rolf Paasch

Washington (taz/ap) - Gespannt wartete das studentische und journalistische Publikum in der ehrwürdigen Gaston Hall von Washingtons Georgetown University auf den ungewöhnlichen Gast. Germanophile Amerikaner und die gesamte deutsche Exilgemeinde der US-Kapitale hatten sich an diesem Montag abend versammelt, um einen ersten und letzten Blick auf jenen Premierminister zu werfen, dessen Aufgabe in der selbstinduzierten Selbstauflösung besteht.

„Gott segne unseren Bruder Lothar“, so führte der Rektor der ältesten katholischen Universität der USA den DDR -Premier ein, „und fülle ihn mit unserem Geiste.“ Ob er damit den Geist der Nato oder das Gespenst der KSZE meinte, ließ er unklar. Und auch Lothar de Maiziere hielt sich in seiner 60minütigen Ansprache an Allgemeinplätze und Schulweisheiten. Von Bismarck über Goethe, hier und dort „die alten Griechen“ zitierend, quälte sich der Übergangs -Premier durch seine Rede, die wohl von der DDR, ihren Problemen, ihrer dunklen Vergangenheit und ihren Siegen handeln sollte. Doch blaß blieb alles, was er den Neugierigen von der (noch?) nicht gescheiterten Revolution auf deutschem Boden zu berichten hatte.

Vielleicht stand er ja noch unter dem Eindruck seines mittäglichen Besuchs im Weißen Haus, auch nicht gerade eine Stätte der spirituellen Erhebung und intellektuellen Imagination. Dort hatte ihm, so formulierte es Regierungssprecher Marlin Fitzwater, Präsident Bush unsere „unvermeidbare Position“ dargestellt, daß die Vollmitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der Nato für die Europäische Sicherheit und Stabilität unverzichtbar sei. Dafür solle das neue Deutschland „vom Zeitpunkt seiner Vereinigung an volle Souveränität genießen“. Sonst verbreitete das Weiße Haus seinen gezielten Optimismus in der deutschen Frage auch weiterhin mit der Hemmungslosigkeit eines Stinktiers. Lothar de Maizieres einschränkende Bemerkungen, sollte er sie denn wirklich gewagt haben, werden in dieser Atmosphäre mit Sicherheit untergegangen sein. Ein US-Regierungsbeamter beschrieb das erste Treffen seines Präsidenten mit einem DDR-Oberhaupt anschließend als „wichtig in seiner symbolischen Bedeutung“. - eine so wahre wie unverschämte Bermerkung. De Maiziere, der als erster und möglicherweise auch letzter DDR-Regierungschef im Weißen Haus vorgelassen wurde, berichtete später von Übereinstimmung darin, „daß es deutlich zu einer Ablösung der Besatzungsrechte kommen muß“. Gefragt, ob er sich eine Zustimmung des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu einer Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands vorstellen könne, antwortete de Maiziere, er habe Bush klargemacht, welche psychologischen Schwierigkeiten sich hier ergäben. Eine sowjetische Zustimmung hänge auch von einer vertraglichen Regelung in Bezug auf die noch in der DDR stationierten sowjetischen Truppen ab. Ob der Vertrag zwischen Warschauer Pakt und Nato oder zwischen Deutschland und der Sowjetunion abzuschließen wäre, sei offen geblieben.

Auch vor dem Auditorium der Gaston Hall drückte sich de Maiziere diplomatisch über eine Klarstellung seiner Position zur Bündnisfrage herum. Seine Phrase von der „Mitberücksichtigung der Sicherheitsinteressen der osteuropäsichen Nachbarn“, hat ja mittlerweile sogar schon sein politischer Ziehvater im so ganz anderen Teil Deutschlands gelernt. Was die Deutschen in beiden Teilen des Landes darüberhinaus bereits eint, ist der Gebrauch des Passiv. Da wurde auch in Maizieres Skript erlitten und erduldet, als habe es in der vergangenen DDR keine handelnden Subjekte, sondern nur Opfer gegeben. Am Ende, als viele vom Schlußapplaus für eine vergessenswürdige Rede geweckt wurden, hatte Lothar de Maiziere wohl auch die letzte Chance zu einer angemessenen Selbstdarstellung der DDR vertan. Ein bißchen Havelsche Selbstkritik hätte ihm in Washington gut angestanden.

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